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Oliver Liebl und Lionel von Lawrence sind seit 29. November 2025 in "Aschenbrödels Traum" in der Volksoper zu sehen.

Oliver Liebl und Lionel von Lawrence sind seit 29. November 2025 in "Aschenbrödels Traum" in der Volksoper zu sehen.
Fotos: Marcel Urlaub / Produktion: Kerstin White

„Aschenbrödels Traum“: Das schönste Match der Saison

Volksoper Wien

Aschenbrödel im Abseits. Und dann: Anpfiff für die Liebe. Die Operette „Aschenbrödels Traum“ erzählt das Märchen neu und lässt eine der Zeitebenen im Fußballkontext stattfinden. Mit den beiden Schlüsselspielern Oliver Liebl und Lionel von Lawrence waren wir am Platz des SC Wiener Viktoria.

Das große Jubiläumsjahr anlässlich des 200. Geburtstags von Johann Strauß neigt sich langsam dem Ende zu. Und gerade, als das Gefühl aufkam, das Werk des Wiener Komponisten sei nun wirklich zur Gänze abgegrast, entsteht und erblüht in den Proberäumen der Wiener Volksoper aus den Fragmenten eines Strauß-Balletts ein vollkommen neues Stück mit dem Titel „Aschenbrödels Traum“. Eine Märchenoperette und eine moderne Geschichte über den Wunsch nach Zugehörigkeit und Sicherheit. Und auch: eine frische, saftig-grüne Spielwiese für jenes spielfreudige Ensemble, das die Volksoper gemeinsam mit Regisseur Axel Ranisch zusammengestellt hat.

Zwei Mitglieder dieser Truppe treffen wir an einem sonnigen Novembertag auf dem Fußballplatz der Wiener Viktoria im zwölften Bezirk. Inmitten von Gemeindebauten wartet der perfekt präparierte Rasen nur darauf, bespielt zu werden. Oliver Liebl und Lionel von Lawrence lassen sich das nicht zwei Mal sagen. Schon werden Pässe ausgetauscht, es fliegt der erste Ball ins Netz. Etwas später, im Interview, werden die beiden erklären, warum sie auch in ihrem Beruf keine Lust darauf haben, den Ball flach zu halten. Und Lionel von Lawrence wird erzählen, warum der zugegeben etwas abgegriffene Satz „Er will doch nur spielen“ sowohl auf ihn als auch auf seine Rolle, den Fußballprofi Danny, zutrifft.

Lionel von Lawrence kam in London auf die Welt und studierte klassischen Gesang und klassisches Musiktheater in Maastricht und Tilburg. Er spielte am Landestheater Linz, im Operettenhaus Hamburg und an der Volksoper Wien. Ebendort ist er auch in „West Side Story“ und in „My Fair Lady“ zu sehen.
Foto: Marcel Urlaub/ STYLING: LIONEL: ROLLKRAGEN PULLOVER VON CHRISTIAN BERG, SPORTJACKE VON LONSDALE, SHORTS VON ADIDAS, SOCKEN VON FALKE, FUSSBALLSCHUHE VON ADIDAS; OLIVER: SHIRT GESTREIFT VON REVIEW
Lionel von Lawrence kam in London auf die Welt und studierte klassischen Gesang und klassisches Musiktheater in Maastricht und Tilburg. Er spielte am Landestheater Linz, im Operettenhaus Hamburg und an der Volksoper Wien. Ebendort ist er auch in „West Side Story“ und in „My Fair Lady“ zu sehen.

Zusammenprall der Zeiten

Doch zunächst einige Worte zum Stück: Am Ende seines Lebens arbeitete Johann Strauß an einem Ballett über das Märchen von Aschenbrödel, das jedoch Fragment blieb. Noch bevor klar war, dass Strauß sein Ballett nicht vollenden wird, wurde ein Librettowettbewerb ausgelobt. Die eingereichten Manuskripte erhielt die Wiener Typistin Ida Grünwald zur Abschrift. Ihr Name auf den Manuskripten hätte seine Fantasie angeregt, erzählt der in Berlin lebende Regisseur Axel Ranisch. „Was, wenn sie ihr eigenes Libretto reingeschummelt hat, in das sich Johann Strauß letztendlich auch verliebte?“

Zusätzlich zur Balletthandlung und zur fiktionalen Geschichte rund um Ida Grünwald haben Axel Ranisch und die vielfach ausgezeichnete Komponistin Martina Eisenreich noch eine weitere Ebene eingezogen: Eine moderne Aschenbrödel-Geschichte, die sich rund um einen ausgrenzten, queeren Buben entspinnt, der sich in den Fußballprofi Danny Robinson verliebt. In jenem Haus, in dem der junge Aschenbrödel mit seinen beiden Stiefschwestern und seiner Stiefmutter lebt, prallen schließlich alle drei Zeitebenen aufeinander.

