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Stefan Herheim im BÜHNE-Interview.

Stefan Herheim im BÜHNE-Interview.
Foto: Hilde van Mas

Großes Flattern

MusikTheater an der Wien

Zum Abschluss des Johann-Strauss-Jahres widmet sich Stefan Herheim dessen Bestseller „Die Fledermaus“. Im Interview spricht er über Verlogenheit, Eitelkeit und Doppelmoral, die leichte Muse als Realitätsgegengift, seine Zeit als „Diener“ von Jochen Kowalsk und die ikonische Rolle des Frosch.

Es wird opulent. Es wird leichtlebig. Es wird scharfsinnig. Und es wird lustvoll. So viel lässt sich nach einem Probenbesuch des Johann-Strauss-Klassikers „Die Fledermaus“, die am Ort ihrer Uraufführung, dem Theater an der Wien, von Intendant Stefan Herheim neu inszeniert wird, schon verraten. Petr Popelka wird die von ihm geleiteten Wiener Symphoniker dirigieren und verspricht, „etwas Besonderes daraus zu machen“ (mehr dazu hier). Wir trafen Stefan Herheim zum Gespräch.

Sie haben das Strauss-Jubiläumsjahr mit dessen wenig bekannter Operette „Das Spitzentuch der Königin“ eingeläutet und lassen es nun mit „Die Fledermaus“ ausklingen. Was hat Sie an diesem bereits tausendfach gespielten Blockbuster gereizt?

In der Rezeption vieler berühmter Komponist*innen gibt es eine Schieflage zwischen ausgereizter Beliebtheit und unbeachteter Qualität und bei Strauss ist diese besonders groß. Niemand kannte Das Spitzentuch der Königin“ mehr, eine Operette, die ihrerzeit erfolgreicher war als die aus dem heutigen Standardrepertoire nicht wegzudenkende „Fledermaus“.

Beide Werke sind unzertrennlich mit Wien verbunden und ebenso mit den Befindlichkeiten im damaligen königlich-kaiserlichen Vielvölkerstaat. Nicht nur die hohe Anzahl von Sprachen machte die Verständigung im Reich der Habsburger mühsam. So resolut die Staatsmacht gegen politische Revolutionäre auch vorging, unter dem Kaiser blühte ein liberales Musikleben und nirgends mischten sich die Stände und kulturelle Eigentümlichkeiten wie in Wiens Redoutensälen. Hier kam die künstlerisch erzeugte Eintracht in einer Walzerseligkeit zum Ausdruck, die daraufhin in den Operetten auf die Spitze getrieben wurde.

Es wird behauptet, der Erfolg des Stücks liege an der lustvollen Sprengung aller Grenzen. Worin liegen für Sie seine Qualitäten?

Zunächst liegen sie in der Größe der Musik, wofür die romantische Oper fraglos Pate stand. So wie Strauss sie parodierte, wurde seine Liebe zum tragischen Musikdrama unüberhörbar. In einen komischen Kontext versetzt, kommt das melodramatische Pathos einer Rosalinde natürlich vor allem „ex negativo“ zum Tragen. Wie weit Strauss hiermit den Riss versinnbildlichen wollte, der durch die Fassade der Gesellschaft ging, und inwiefern „Die Fledermaus“ wirklich ein subversives Stück Musiktheater ist, bleibt allerdings umstritten. Zum Beispiel fand der mehrfach für den Literaturnobelpreis vorgeschlagene Offenbach-Verehrer Karl Kraus an der Wiener Operette gar nichts lustig, sondern sah darin eine stumpfsinnige und sentimentale Hinnahme eines kulturellen Verfalls, der Ressentiments förderte und zu den kriegerischen Katastrophen im 20. Jahrhundert führen sollte.

Teamplayer. Regisseur Stefan Herheim (M.) im Gespräch mit Viktor Mitrevski (Einstudierung Arnold Schoenberg Chor, l.) und einem Sänger des Chors bei den Proben für „Die Fledermaus“.
Foto: Peter Mayr
Teamplayer. Regisseur Stefan Herheim (M.) im Gespräch mit Viktor Mitrevski (Einstudierung Arnold Schoenberg Chor, l.) und einem Sänger des Chors bei den Proben für „Die Fledermaus“.

