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Erfolgreiches Gespann. Hannah-Theres Weigl (r.) kämpft als DʼArtagnan gemeinsam mit Magnus-Remy Schmidt (l.) in der Rolle des Pferds Holgär für Gerechtigkeit.

Erfolgreiches Gespann. Hannah-Theres Weigl (r.) kämpft als DʼArtagnan gemeinsam mit Magnus-Remy Schmidt (l.) in der Rolle des Pferds Holgär für Gerechtigkeit.
Foto: SF/ Marco Borrelli

Die drei Musketiere reiten durchs NEST

Wiener Staatsoper

D’Artagnan und Pferd Holgär gegen ein goldenes Croissant und die destruktive Kardinälin. In der vitalklugen Kinderoper „Musketiere!“ ist man der Gerechtigkeit solidarisch auf der Spur. David Bösch inszeniert. Hannah-Theres Weigl intoniert.

Völlig losgelöst. Die Segnungen der modernen Technologie machen sich nicht nur allabendlich auf der Bühne bemerkbar, sondern bringen es auch mit sich, dass Zeit, Ort und Distanz bei Interviews keine Rolle mehr spielen.

David Bösch sitzt in einem Café in Linz, wo er als Schauspieldirektor des Landestheaters fungiert, und teilt seine Gedanken via Teams mit. Der Akku seines Mobiltelefons ist fast leer, doch die Energie des Regisseurs ist ungebrochen. Hannah-Theres Weigl beweist zwei Tage später im Besprechungszimmer der Wiener Staatsoper ein hohes Aktivitätslevel. Die junge Sopranistin wird in „Musketiere!“ – der neuen Kinderoper von Komponist Sebastian Schwab und Librettist David Bösch, die heuer bei den Salzburger Festspielen ihre Uraufführung erlebte und nun ans NEST kommt – D’Artagnan verkörpern. Ein furchtloses Mädchen, das Musketierin werden will, um das Land von seinem selbstverliebten König und dessen Beraterin, der geltungssüchtigen Kardinälin, zu befreien. Beiden dient ein goldenes Croissant als Machtinstrument, das die Fähigkeit besitzt, Unheil zu stiften und die Menschen zu spalten.

Also muss der maliziöse Einfluss des fatalen Gebäcks gebrochen werden. D’Artagnan zur Seite stehen das sprechende Pferd Holgär und der ebenso liebenswürdige wie tollpatschige Portos, ein Schüler des geheimnisvollen Meisters Wu, dessen Figur wiederum an die Animationsserie „Ninjago“ angelehnt ist. So weit, so schräg.

Aber wie viel Alexandre Dumas steckt überhaupt noch in dieser Produktion? „Wenn man den Kern betrachtet, dann würde ich sagen, 100 Prozent“, ist David Bösch überzeugt. „In den Grundthemen sind wir nah dran am Original, weil auch wir der Frage nachgehen, was Gerechtigkeit bedeutet, und das Abenteuer in den Fokus rücken.“

Auch das Credo der Verfilmungen komme nicht zu kurz. „Bei uns heißt es allerdings ,Eine für alle‘ und ,Alle für alle‘. In der literarischen und musikalischen Umsetzung sind wir hingegen zeitgenössisch und heutigen kindlichen Vorstellungen sicher näher“, erläutert er die abweichenden Merkmale.

„Ich bin ein großer Pixar-Fan und würde diese Arbeit Pix-Opera nennen, weil auch wir versuchen, dem Tiefgang des Stoffs gerecht zu werden und gleichzeitig mit viel Humor, Kreativität, Leichtigkeit und Freude an die Sache heranzugehen. Mein achtjähriger Sohn war sozusagen das dramaturgische Rückgrat der Produktion, an dessen Lebensrealität und Fantasiewelt wir uns orientieren konnten.“

„Am Ende meiner ersten Gesangsstunde habe ich eine bis dahin nicht gekannte Freiheit gespürt.“ Hannah-Theres Weigl, Sängerin
Foto: Shirley Suarez
„Am Ende meiner ersten Gesangsstunde habe ich eine bis dahin nicht gekannte Freiheit gespürt.“ Hannah-Theres Weigl, Sängerin

Zeit für Heldinnen

Dass D’Artagnan in „Musketiere!“ weiblich ist, will David Bösch nicht pädagogisch interpretiert wissen. Denn mittlerweile sollte ohnehin bekannt sein, dass auch Mädchen dynamisch, laut und führungsstark sein können.

