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Stefanie Reinsperger hat längst den größten Adelstitel des Wiener Publikums verliehen bekommen: den Verlust des Vornamens. „Die“ Reinsperger ist nach vielen Jahren in Deutschland 2024 endlich wieder an die Burg zurückgekehrt und bezaubert, berührt und regt mit ihrer schauspielerischen Brillanz auf, wie wenige andere Schauspieler*innen. Ein Publikumsliebling eben.

Stefanie Reinsperger hat längst den größten Adelstitel des Wiener Publikums verliehen bekommen: den Verlust des Vornamens. „Die“ Reinsperger ist nach vielen Jahren in Deutschland 2024 endlich wieder an die Burg zurückgekehrt und bezaubert, berührt und regt mit ihrer schauspielerischen Brillanz auf, wie wenige andere Schauspieler*innen. Ein Publikumsliebling eben.
Foto: Hilde van Mas

Reinspergers Äpfelspalten

Burgtheater
Wiener Akademietheater

Zuerst wird sie Äpfel verteilen und sich dann in einem der wahnwitzigsten Monologe der Theatergeschichte selbst bezichtigen: So macht Stefanie Reinsperger Handke zum Hit.

Theater kann so g’sund sein. Keine Ahnung, wie sehr Peter Handke Menschen mag, Äpfel mag er. Also wird Stefanie Reinsperger auch am Premierenabend im Dezember durch die Reihen des Akademietheaters gehen und Äpfelspalten verteilen. So wie Ende Oktober 2015, als das Handke-Stück „Selbstbezichtigung“ Premiere feierte. Das war damals in einem der kleinsten Theater Wiens – im Volx in Margareten –, in das nur 170 Zuschauer passen. Es wurde ein Theatertriumph für Stefanie Reinsperger und den Regisseur Dušan David Pařízek – und ein Stück, das Reinsperger seither quer durch ganz Europa gespielt hat. Aber lassen wir doch das Zweite-Hand-Gequatsche unsererseits. Es ist doch viel gescheiter, wenn uns die Protagonistin alles selber erzählt.

Also: Anruf bei Stefanie Reinsperger. Es läutet. Ein Mal, zwei Mal und schon hebt sie ab. Man grüßt, plaudert. Und los geht’s.

Ernst gemeint: Wie geht es Ihnen derzeit so mit sich und der Welt?

Oh, Gott. Eine schwere Frage. (lacht, atmet durch) Aber ich bin gerade meinem Körper und meiner Seele sehr dankbar, dass sie mich durch diese fordernde Zeit tragen. Theater ist ja irgendwie auch ein Safe Space. Es ist ein Entfliehen, aber auch die Verantwortung, auf die Dinge aufmerksam und sie sichtbar zu machen.

Und es ermöglicht mir großartige Begegnungen – vor allem, wenn ich mit unserem Publikum reden kann, so wie letztens bei den Zuschauergesprächen. Da werden Gedankenräume aufgemacht und man denkt gemeinsam weiter.

Wenn Sie im Rückspiegel auf das Jahr 2015 und ihre „Selbstbezichtigung“- Premiere im Volx blicken – was sehen Sie da?

Es war mein erster Soloabend und ich hatte alle Zustände. Schon damals prophezeite mein Regisseur: Stefi, das ist dein Abend und wenn du willst, dann kannst du den spielen, bis du 70 bist. Ich habe mir das immer gewünscht: einen Theaterabend, der einen durch ganz viele Lebensstadien begleitet. Und es ist schön zu sehen, wie dieser Abend mit mir mitgegangen ist und immer erwachsener wurde und noch wütender.

Erklären Sie mir das ...

Ich haben diesen Abend schon in sehr extremen Lebenssituationen gespielt und er hat sich gut angepasst. Ja, und auch die Räume wurden größer. Das Akademietheater ist – so finde ich – das perfekte Theater : sowohl fürs Zuschauen als auch fürs Spielen. Ich liebe diesen Ort sehr. Vor zehn Jahren wäre das Akademietheater noch zu groß gewesen, aber damals war ich auch noch kleiner (macht eine Pause, lacht) ... also spielerisch. Jetzt traue ich mich viel mehr.

Subjektwerdung von
Stefanie Reinsperger mit
unscharfen Projektionen
ihrer Kindergesichter.
SZENENFOTO: ULRIKE RINDERMANN / VOLKSTHEATER
Subjektwerdung von Stefanie Reinsperger mit unscharfen Projektionen ihrer Kindergesichter.

Damals haben Sie zu Beginn Apfelstücke verteilt. Werden Sie das im großen Akademietheater wieder machen?

(lacht) Zu hundert Prozent. Darauf bestehe ich und ich weiß, ich werde schon zu Beginn des Stücks schweißgebadet sein.

In der „Selbstbezichtigung“ geht es, wie der Name schon sagt, um die eigene Schuld – also in dem Fall Ihre oder die Ihrer Rolle.

Das Teuflische an dem Stück ist, dass jeder Satz mit „Ich“ beginnt. Aber das Werk ist auch ein großer Spielplatz für mich. Es gibt ein paar Stationen, die werden eingehalten und dann ist es wieder so wie ein gemeinsames Nachdenken. Gerade am Ende gebe ich Sätze einzelnen Menschen im Publikum sehr direkt mit auf den Weg. Das ist immer sehr unterschiedlich, auch von meiner Tagesform. Ich gehe da sehr gern viel Risiko ein.

