Fidelios großer Häf’n-Showdown
Beethovens „Fidelio“ wird eine der eindrucksvollsten Neuinszenierungen des Jahres – vom Zugang über die Musik bis zum Bühnenbild. Nikolaus Habjan führt Regie, Franz Welser-Möst dirigiert – und wir waren bei den Proben im Arsenal dabei.
Das Leben ist Wiederholung. Vielleicht habe ich es Ihnen schon einmal erzählt, aber es ist so beeindruckend, dass man es durchaus mehrmals erzählen kann: Die Probebühne der Wiener Staatsoper im Arsenal ist schier beeindruckend. Es ist ein Raum, der exakt die Ausmaße der Originalbühne vom Haus am Ring hat.
Von der Länge, der Tiefe – natürlich ohne Zuschauerraum und Unterbühne. Links befinden sich immer ein Tisch für das Leading-Team und eine Wand mit Figurinen der Kostüme und Bildern des Bühnenbilds. Wer also über Majestätswissen der kommenden Produktionen verfügen möchte, sollte dort vorbeischauen.
Das unglaubliche Bühnenbild
Wir von der BÜHNE haben das für Sie gemacht. Während also unsere Fotografin Caro Lenhart den Regisseur Nikolaus Habjan und seine Puppenspieler in Szene setzt, unterhalten wir uns mit Julius Theodor Semmelmann, dem Bühnenbilder. Spektaktulär ist, was er geschaffen hat. Groß. Weitläufig und dann wieder den Raum klein machend. Vor allem das Gefängnisbild gehört schon jetzt zum Eindrucksvollsten, das je auf die Bühne der Staatsoper gebracht wurde. Dieses Bild wird den Staatsopernchor so inszenieren, wie er es verdient – imposant. Wie eine einzige große Schallmauer wird er in den Zuschauerraum fahren. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Nikolaus Habjan lächelt: „Ich habe oft in meinen Inszenierungen das Motto: ,Die einfachste Idee, sauber ausgeführt, ist viel mächtiger, als ein hochdiffiziles Konstrukt, das sich dann in manchen Kurven ausgeht und vielleicht in sich zusammenfällt‘. Diesem Stück hier kann man vertrauen – nicht umsonst ist es seit über 100 Jahren auf dem Spielplan und hat den Wandel der Gesellschaft überlebt – und da denke ich wie Franz Welser-Möst. Die Idee war, den Chor in einem riesigen Wagen nach oben gestapelt an die Rampe zu fahren. Das wird eine unglaubliche Wucht haben.“
Die Idee dahinter
Den Ausgangspunkt dieser Idee – von der wir Ihnen jetzt nicht mehr erzählen dürfen/wollen/sollen – erklärt uns Nikolaus Habjan so: „Wir haben in diesem Konzept Entmenschlichung. Das heißt, wir sehen am Anfang, wie ein Gefangener allem, was seine Identität stiftet, äußerlich beraubt wird. Er bekommt eine Uniform und sogar sein Gesicht wird ihm genommen. Er bekommt eine Maske und wird eingegliedert in diese Gefangenenmaschinerie. Sein Akt kommt in ein Regal, sein Gewand kommt in ein Regal und er selbst kommt in ein Regal. Sein Körper kommt in ein Regal, in ein riesiges Menschen-Gefängnis-Zellen-Regal. Und das zeigen wir.“
Nikolaus Habjan ist ein guter, begeisterter Erzähler. Dass er die Oper „Fidelio“ liebt, spürt man in jedem Nebensatz „Fidelio“, das Werk, mit dem die Wiener Staatsoper 1955 wiedereröffnet wurde. Eigentlich war die „Zauberflöte“ geplant gewesen, aber dann wurde umentschieden. Am Pult stand damals Karl Böhm, der Mann, der bis zuletzt unter den Nazis Direktor war. Eine Blitz-Entnazifizierung, quasi. Deren Unerträglichkeit erklärt auf den folgenden Seiten der Psychiater und Autor Paulus Hochgatterer, der das Libretto des aktuellen „Fidelio“ bearbeitet hat. Die Handlung der Oper in einem Satz: Es ist die Geschichte von Leonore, die sich als Mann (Fidelio) verkleidet, um ihren zu Unrecht inhaftierten Ehemann Florestan zu befreien.