„Ich bin mir dessen bewusst, dass es Leute geben wird, die sich darüber ärgern werden, dass ich Aschenbrödel spiele. Auch das ist okay.“

Oliver Liebl, Sänger

Enemies to lovers

Zurück auf den Fußballplatz der Wiener Viktoria: Wir sitzen in der Kantine des Vereins und sprechen über die Uraufführung – selbstverständlich unter dem strengen Blick des Viktoria-Trainers Toni Polster, dessen Antlitz hier überall zu sehen ist. Oliver Liebl spielt Aschenbrödel und Lionel von Lawrence den Fußballer Danny. Nach drei Jahren West Side Story“, in der sie nach wie vor die Anführer der beiden verfeindeten Gangs verkörpern, tauchen sie hier in eine ganz andere Gefühlswelt ein, erzählen sie.

„Wer das Stück kennt, weiß, dass es am Ende ziemlich blutig zwischen uns wird“, hält Oliver Liebl fest. Nach einer kurzen Pause fügt er lachend hinzu: „Nach dem ersten Akt sind wir beide tot und abgespielt, weshalb wir viel Zeit hatten, uns privat ein bisschen kennenzulernen.“

Lionel von Lawrence nickt zustimmend und ergänzt: „Sonst wäre diese Arbeit vielleicht schwieriger geworden, denn auf der Bühne assoziiere ich Oliver aufgrund unserer gemeinsamen Szenen schon sehr mit diesem starken Gefühl der Ablehnung. Privat verstehen wir uns aber total gut.“ Das lässt sich auch daran erkennen, dass sich die beiden nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Interview ihre Sätze punktgenau zuspielen. Es passt also.

Oliver Liebl ist gebürtiger Wiener und studierte Schauspiel, Gesang und Tanz am Konservatorium
Wien. 2011 debütierte er
im Stück „Die spinnen,
die Römer!“. Seit 2014
gehört er zum Ensemble
der Volksoper. In derselben Saison
war er für den Österreichischen Musiktheaterpreis nominiert.
Foto: Marcel Urlaub
Oliver Liebl ist gebürtiger Wiener und studierte Schauspiel, Gesang und Tanz am Konservatorium Wien. 2011 debütierte er im Stück „Die spinnen, die Römer!“. Seit 2014 gehört er zum Ensemble der Volksoper. In derselben Saison war er für den Österreichischen Musiktheaterpreis nominiert.

Wobei an dieser Stelle auch erwähnt werden sollte, dass man sich die Geschichte von Aschenbrödel und Danny nicht wie eine klassische Märchengeschichte und auch nicht wie die perfekte, große Lovestory vorstellen sollte, wirft Oliver Liebl ein. „Es ist eher ein Echo des bekannten Märchens und eine zeitlose Geschichte über menschliche Grundbedürfnisse wie Liebe, Zugehörigkeit, Sichtbarkeit und Sicherheit.“

Der Verein

Der Sportclub Wiener Viktoria ist ein Fußballverein aus Wien-Meidling, der 1947 gegründet wurde. Trainer des Regionalligisten ist die Wiener Fußballlegende Toni Polster. Die Wiener Viktoria steht außerdem für die Kombination von Fußball und sozialem Engagement. „Wir nutzen Sport als Instrument für Inklusion, Integration und ein friedliches Zusammenleben, wo man aufeinander Acht gibt und sich unterstützt“, heißt es von Seiten des Vereins. Alle Angebote sind kostenlos und für alle Menschen frei zugänglich. Kurz: „Wir sind ein Platz für Menschlichkeit.“

Fußball für alle

Daran, dass queere Menschen all diese Dinge in Fußballvereinen häufig nicht erleben können, hätte sich leider noch nicht viel geändert, sagt Oliver Egger, Fußballer und Obmann der Ombudsstelle „Fußball für Alle“. Veraltete Vorstellungen von Männlichkeit halten sich in diesen männlich geprägten Strukturen nämlich sehr hartnäckig. „Was Offenheit und Akzeptanz betrifft, kann sich der Männerfußball vom Frauenfußball eine große Scheibe abschneiden“, so Egger, der beim FC Gratkorn spielt und der einzige österreichische Fußballer ist, der offen und öffentlich zu seiner Homosexualität steht. Auch die fehlende Zivilcourage ärgere ihn, so Egger. „Oft bin ich der Einzige, der etwas sagt, wenn auf Sportplätzen homophobe und rassistische Äußerungen getätigt werden.“ Eigentlich hätte er die Ombudsstelle mit gegründet, um sie irgendwann abzuschaffen, doch momentan sieht es ganz und gar nicht danach aus.