Spielt die Fledermaus auch in Ihrer persönlichen künstlerischen Sozialisierung eine Rolle?

Als ich sechzehn war, übernahm das Opernhaus meiner Heimatstadt Oslo eine Produktion der Volksoper Wien in der Regie von Robert Herzl, in der ich als Statist mitwirken durfte. Es gab viele Aufführungen und bei einigen traten Gäste auf, die auf Deutsch sangen, obwohl die Vorstellung in norwegischer Sprache lief. Besonders beeindruckt hat mich damals Jochen Kowalski als Prinz Orlofsky. Denn ich träumte selbst davon, Countertenor zu werden, und auf meinen Zugreisen durch Europa, die mich an viele Opernhäuser führten, hatte ich auch die Komische Oper Berlin besucht, wo Kowalski in vielen seiner Paraderollen auftrat.

Jetzt stand ich auf einmal neben ihm auf der Bühne und sollte ihm als sein Diener den Champagner einschenken. Ich war aber in seiner Gegenwart so nervös, dass meine Beine erstarrten. Kowalski wartete, ging dann ganz nah an mich heran und starrte mir lange in die Augen, bevor er mir die Flasche aus der Hand riss. Das hat einen Lacher erzeugt und seitdem wurde die Szene immer so gemacht.

Die Operette entstand im Schatten eines Börsenkrachs und versinnbildlicht die zutiefst verlogene Gesellschaft. Um Aktualitätsbezüge müssen Sie sich als Regisseur also keine Sorgen machen?

Verlogenheit, Eitelkeit und Doppelmoral waren immer Gegenstand der Komödie. Aber selbst mit der später stark erweiterten Froschszene, die viel Raum für Politsatire gibt, bleibt „Die Fledermaus“ eine Operette oder eine „kleine Oper“, wie Strauss sie nannte. Die Figuren sind den Traditionen des Singspiels verbunden und bieten kaum Gelegenheit für eine Modernisierung, die auf eine heutige, unmittelbare Identifikation zielt. Relevanz und aktuelle Brisanz besitzen sie vielmehr als Vertreter einer Welt von gestern, die in unserem kollektiven Gedächtnis herumspuken und uns in Erinnerungen an verlorene Zeiten schwelgen lassen. Dass unter der Oberfläche dieses Spiels tiefe Ängste und Sehnsüchte lauern, die jenseits der Kunst fatale gesellschaftliche Folgen haben können, liegt auf der Hand.

Erstklassige Besetzung. V. l.: Ines Hengl-Pirker
(Ida), Alina Wunderlin
(Adele), Thomas Blon-
delle (Eisenstein), Hulkar
Sabirova (Roselinde),
Krešimir Stražanac
(Frank), Jana Kurucová
(Prinz Orlofsky).
Foto: Peter Mayr
Erstklassige Besetzung. V. l.: Ines Hengl-Pirker (Ida), Alina Wunderlin (Adele), Thomas Blon- delle (Eisenstein), Hulkar Sabirova (Roselinde), Krešimir Stražanac (Frank), Jana Kurucová (Prinz Orlofsky).

Generell war die Operette im Kern oft sozialkritisch. Wo werden Sie die Handlung der „Fledermaus“ verorten?

Zunächst ist es entscheidend, dass wir es mit einer der „wienerischsten“ aller Operetten zu tun haben und mit Traditionen, denen man sich hier nicht entziehen, sondern stellen sollte und dabei kritisch hinterfragen muss. Denn mit „Wienerisch“ sind nicht nur der Schmäh und der Dreivierteltakt gemeint, sondern auch das Gemüt und die Lebenseinstellung, die im berühmten „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“ so heiter wie melancholisch mitschwingen.

Dieses ambivalente Zugeständnis an Vergessen und Verdrängung entstand nicht von ungefähr in einer von Krisen erschütterten Zeit. „Die Fledermaus“ sollte von einer Choleraepidemie ablenken, die die Wiener Weltausstellung bereits in ein Desaster gestürzt hatte und den Börsencrash auslöste. Die leichte Muse als Gegengift zu einer unerträglichen Realität ist ein Aspekt, den ich in meiner Inszenierung sehr ernst nehme.

