Ein bunter Strauß Ohrwürmer
In der Operette „Aschenbrödels Traum“ wird eine große, glitzernde Johann-Strauß-Bombe gezündet. Auf magische Weise verschwimmen Zeitebenen und ein rauschendes Fest des Augenblicks entsteht.
Sein allererster Opernbesuch hätte ihm gezeigt, wie es sich anfühlt, wenn für einige Momente die Gesetze von Raum und Zeit aufgehoben werden, erzählt Regisseur Axel Ranisch mit funkelnden Augen. Dass sich dieses Erlebnis in der Wiener Volksoper ereignete, sollte nicht nur erwähnt werden, weil Ranisch nun genau dort inszeniert, sondern ist vor allem deshalb relevant, weil auch in „Aschenbrödels Traum“, seiner sehr freien Bearbeitung der bekannten Aschenbrödel-Geschichte, die Trennlinien zwischen Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen.
Im Idealfall fühlt es sich so an, als würde eine große, glitzernde Johann-Strauß-Bombe über dem Publikum gezündet. Doch dazu gleich mehr. Beim Interview, das über Zoom stattfindet, sitzt der Regisseur in seinem geparkten Passat. Ein Auto, das nicht gerade dafür bekannt ist, Raum und Zeit zu durchbrechen, das sich dafür aber sehr gut eignet, um über jene Momente zu sprechen, in denen genau das passiert.
„Der Ausgangspunkt war, dass Lotte de Beer mich gefragt hat, ob ich mir vorstellen könnte, aus einem Ballettfragment von Johann Strauß, von dem wir nur ein paar Skizzenblätter hatten, ein Stück zu machen“, erzählt der Regisseur und setzt nach:
„In der Beschäftigung mit dem Fragment tauchte rasch der Name Ida Grünwald auf. Grünwald war eine Wiener Typistin, die mit der Aufgabe betraut wurde, alle Manuskripte für den zuvor ausgelobten Librettowettbewerb abzutippen. Ihr Name hat unsere Fantasie angeregt. Wir dachten uns: Was, wenn sie ihr eigenes Libretto reingeschummelt hat, in das sich Johann Strauß letztendlich auch verliebte? Zusätzlich zur Märchenerzählung des Librettos haben wir eine weitere Zeitebene eingezogen, die sich darum dreht, dass ein modernes Aschenbrödel mit seinen Stiefschwestern und seiner Stiefmutter in jenes Haus zieht, in dem Ida Grünwald damals wirkte. An diesem Ort prallen schließlich alle Welten aufeinander.“
Keine Angst vor Kitsch
Wenn Axel Ranisch von „wir“ spricht, meint er damit auch die vielfach ausgezeichnete Komponistin Martina Eisenreich „Musikalisch haben wir uns von dem Fragment gar nicht beeinflussen lassen, sondern sind stattdessen in die Welt der Operette eingetaucht. Der Ausgangspunkt war unsere Liebe zu Johann Strauß. Unsere Lieblingsmelodien ziehen sich wie kleine Goldfäden durch den ganzen Stoff. Am Ende ist es aber trotzdem ein neues, heutiges Gewebe“, erläutert die Komponistin.
Wir sprechen auch darüber, warum die Operette in der Welt des zeitgenössischen Musiktheaters so selten vorkommt. Das Genre erfordere eine gnadenlose Ehrlichkeit derer, die es machen, ist Axel Ranisch überzeugt. „Man muss sich nackiger machen als bei anderen Genres, sonst berührt es nicht.“ Ranisch lacht und fügt hinzu, dass er sicher nicht zu jenen Menschen gehört, die Angst vor Kitsch haben. „Aber Witz und Sentiment sind Kategorien, die für viele Menschen leider nichts mit großer, ernsthafter Kunst zu tun haben. Das halte ich für ein Missverständnis.“
Martina Eisenreich pflichtet ihrem Kollegen und künstlerischen Sparringspartner bei. „Wir wollen Johann Strauß in diesem Stück vor allem als Ikone und als Phänomen betrachten. Bei uns tritt er in Gold auf, so wie wir ihn aus dem Stadtpark kennen. So klingt auch die Musik.“
Wenn sich Axel Ranisch wünschen dürfte, wie das Publikum „Aschenbrödels Traum“ wieder verlässt, dann wäre das „singend, tanzend und gut gelaunt“. Er fände es schön, wenn das Stück Hoffnung versprüht. „Ich möchte, dass die Menschen mit Freude und Energie rausgehen. Ich bin nicht mehr bereit, meine Lebensenergie in Stücke zu investieren, die mir Energie wegnehmen.“ Womit das Publikum sonst noch nach Hause gehen wird? „Mit vielen Ohrwürmern“, ist Axel Ranisch überzeugt.
Hoffnung empfindet Martina Eisenreich auch, wenn sie auf die langsam steigende Zahl an Komponistinnen blickt. „Es tut sich etwas“, hält sie fest, dennoch sei die Branche nach wie vor sehr vom männlichen Geniebegriff geprägt. „Ich finde, dass in der musikalischen Früherziehung noch viel mehr passieren müsste. In den Musikschulen hängen immer noch die traditionsreichen Tafeln alter Meister, auf denen die Frauen einfach fehlen.“
Gegen eine goldene Martina-Eisenreich-Statue im Stadtpark hätten wir auf jeden Fall nichts einzuwenden.
Hier geht es zu den Spielterminen von "Aschenbrödels Traum" in der Volksoper!