„Solange sich Menschen vor ihrem Coming-out fürchten und Angst vor den Konsequenzen haben, wird es solche Initiativen immer brauchen. Eigentlich sollte es aber vollkommen egal sein, wer wen liebt, weil das nichts mit der Leistung oder dem Talent eines Menschen zu tun hat.“

Die Fotolocation: Der Fußballplatz der Wiener VIKTORIA.
Foto. Marcel Urlaub
Die Fotolocation: Der Fußballplatz der Wiener VIKTORIA.

Außerhalb der Komfortzone

Von den beiden Sängern möchten wir noch wissen, wie die Märchenoperette eigentlich klingen wird. Oliver Liebl hält kurz inne, als würde er sich für einen kurzen Moment wieder auf die Probebühne zurückbeamen, und antwortet: „Das ist schwer zu beschreiben, weil sich die Arbeit keinem bestimmten Genre zuordnen lässt. Es gibt Hip-Hop, es gibt aber auch Barbershop- und klassischen Gesang. Das ist für mich aber auch der große Reiz daran.“

Ein guter Zeitpunkt, um zu erwähnen, dass Ranisch und Eisenreich ihre Operette erst kürzlich so beschrieben: „Im Idealfall fühlt es sich so an, als würde eine große, glitzernde Johann-Strauß-Bombe über dem Publikum gezündet.“ Oliver Liebl und Lionel von Lawrence nicken lachend. „Durch die wechselnden Genres wird das Publikum die ganze Zeit über immer wieder neu in den Abend hineingezogen. Immer dann, wenn man glaubt, herausgefunden zu haben, wie es musikalisch weitergeht, gibt es einen Bruch“, beschreibt Oliver Liebl das musikalische Erlebnis, das auf das Publikum zukommt.

„Das erfordert eine große Aufmerksamkeit und ein aktives Zuhören“, fügt Lionel von Lawrence hinzu.

 

Der Fußballrasen der Wiener VIKTORIA: Wo sich Fußball und Oper für das BÜHNE-Covershooting treffen.
Foto: Marcel Urlaub
Der Fußballrasen der Wiener VIKTORIA: Wo sich Fußball und Oper für das BÜHNE-Covershooting treffen.

Es scheint so, als würde die Operette so klingen, wie sich das Leben oft anfühlt: Wenn man denkt, man hätte herausgefunden, wie es läuft, taucht plötzlich eine Hürde auf, die einen dazu bringt, den Lauf der Dinge zu überdenken. Das Glück läge für ihn aber ohnehin außerhalb der Komfortzone, wie Oliver Liebl bemerkt. Nämlich darin, Neues auszuprobieren und Risiken einzugehen. Er beschreibt damit auch zwei Aspekte, die seinem Beruf inhärent sind.

„Der Rahmen ist zwar abgesteckt, auf der Bühne möchte ich aber trotzdem immer offen, durchlässig und verletzlich bleiben“, so Liebl. Lionel von Lawrence schaut seinen Kollegen von der Seite an und hat sofort das passende Beispiel parat: „Die letzten drei Male hat er in unseren Kampf in ‚West Side Story‘ eine irrsinnige Energie reingebracht. Dadurch waren wir beide wieder total im Moment und das Gefühl, einer Choreografie zu folgen, war weg. Obwohl wir, damit es nicht gefährlich wird, natürlich bestimmte Abfolgen bei- behalten müssen.“

Oliver Liebl und Lionel von Lawrence hatten beim BÜHNE-Covershooting sichtlich Spaß.
Foto: Marcel Urlaub / STYLING: OLIVER: T-SHIRT VON JACK & JONES, PULLOVER TRIKOT-STYLE VON COLLUSION, HOSE WIDELEG VON YOURTURN, SNEAKER VON SAMSØE SAMSØE, BRILLE VON ANDY WOLF; LIONEL: ROLLKRAGEN VON COLLUSION, MOHAIR PULLOVER VON CALVIN KLEIN VIA PEEK & CLOPPENBURG, SHORTS VON ADIDAS, STUTZEN VON ADIDAS, FUSSBALLSCHUHE VON PUMA
Oliver Liebl und Lionel von Lawrence hatten beim BÜHNE-Covershooting sichtlich Spaß.