Puppen, wenn’s passt
Jetzt wird diese einzige Oper Beethovens von Nikolaus Habjan inszeniert. Jenem Mann, der mit seinem Puppenspiel berühmt wurde, aber auch ohne gut kann. „,Tosca‘ habe ich ohne Puppen gemacht. Bei mir sind Puppen keine Masche, sondern ich setze die Puppen ein, wenn ich das Gefühl habe, ich kann mit den Puppen etwas erzählen, was ich ohne die Puppen nicht könnte.“
Man muss jetzt nicht besonders lange nachdenken, welche Rolle sich da am besten anbietet: Die von Leonore, die sich als Fidelio verkleidet und in die sich auch noch die Tochter des Kerkermeisters verliebt. (Die Puppe sehen Sie übrigens auf den Fotos.) Die Puppen bringen auch das Verwirrspiel rund um Leonore, die Fidelio spielt, auf eine neue emotionale Ebene. Warum das so ist? Die Handlung wird fürs Publikum verständlicher und die Sänger*innen werden entlastet – sie müssen nicht mehr beides gleichzeitig spielen. Lassen Sie es uns an einem Beispiel erklären:
Die Puppe als Entlastung
Malin Byström wird Leonore/Fidelio singen. Und gerade bei einer der wichtigsten Arien der Oper, der sogenannten Lenore-Arie („Ich folg’ dem innern Triebe, ich wanke nicht (...)“ wird Byström – wie jede andere Sängerin auch – gesanglich und schauspielerisch ganz besonders gefordert. Denn sie muss ja emotional zwei Personen darstellen: Leonore und Fidelio. Nikolaus Habjan: „Es gibt diesen dramaturgischen Unterbau, aber ich entlaste die Sängerin und gebe der Puppe schwere Spielaufgaben und an den richtigen Punkten kann ich das wieder zusammenführen.“
Präzises Sängerin-Puppe-Spiel
Das, was er und sein Team dabei leisten, ist Präzision auf höchstem Niveau. „Wir haben in dem oben genannten Fall Malin Byström auf der Bühne, die sich ihre Soloszene mit einer Puppe teilen muss. Wir haben zwei Puppenspieler*innen. Bis das wie ein Uhrwerk läuft, das dauert.“ Kommt einem da nie die Frage nach dem Warum? Habjan schaut ernst: „Sicher. Es ist ja alles der zehnfache Aufwand. Wir haben diese Szene heute immer und immer wieder geprobt. Dann macht es plötzlich ,Klick‘. Leonore singt: ,Komm, Hoffnung, lass den letzten Stern der Müden erbleichen. O komm, erhell mein Ziel, sei’s noch so fern, die Liebe wird’s erreichen.‘ Leonore/Byström bricht zusammen und dann berührt die Puppe sie ganz leicht an der Schulter. Die Musik baut sich auf und sie steht auf und dann – in diesem Moment – weiß ich wieder, warum ich diese Puppe einsetze.“
Einfach mal Gutes tun
Viel haben wir schon erfahren, aber was will Nikolaus Habjan mit seiner Regiearbeit erreichen? „Paulus Hochgatterer hat diesen schönen Satz gesagt: Vor Moral fürchten sich nur die, die keine haben. Wenn ich es schaffe, einen ,Fidelio‘ zu machen, an dessen Ende die Menschen sagen: Das hat mir gutgetan, das richtet mich auf und das gibt mir den Mut, mich in den alltäglichen Situationen zum Besseren zu entscheiden, niemand muss dafür ein Held sein, aber wenn wir alle am Ende etwas zum Guten wenden, dann würde mich das total freuen.“
Nach so einem Satz müsste man eigentlich das Interview beenden, weil dieser Wunsch so schön und so erhaben ist. Allerdings: Wer über Erhabenheit spricht, der landet zwangsweise wieder bei der Musik Beethovens. Wir machen also weiter im Text. Habjan: „Ausnahmslos alles, was auf der Bühne passiert, ziehe ich aus der Musik. Ich arbeite immer in engster Verbundenheit mit der Musik. Man kann gern beim Libretto über dessen Qualität streiten, aber man kann niemals über die Qualität der Musik streiten. Es ist eine tolle Geschichte über Freiheit und Mut.“
Stimmt. Beim Verlassen der Probebühne stehen wir nochmals vor dem Modell des Bühnenbilds. Es ist die allerletzte Einstellung, bevor der Vorhang fällt. Was man da zu sehen bekommt – auch das dürfen wir nicht verraten. Nur eins: Es ist einzigartig. Es ist groß. Beethoven hätte es geliebt.
„Fidelio“ ist die einzige Oper von Ludwig van Beethoven und handelt von Leonore, die sich als Mann namens Fidelio verkleidet, um sich in jenes Gefängnis zu schleichen, in dem ihr Ehemann Florestan zu Unrecht vom tyrannischen Gouverneur Don Pizarro eingesperrt wurde. Im Gefängnis arbeitet Leonore/Fidelio als Gehilfe des Kerkermeisters Rocco, dessen Tochter sich in Fidelio/Eleonore verliebt. Leonore vereitelt im letzten Moment Pizarros Plan, Florestan zu töten – kurz bevor ein Minister zur Inspektion eintrifft und alle politischen Gefangenen befreit.
Hier geht es zu den Spielterminen von Fidelio in der Wiener Staatsoper!