„Mir schien es logisch, das Stimmfach Sopran zu wählen, weil dadurch die Verlorenheit, die D’Artagnan auch immer wieder verspürt, gut zum Ausdruck kommt. Gleichzeitig finde ich es schön, die tradierten männlichen Rollenbilder aufzubrechen. In der Kinder- und Jugendliteratur passiert das natürlich längst, aber im europäischen Theater, das sich noch immer stark mit klassischen Stoffen beschäftigt, sind Heldinnen nach wie vor selten. Ich finde, Uraufführungen bieten eine Chance – und haben eigentlich sogar die Verpflichtung –, das zu ändern. Man sollte natürlicher damit umgehen.“

Das Schreiben nimmt im Wirken von David Bösch inzwischen breiten Raum ein. 2002 formulierte er für das Düsseldorfer Schauspielhaus einen neuen „Robin Hood“, 2024 trat er mit „Keine Pinguine, nirgends“ am Staatstheater Nürnberg als Dramatiker hervor. Und im September 2025 feierte sein Stück „Das Derby – Ein Stück Fußball in zwei Halbzeiten” über die Rivalität zwischen dem FC Blau-Weiß und dem LASK am Linzer Landestheater Premiere. Dass es sich bei „Musketiere!“ um eine Oper handelt, war für den musikbegabten Regisseur keine Erschwernis. „Sebastian Schwab war glücklich mit dem Libretto“, lacht er. „Unsere Fantasien haben so gut gematcht, dass wir bereits an einem Nachfolgeprojekt arbeiten.“

Hannah-Theres Weigl

wurde früh Mitglied der „bayerischen staatlichen Förderklasse“, in deren Rahmen sie im Alter von 16 Jahren ihr Operndebüt als Belinda in „Dido und Aeneas“ gab, studierte Sologesang am Tiroler Landeskonservatorium, machte ihren Master an der mdw und ist seit der Spielzeit 2024/25 Mitglied des Opernstudios der Wiener Staatsoper, wo sie unter anderem als Barbarina in „Le nozze di Figaro“, Ida in „Die Fledermaus“ und Papagena in „Die Zauberflöte“ auf der Bühne stand. In der Kinderoper „Sagt der Walfisch zum Thunfisch“, mit der die neue Spielstätte NEST eröffnet wurde, verkörperte sie die Rolle des ICH.

Jung, spielfreudig, talentiert

Aus dem Ensemble, das „Musketiere!“ bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt hat, sind in Wien mit Hannah-Theres Weigl als D’Artagnan und Magnus-Remy Schmidt in der Rolle des Pferds Holgär zwei der drei Titelfiguren präsent. Wie hat sich die Arbeit mit Darstellern am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn für den Regisseur gestaltet?

„Sehr schön. Für junge Menschen sind die Probleme der Kindheit nicht weit weg, sie sind noch offen dafür und interessiert daran. Im klassischen Genre gibt es Rollen, die schon von hunderten – oftmals bedeutenden – Sängerinnen oder Sängern verkörpert wurden. Man wird ständig verglichen. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Uraufführung wie diese, wo es noch keine Referenzen gibt, also auch etwas Befreiendes hat.“

Dem kann Hannah-Theres Weigl vollumfänglich zustimmen. „Es tut schon gut, wenn es einmal keine Vorbilder gibt, was die Interpretation angeht, sondern man in Absprache mit der Regie individuell entscheidet, was diese Rolle bedeuten könnte. Das gibt einem nicht nur szenisch eine große Freiheit, sondern auch musikalisch.