Immer dann, wenn das passiert, hätte das Publikum auch eine Chance, ehrlich mitzufühlen, betont Oliver Liebl. „Das ist wichtiger als jeder schöne Ton, wichtiger als jeder gut gesprochene Satz.“ Interessanterweise sei er immer dann am besten, wenn er überarbeitet ist, wirft der gebürtige Londoner Lionel von Lawrence ein.

„Vielleicht weil ich dann zu müde bin, um eine Mauer aufzubauen. Ich bin davon überzeugt, dass das Publikum immer Menschen auf der Bühne sehen möchte – mit all ihren Stärken und Schwächen. Wobei ich mich beim Singen definitiv am verletzlichsten fühle. Wenn ich tanze oder spiele, kann ich immer ein bisschen etwas kaschieren, beim Singen geht das nicht“, so der Sänger, der erst relativ spät zum Musiktheater fand. „Davor habe ich vor allem Fußball und Computer gespielt. Ich war Fan von LL Cool J und nicht von Schostakowitsch.“

Was Offenheit und Akzeptanz betrifft, kann sich der Männerfußball vom Frauenfußball eine große Scheibe abschneiden.“

Oliver Egger, Fußballer und Obmann der Ombudsstelle „Fußball für Alle“

Einfach nur spielen

Für Oliver Liebl besteht die größte Herausforderung gerade darin, das Aschenbrödel in sich selbst zu suchen. „Ich frage mich, wann ich zum letzten Mal nicht die Liebe und Akzeptanz erfahren habe, die ich gern gehabt hätte. Das ist kein einfacher Prozess, weil es viel mit Verletzlichkeit zu tun hat. Außerdem möchte ich nicht in Klischees tappen. Ich bin mir auch bewusst, dass ich nicht das typische Aschenbrödel bin und es auch Leute geben wird, die es wahnsinnig ärgern wird, dass ich das spiele. Aber auch das ist okay. Ich möchte diese Gefühle einfach so ehrlich wie möglich rüberbringen.“

Lionel von Lawrence teilt einige von Dannys Charakterzügen, andere sind ihm eher fremd: „Der Ruhm und das Geld sind Danny egal, er will einfach nur spielen. Er tut sich jedoch schwer, das offen und ehrlich zu sagen. Was das angeht, bin ich ganz anders. Das ist aber okay, solange es mir gelingt, Verständnis für ihn aufzubringen. Das ist gerade meine Arbeit.“

Aus Feinden werden Freunde. In „West Side Story“ verkörpern Oliver Liebl und Lionel von Lawrence die Anführer zweier verfeindeter Gangs. In „Aschenbrödels Traum“ spielen sie zwei Menschen auf der Suche nach Liebe und Sicherheit.
Foto: Marcel Urlaub / STYLING WIE AM COVER: OLIVER: STRASS-DOPPELREIHER VON CLOTHESANDRUGS, SCHLUPPENBLUSE VON SISTER JANE, HOSE WIDELEG VON FILIPPA K, ABSATZSTIEFEL VON YOURTURN, LIONEL: JACKE + HOSE PLISSIERT VON NIKE, HEMD VON ETERNA VIA PEEK & CLOPPENBURG, KRAWATTE VINTAGE LAVIN, SNEAKER SILBER NIKE
Aus Feinden werden Freunde. In „West Side Story“ verkörpern Oliver Liebl und Lionel von Lawrence die Anführer zweier verfeindeter Gangs. In „Aschenbrödels Traum“ spielen sie zwei Menschen auf der Suche nach Liebe und Sicherheit.

Nach diesem Treffen ist klar: Die beiden Sänger mit Zug zum Tor wissen, dass es sowohl auf dem Fußballplatz als auch auf der Bühne um Zusammenspiel außerhalb der Komfortzone geht. Die intensivsten Emotionen entstehen schließlich dort, wo es brenzlig wird: direkt vor dem Tor. Ob die Wuchtl schlussendlich im Netz landet, ist Nebensache. Am Ende gewinnt sowieso die Liebe.

Hier geht es zu den Spielterminen von "Aschenbrödels Traum" in der Volksoper!

Währinger Straße 78
1090 Wien
Österreich
© Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Erschienen in
Bühne 10/2025

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Sarah Wetzlmayr
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