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Foto: Andreas Jakwerth

Elīna Garanča sagt an

Wiener Staatsoper

Die Jahrhundert-Mezzosopranistin über Krisen, neue Perspektiven, kommende Rollendebüts und Idioten. Ein Gespräch.

"Ich bin Vintage“, sagt sie. Und man denkt sich: wie jetzt? Einer der größten und erfolgreichsten Opernstars der Welt hadert mit sich und dem Lauf der Welt? Aber mit was genau? Man könnte sich in der Begrifflichkeit verlieren und fragen, welches der vielen „Vintage“ sie meint. Das Vintage aus der Weinkunde? Das altmodische oder das klassische Vintage? Das Flohmarkt-Vintage? Das Retro-Look-Vintage? Nur eine weiß, was sie gemeint hat: Elīna Garanča – und die fragen wir genau so, wie sie Gespräche am liebsten führt: direkt.

Was bitte ist Vintage an Ihnen?

Na ja: ich! (lacht) Ich bin Vintage – ich habe zwei Drittel meines Lebens bereits gelebt.

Das ist aber eine unfaire Rechnung.

Es ist halt so.

Macht Sie das nachdenklicher?

Na sicher, wie nicht? Ich werde nächstes Jahr 50 Jahre alt und da wird man nachdenklich und denkt sich: Ich habe jetzt die letzten zehn Jahre meiner Karriere vor mir und der Großteil ist gelebt und hinter mir.

Ist das eine Krise?

(lacht) Bislang war mein Leben ein einziger Marsch nach vorne und der wurde von der Garanča diktiert. Aber die Elīna gibt es auch noch und die will auch einmal bestimmen und sagen, wo es langgeht, und sie will auch einmal leben. Und genau darüber denke ich nach. Ich will nicht mehr nur dienen, nicht mehr nur auftreten und mich mit all dem, was rundherum passiert, auseinandersetzen.

Singt man anders, wenn das Nachdenken einsetzt?

Nein. Ich gebe immer das Maximum. Wenn ich auf die Bühne gehe, dann liefere ich die beste Performance, dafür habe ich immer gebrannt und dafür werde ich auch immer brennen. Ich brenne aber nicht heller, weil mir weniger Zeit bleibt – ich brenne anders, das macht die Lebenserfahrung, und damit verändern sich auch die Partien, die ich singe.

Bisher hat die Garanča das Tempo diktiert – jetzt will aber endlich Elīna sagen, wo es langgeht.

–Elīna Garanča

Welche Rolle gibt am meisten von Elīna Garančas wahrem Charakter preis?

Die Santuzza aus der „Cavalleria rusticana“. Ich fühle mich mit ihr sehr verbunden. Es gibt da keine persönliche Geschichte, die ihrer ähnelt. Aber ich bewundere ihre Würde, mit der sie ihr Schicksal trägt, wie sie Unrecht erkennt und benennt, ihre Moral. Darin ähnelt diese Rolle mir sicher am meisten.

Welche ihrer Rollen, die Sie singen, ist vollkommen?

Das von nur einer Rolle abzuleiten, könnte ich nicht. Es gibt in jeder Lebensphase Rollen, mit denen ich mich identifiziert habe. Also eine Zeit lang war ich total Carmen (lacht), weil ich meinte: So wie Carmen lebt und denkt, dass bin total ich. Inzwischen schaue ich auf diese Phase und denke mir: Das war ich, aber das bin ich nicht mehr. Davor war es die Charlotte oder die Dorabella aus „Così fan tutte“. Aber mit dem Alter sieht man Charaktere anders. Es war ein unglaublicher Traum, die Amneris zu singen. Und bevor Sie fragen (lacht): Für die Zukunft überlege ich, die Medea zu singen. Ich habe selber zwei Kinder und ich würde gern verstehen, warum Medea ihre eigenen Kinder umgebracht hat.

Na ja. Ich habe selber Kinder. Nicht, dass ich sie je umbringen wollte, aber sie bringen einen schon ans Limit ...

(lacht) Also ich habe meine Kinder auch ein-, zweimal angebrüllt, so wie es jede Mutter macht. Ich glaube, das ist normal. Aber ich bin nicht stolz darauf und habe mich auch immer dafür entschuldigt. Viele Frauen fragen mich, wie ich das mit den Kindern und der Karriere manage. Ich sage immer: Ich habe kein Buch für die perfekte Mutterschaft. Ich improvisiere mich durch den Tag und jeder Tag bringt etwas Neues. Wir kommen wieder zum Anfang unseres Gesprächs zurück: Die Langzeitplanung für die Karriere der Garanča ist nicht mehr primär – primär ist das Leben von Elīna und ihrer Familie. Und ich will jetzt beginnen zu leben.

Was ist Ihre Definition des perfekten Tons?

Es sind die Momente, in denen Seele und Gehirn gleichermaßen entspannt den Ton fließen lassen. Das befriedigt einen innerlich. Manchmal findet das Publikum Töne perfekt, nicht weil sie perfekt klingen, sondern weil sie für das Publikum die richtige Emotion treffen. Ich habe viele Jahre hart gearbeitet, um mir eine Sicherheit in der Technik zu erarbeiten. Wenn ich jetzt auf die Bühne gehe, dann arbeitet dieser Computer immer weniger und der Körper reagiert einfach. Denn am Ende reagiert das Publikum nicht auf Technik, sondern auf die pure Emotion. An diesem Punkt ist das Treffen des richtigen Tons völlig unwichtig.