Selbstbezichtigung – das Stück

Peter Handke hat das Werk 1965 geschrieben: Eine Person bekennt sich zum allmählichen Schuldigwerden in der Welt. Dušan David Pařízek hat dieser Sprecherin ein Gesicht und eine Geschichte gegeben – sie steht als echte Schauspielerin vor uns. Gemeinsam wandert durch Lebensabschnitte und eine endlose Kette an Bekenntnissen.

Bedeutet: Nicht jeder Abend ist gleich, sie ändern ...

Ich mag es nicht, wenn alles vorgefertigt ist. Bei einem Solo ist das ein bisschen einfacher, weil man auf keine Einsätze anderer Schauspieler*innen Rücksicht nehmen muss. Wenn ich alleine bin, dann kann ich auch viel härter mit mir selber ins Gericht gehen. Und wenn das Publikum reagiert, dann gehe ich manchmal anders weiter. Die Haltungen verändern sich ein bisschen oder rutschen teilweise woanders hin.

Was ist das Stück: eine große Beichte oder die Beantragung eines Strafverfahrens gegen sie selber?

Kann ich beides unterstreichen, kann ich mit beidem sehr viel anfangen. (lacht)

Am Anfang liegen Sie nackt auf der Bühne. Fällt das leichter mit zunehmender Erfahrung?

Es wird anders. Ich sehe meinen Körper als Instrument. Ich bin ihm extrem dankbar, wie er mich durch die Gezeiten trägt. Was der schon alles mit mir erlebt und gemacht hat und immer weiter macht ...

I’m perfectly incomplete.
Ein Song den Reinsperger am Ende singt.
Foto: Hilde van Mas
I’m perfectly incomplete. Ein Song den Reinsperger am Ende singt.

Was ist das Geheimnis der Dušan-David-Pařízek-Inszenierung ?

Es ist der persönlichste Abend, den ich spiele. Einmal wurde ich nach der Vorstellung gefragt, ob das mein Tagebuch ist – es war das schönste Kompliment. Das ist auch die Qualität von Dušan, dass er es schafft, Texte nah an dich heranzuholen und sie dann so oft durchzugehen und Situationen zu finden, dass es so wirkt, als würden sie dir in diesem Moment entspringen. Dušan will, dass der Text zukommt. Der Abend ist ein gemeinsames Theatererlebnis, bei dem das Publikum auch ziemlich gefordert wird.

Sie haben in Wien die größte Adelung als Schauspielerin erfahren, die es gibt: den Verlust ihres Vornamens. Sie sind jetzt die Reinsperger. Freut Sie das?

Ich freue mich sehr, dass sich die Menschen hier freuen, dass ich wieder in der Stadt spiele. Ich war so lange weg und man weiß ja nicht, ob das Publikum noch Lust auf einen hat. Ich hatte wirklich ein wenig Angst. Aber diese Reaktionen, das ist überwältigend schön für mich. Nehmen wir „Elisabeth!“: Das sind so viele verschiedene Publikumsschichten. So viele unterschiedliche Leute. Es ist einzigartig, wer mich alles darauf anspricht. So viele verschiedene Altersgruppen. Das ist total schön.

Kinder, wie die Zeit vergeht ...
Stefanie Reinsperger mit Regisseur Dušan David Pařízek im „Fotoautomaten“-Strip aus dem Jahr 2015.
Foto: Privat
Kinder, wie die Zeit vergeht ... Stefanie Reinsperger mit Regisseur Dušan David Pařízek im „Fotoautomaten“-Strip aus dem Jahr 2015.

Irgendwann vor langer Zeit sind Sie selber auf dem Stehplatz gestanden, jetzt stehen sie unten auf der Bühne. Was macht das mit einem?

Ich weiß noch genau, wie ich da oben war, und ich weiß noch genau, wie wenig man von da oben sieht – ich kannte alle Kopfbedeckungen des Burgtheaterensembles auswendig. (lacht) Und jetzt stehen da Menschen, die wegen mir ins Theater kommen. Das treibt mir beim Verbeugen noch immer die Tränen in die Augen.

Weil wir die ganze Zeit von Veränderung sprechen: Kann es sein, dass Sie mittlerweile viel leiser spielen als vor zehn Jahren?

Ich habe keine Ahnung. (lacht) Aber wenn, dann liegt es daran, dass man sein Instrument mit der Zeit einfach besser kennt und man sich alles ein wenig besser einteilen kann.

Einmal wurde ich nach der Vorstellung gefragt, ob das mein Tagebuch ist – es war das schönste Kompliment.

Stefanie Reinsperger

Von der Vergangenheit in die Zukunft: Gibt es etwas, das Sie sich für das Theater wünschen?

Ich wünsche mir, dass wir alle gemeinsam ein wenig mutiger werden. Es ist wichtig, dass gewisse Themen in die Theaterräume getragen werden. Ich wünsche mir mehr Lust auf neue Zusammenarbeiten, ich wünsche mir, dass die Räume noch mehr geöffnet werden, dass wir sie zugänglicher machen für die Menschen, für die wir spielen, und dass diese sich dadurch trauen reinzugehen.

Aber es tut sich viel. Mehr und schneller als beim Film – und das, obwohl das Theater ein analoges Medium ist. Es fehlt an mehr weiblichen Autorinnen, weiblichen Intendantinnen. Wissen Sie, ich wünsche mir noch so viel für das Theater, ich möchte es gern einfach nur mal kurz umarmen und streicheln.

Hier zu den Spielterminen von Selbstbezichtigung/ Peter Handke im Akademietheater!

Lisztstraße 1
1030 Wien
Österreich

Erschienen in
Bühne 10/2025

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Atha Athanasiadis
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