Dazu kommt, dass wir sowohl mit dem Komponisten als auch mit dem Autor in einem offenen Dialog sein und bei Bedarf Änderungen vornehmen konnten“, erläutert die deutsche Sopranistin mit momentanem Wohnsitz Wien. D’Artagnan sieht sie altersmäßig in einer Übergangsphase vom Mädchen zur jungen Frau. „Sie steht für große Werte, hat starke Ziele, kämpft für Freiheit und Gerechtigkeit, denkt selbstständig und nimmt Herausforderungen an. Natürlich ist sie abenteuerlustig und mutig, aber auch klug und ehrlich in ihren Emotionen. Sie zeigt sich von ihrer vulnerablen Seite und muss früh Rückschläge einstecken, was dem Publikum viele Identifikationsmöglichkeiten bietet.“

Der Humor kommt dabei ebenfalls nicht zu kurz. „Etwa bei der Szene, als Holgär und Portos einander zum ersten Mal begegnen und den jeweils anderen nicht recht einschätzen können. Portos zieht ein Laserschwert, Holgär hält mit einer Karotte als ,Waffe‘ dagegen. Bei dieser Szene lachen die Kinder jedes Mal laut los und man muss sich auf derBühne einigermaßen im Griff haben, um weitersingen zu können.“

Der breite Mix an Gefühlen – von Wut und Entsetzen über Melancholie und Trauer bis hin zu Neugierde und Freude – sei gesanglich herausfordernd. „Man muss von Anfang an präsent sein, weil es gleich zu Beginn große Sprünge über mehrere Oktaven zu bewältigen gilt.“

„Mein achtjähriger Sohn war das dramaturgische Rückgrat der Produktion.“
David Bösch, Regisseur & Autor
Foto: Philip Brunnader
„Mein achtjähriger Sohn war das dramaturgische Rückgrat der Produktion.“ David Bösch, Regisseur & Autor

In Opas Fußstapfen

Sie habe sich schon als Kind sehr für Musik interessiert, wenn auch nicht spezifisch für Oper. „Ich durfte mich frei ausprobieren, habe unterschiedliche Instrumente gespielt und im Kinderchor gesungen.“ Ihr Großvater wäre gern Opernsänger geworden, habe aber das elterliche Hotel übernehmen müssen.

„Trotzdem hat er Wege gefunden, seiner Leidenschaft nachzugehen, und sich mit dem ersten Geld, das er während seiner Kochlehre verdient hat, Gesangsstunden finanziert. Später hat er jeden Sonntag gemeinsam mit den Gästen gesungen.“ Umso bedeutender sei es für sie gewesen, dass er auch noch ihrem professionellen Debüt als Papagena in „Die Zauberflöte“ beiwohnen konnte.

An ihre erste Gesangsstunde kann sich Hannah-Theres Weigl lebhaft erinnern. „Ich kannte lediglich Opernaufnahmen und dachte an ein riesiges Orchester und imposante Stimmen. Dementsprechend hatte ich keine großen Erwartungen an mich. Am Ende der Stunde habe ich allerdings eine bis dahin nicht gekannte Freiheit gespürt. Ich war 13 und wusste, dass ich das studieren möchte.“ Hat sie dann auch. Parallel dazu machte sie auch noch ein Diplom in Musik-Management. „Nicht als Plan B, sondern weil ich dabei Dinge lernen konnte, die meinen künstlerischen Alltag betreffen.“

Der Beruf sei auch Lebensschule und biete einem Persönlichkeitsentwicklung im Schnelldurchlauf. „Und er ist Hochleistungssport, für den man viel üben muss. Ich bin meinen Nachbarn dankbar, dass sie sich nicht allzu oft darüber beschweren, wenn ich zum x-ten Mal eine Phrase wiederhole.“ Musik verbindet also nicht nur universell, sondern auch Hausgemeinschaften. „Sie holt jeden an dem Punkt ab, an dem er sich gerade befindet, und hat die Kraft nachzuklingen. Manchmal bewegt sie einen noch wochenlang, obwohl man sie doch im Augenblick erlebt.“

Hier gehts zu den Spielterminen von "Musketiere!" im NEST!

Karlsplatz 5
1010 Wien
Österreich

Erschienen in
Bühne 09/2025

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