Für immer jung: Janáčeks Oper „Věc Makropulos“
337 Jahre alt. Aber schön wie mit 20. In Leoš Janáčeks Oper „Věc Makropulos“ durchlebt eine Frau diesen Menschheitstraum. Marlis Petersen spielt Emilia Marty. Ein Gespräch über Longevity, Stimmverlust, Anerkennung und Jack the Ripper.
Diesseitige Einsamkeit. Mühen sich andere Opern oft vergeblich um Aktualitätsbezüge, wirkt „Věc Makropulos“, 1926 in Brünn uraufgeführt, geradezu wie ein modernes Lehrstück. Die vermeintlich heutigen Themen Anti-Aging und Selbstoptimierung werden dabei kunstvoll in einen Erbschaftsthriller verwoben und offenbaren einmal mehr, dass der Wunsch nach ewiger Jugend so alt ist wie die Menschheit selbst.
Im Zentrum der Handlung steht ein lebensverlängerndes Elixier, das der Arzt Hieronymus Makropulos einst auf Geheiß von Kaiser Rudolf II. erfand und erfolgreich an seiner schönen Tochter Elina ausprobierte. Diese weilt seit nunmehr 337 Jahren auf der Erde, nennt sich gegenwärtig Emilia Marty, durchlebte über die Generationen zahlreiche Affären und kann zu einem seit hundert Jahren schwelenden Hinterlassenschaftsstreit Informationen aus erster Hand beitragen.
Glücklich ist sie dabei nicht. Denn auch ein keine äußeren Spuren hinterlassender fortwährender Kreislauf führt zu emotionalen Abnützungserscheinungen.
Peter Stein inszenierte das fesselnde Stück 2015 für die Wiener Staatsoper, wo es nun nach zehn Jahren Pause wieder auf dem Spielplan steht. Marlis Petersen sang die Rolle der Emilia Marty bereits 2022 in Berlin und kehrt damit nun nach Wien zurück. „Das Sujet ist in der Oper eine Ausnahmeerscheinung“, erklärt die Sopranistin den Reiz der Partie. „Die Geschichte einer Frau, deren ganzes Leben eine endlose Wiederholung ist, der immer wieder alle Bezugspersonen wegsterben und die sich am Ende für den Tod entscheidet, weil sie nicht mehr will, ist ebenso spannend wie dramatisch.“
Alter Chip in neuer Hülle
Leoš Janáček hatte eine klare Meinung zur Thematik : „Wir sind deshalb glücklich, weil wir wissen, dass unser Leben nicht zu lange währt. Deshalb ist jeder Augenblick zu nutzen, gehörig auszuleben“, schrieb er in einem Brief an Kamila Stösslová. „Ich denke auch, dass die Magie unseres Daseins darin liegt, dass wir gehen. Auch die schwierigen, traurigen, ärgerlichen Momente bedeuten Leben und sollten nicht weggedrückt, sondern bewusst wahrgenommen werden. Persönlich glaube ich an eine Wiederkehr. Ich denke mir die Seele wie einen Chip, auf dem viele Dinge gespeichert werden. Irgendwann ist die Hülle kaputt, der Chip wird in die nächste Hülle eingesetzt und neben den bereits vorhandenen Informationen mit neuen beschrieben“, hat Marlis Petersen einen buddhistisch anmutenden Zugang.
Sie verstehe die Suche nach lebensverlängernden Methoden – die sich mittlerweile unter dem Schlagwort Longevity zum milliardenschweren Industriezweig entwickelt hat – zwar, weil wohl jeder in irgendeiner Form Angst vor dem Tod habe, bedauere aber, dass darob viele die Schönheiten des Alters nicht goutieren könnten. „Dabei gibt es so viele aufregende, lebenskluge Momente. Wir können aber schwer loslassen, weil wir zu Kontrollfreaks erzogen werden, die immer alles im Griff haben wollen. Wenn man älter wird, muss man aber lernen, loszulassen, wobei sich ohnehin immer eine andere Tür öffnet, hinter der sich wieder etwas Reichhaltiges verbirgt.“
Harte Schule
Sie selbst habe vor zwei Jahren richtig loslassen müssen, als sie während einer Produktion plötzlich ihre Stimme verlor. Und diese auch nicht so schnell wiederkam. „Ich musste aufhören, komplett aussteigen aus dem Beruf, am Anfang konnte ich nicht einmal mehr sprechen. Es wurde mir schnell klar, dass mein Problem psychosomatisch war, weil sich nach 30 Jahren auch unschöne Erfahrungen angesammelt hatten, die sich auf meine Seele schlugen. Ich wollte in meinem Fach immer die Beste sein und plötzlich war es damit vorbei.“ Sie habe sich langsam und mühsam zurückkämpfen müssen und empfinde ihre Stimme heute umso mehr als Geschenk. Für sich und für andere. „Ich wähle meine Projekte nun viel sensibler aus. ,Věc Makropulos‘ ist die erste Opernproduktion seit zwei Jahren. Ich habe sofort zugesagt, weil es sich richtig anfühlt. Man kann den Erfolg nach einer solchen Erfahrung auch viel mehr wertschätzen und freut sich umso mehr über die Anerkennung des Publikums.“
Ihre Paraderolle, Alban Bergs „Lulu“, die Marlis Petersen in zehn unterschiedlichen Inszenierungen weltweit Triumphe bescherte, hat sie bereits vor zehn Jahren freiwillig ad acta gelegt. Warum eigentlich? „Sagen wir es einmal so: Das Frauenbild der Lulu ist ein besonderes. Und es wirft Schatten aufs Gemüt, immer wieder von Jack the Ripper auf der Bühne aufgeschlitzt zu werden. Das gräbt sich tief in das eigene Sein. Als Sängerin gebe ich immer hundert Prozent, da war es einfach gesund, mich von dieser Figur zu verabschieden.“ In „Věc Makropulos“ ist Marlis Petersen nun an drei Abenden zu erleben.
Zu den Spielterminen von "Věc Makropulos“ in der Wiener Staatsoper!