Alter Ego. Sechs mit Geigen ausgestattete Tänzer verkörpern den Operettenkönig Johann Strauss. Der brillante Musiker und Komponist konnte selbst angeblich gar nicht Walzer tanzen.
Foto: Peter Mayr
Alter Ego. Sechs mit Geigen ausgestattete Tänzer verkörpern den Operettenkönig Johann Strauss. Der brillante Musiker und Komponist konnte selbst angeblich gar nicht Walzer tanzen.

Sie haben angekündigt, dass Sie auch Facetten der Biografie des Komponisten und der Geschichte des Werks mit einfließen lassen wollen – etwa die Vereinnahmung der Familie Strauss durch die Nazis oder die Eheprobleme des Komponisten. Weshalb ist Ihnen das wichtig?

Weil die Operette nicht im luftleeren Raum entstanden ist und weil ihre Wahrnehmung und Funktion sich mit der Zeit verändern. Wie seine Werke bezeugen, war Johann Strauss nicht nur ein Komponist, sondern auch ein Mensch seiner Zeit. Durch den Erfolg bekamen diese Werke aber ein Eigenleben und wurden von der Geschichte auf eine Weise beeinflusst, die bis heute unser Kunstverständnis prägt.

Was macht gute Operettensänger*innen im heutigen Theaterbetrieb aus? Was müssen sie können und wo findet man sie?

Sie müssen natürlich alles können! Und da sie nicht auf Bäumen wachsen, ist die Frage vielmehr, wie man aus unterschiedlichsten Künstler*innen eine Gemeinschaft zusammensetzt, die dem allumfassenden Operettengenre Rechnung tragen kann, indem sie das Stück zum Leben erweckt.

Das Theater an der Wien ist der Ort, wo die ,Fledermaus‘ ­ hingehört.

Petr Popelka, Dirigent

Die ikonische Rolle des Frosch, die in den letzten Jahren oft auch von Frauen gespielt wurde, haben Sie mit Alexander Strobele besetzt. Was muss ein guter Frosch Ihrer Meinung nach mitbringen?

Er muss vor allem gute Nerven haben, um sich den Konventionen dieser Rolle zu stellen und gegebenenfalls mit ihnen zu brechen. Wer die Erwartungen der einen einlöst, wird die der anderen enttäuschen, und um erst gar nicht in diese Verlegenheit zu geraten, haben wir für Froschs zeitweiligen Handlungsausbruch im dritten Akt ein Schlupfloch gesucht, das sich dann aber zum Eingangstor zu diesem Operettenabend erweiterte, durch den sich der Frosch nun hindurchzieht.

Ich freue mich sehr, dass Alexander Strobele sich auf diesen Prozess eingelassen hat und ihn mit seinem feinfühligen Humor bereichert.

2025 sind wir mit Strauss regelrecht überschwemmt worden. Geht er Ihnen nicht auch schon ein wenig auf die Nerven?

Noch nicht. Je näher ich Strauss betrachte, desto mehr begeistern mich die feinen Facetten seiner Virtuosität.

Was wünschen Sie Ihrer„Fledermaus“?

Dass sie das Publikum unterhält und sowohl zum Lachen als auch zum Staunen bringt. Dafür muss sich das Ensemble trauen, über das Gewöhnliche hinauszugehen. Und da es meine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass sich alle dabei wohlfühlen, sage ich ihnen täglich bei den Proben, dass eine „Fledermaus“ am Uraufführungsort in Wien im Strauss-Jahr eh nur schiefgehen kann (lacht).

Zur Person

Stefan Herheim ist international einer der gefragtesten Opernregisseure seiner Generation und seit der Spielzeit 2022/23 Intendant des Theaters an der Wien. 2022 gewann er den Opera Award in der Kategorie Regie, 2024 wurde er für seine Inszenierung von „Das schlaue Füchslein“ mit dem Österreichischen Musiktheaterpreis ausgezeichnet.

Hier geht es zu den Spielterminen von "Die Fledermaus" im MusikTheater an der Wien!

Klaus Peter Vollmann
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