Elīna Garanča beim Treffen mit der BÜHNE im „Hotel Sacher“.
Foto: Andreas Jakwerth
Elīna Garanča beim Treffen mit der BÜHNE im „Hotel Sacher“.

Muss man an etwas glauben, um schön zu singen?

Spiritualität ist wichtig. Ob man an Gott, Buddha, Allah glaubt, das ist Nebensache. Spiritualität ist das, was wir brauchen. Weil wir die Menschen auf einer Ebene berühren, die wir nicht beschreiben können. Wenn du die Türe offen hast, dann kannst du den Menschen auch den Weg zeigen.

Warum, glauben Sie, hören wir noch immer Puccini und Co, aber können davon ausgehen, dass man in hundert Jahren Musik von Taylor Swift nicht mehr hören wird?

Verdi, Puccini und all die anderen haben etwaskreiert, das Menschen in einer anderen Tiefe trifft. Bei Taylor Swift ist alles sehr visuell, es geht sehr schnell, es sind Botschaften an der Oberfläche. Es ist wie bei einer Netflix-Serie: Man zappt weiter und hat schnell vergessen, was man vor einer Woche gesehen hat. Es berührt nicht nachhaltig. Ich vermisse überhaupt große Sängerpersönlichkeiten wie Tom Jones, Madonna, Sinatra, Whitney Houston, Amy Winehouse und viele andere, die hinter ihrer Stimme echte Persönlichkeiten waren – und dadurch wiederum wurde deren Stimme geformt.

Wenn man Ihre Stimme hört und die Augen zuhat, dann weiß man sofort, wer da singt ...

(lacht) Christa Ludwig hat das Gegenteil behauptet und gesagt, dass meine Stimme keinerlei Wiedererkennbarkeit hat.

Na ja. Man sagt, die Ludwig hat nur gegen Sänger gezickt, die sie bewundert hat ... Worin liegt der Unterschied für Sie als Sängerin, wenn Sie Wagner oder Verdi singen? Wie ändern sich die Anforderungen an Ihre Stimme?

Verdi schrieb mit Blick auf die Sänger, bei ihm kann man seine Fähigkeiten präsentieren, die schönen, hochfliegenden Melodien genießen, während Wagner die Sänger als gleichwertig mit einem Orchester ansah und daher mehr Kraft, Ausdauer und Volumen einfordert. Bei Wagner, finde ich, wird die Stimme wie eine Schraube in die Weltuhr eingesetzt.

Elīna Garanča mit Raiffeisen-Generalanwalt Erwin Hameseder (li.) und Veranstalter Hans Holzer (AMI Promarketing). Raiffeisen ist Hauptsponsor des Garanča-Konzerts in Grafenegg und des
Zukunftsstimmen-Projekts; beide wären ohne die Unterstützung von Raiffeisen nicht umsetzbar.
Foto: Katharina Schiffl
Elīna Garanča mit Raiffeisen-Generalanwalt Erwin Hameseder (li.) und Veranstalter Hans Holzer (AMI Promarketing). Raiffeisen ist Hauptsponsor des Garanča-Konzerts in Grafenegg und des Zukunftsstimmen-Projekts; beide wären ohne die Unterstützung von Raiffeisen nicht umsetzbar.

Woran denken Sie, wenn Sie eine Arie singen: an die Musik oder auch noch an andere Dinge?

Normalerweise versuche ich, eine Verbindung zwischen der Arie oder dem Lied und meinen eigenen Emotionen und Erfahrungen zu finden, oder ich stelle mir etwas völlig Fiktives vor, je nachdem, was ich singe. Opernrollen erfordern viel mehr Vorbereitung, da ich wirklich jemand anderer werden und über Details nachdenken muss: Wie bewegt sich diese Person? Aus welchen Gründen wird sie geliebt oder gehasst. Es ist wie in meinem eigenen Walt-Disney-Studio. Es ist eine Art Softwareprogramm, das in meinem Kopf abläuft, wo dann Technik mit schönen Bildern ausgestattet wird.

Was ist Ihr Lieblingswitz?

(lacht) Ein Tourist fragt einen Passanten auf der Straße: „Entschuldigen Sie, wie komme ich zur Oper?“ – Darauf der Passant: „Üben. Ganz viel üben!“

Woran erkennen Sie einen Idioten?

Das ist sehr einfach: Er hört nie zu und denkt immer, dass er recht hat.

Sie suchen mit Ihrer Aktion „Zukunftsstimmen“ nach neuen Talenten: Was sollten junge Sängerinnen und Sänger außer ihrer Stimme zum Casting mitbringen?

Als junger Sänger musst du erst einmal die Technik beherrschen; wenn du weißt, wie ein Auto fährt, dann kannst du auch bei Regen oder Schnee fahren. Viel wichtiger ist aber die Mischung aus Potenzial und Authentizität. Heutzutage gibt es so viele Wunderkinder mit unglaublichen technischen Fähigkeiten, aber oft bringen diese nicht mehr zustande als eine Abfolge von perfekten lauten und hohen Tönen. Technik ist wichtig, aber eine überzeugende Geschichte voller Emotionen ist viel interessanter. Am Ende macht einen die Virtuosität müde. Irgendwann willst du den Menschen kennenlernen und sehen. Es ist, wie wenn man verliebt ist oder wenn man geliebt wird.

Opernring 2
1010 Wien
Österreich
Unsplash

Erschienen in
Bühne 01/2026

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Atha Athanasiadis
Atha Athanasiadis
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