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Katia Ledoux kam in Paris zur Welt, wuchs in Wien auf, war u. a. am Royal Opera House – Covent Garden, an der De Nationale Opera Amsterdam und am Opernhaus Zürich engagiert und gehört seit 2022 zum Ensemble der Volksoper. Neben der Titelrolle in „Carmen“ zählen Prinz Orlofsky in „Die Fledermaus“, Suzuki in „Madama Butterfly“, Ottavia in „L’incoronazione di Poppea“ und Bersi in „Andrea Chénier“ zu ihren wichtigsten Partien.

Katia Ledoux kam in Paris zur Welt, wuchs in Wien auf, war u. a. am Royal Opera House – Covent Garden, an der De Nationale Opera Amsterdam und am Opernhaus Zürich engagiert und gehört seit 2022 zum Ensemble der Volksoper. Neben der Titelrolle in „Carmen“ zählen Prinz Orlofsky in „Die Fledermaus“, Suzuki in „Madama Butterfly“, Ottavia in „L’incoronazione di Poppea“ und Bersi in „Andrea Chénier“ zu ihren wichtigsten Partien.
Foto: Jenni Koller

Das Leben danach

Volksoper

Bizet trifft auf Jazz, Pop, Flamenco: Keiner beherrscht Oper so aufregend neu wie Nils Strunk & Lukas Schrenk. In „Killing Carmen“ spielt Katia Ledoux die Titelheldin post mortem. Und Anton Zetterholm wartet als Don José auf den Henker.

Klassiker reloaded. Seit Schauspieler Nils Strunk und sein Kollege Lukas Schrenk mit ihrer alternativen „Zauberflöte“ das Burgtheater rock(t)en, eilt dem hochmusikalischen Duo der Ruf voraus, das Genre Oper für Publikumsschichten öffnen zu können, die man sonst eher in der „Grellen Forelle“ verorten würde. Die beiden auch in Sachen Libretto Hochbegabten scheuen sich nicht, Handlungen in neue Kontexte zu stellen, eigene Texte klug einzufügen und auf diese Weise innovative Kunstwerke zu erschaffen, die den Originalen aktuell gerecht werden.

Zudem führen sie gemeinsam Regie und haben sich mit dem Komponisten und Multiinstrumentalisten Gabriel Cazes einen weiteren virtuosen Partner in die Kreativwerkstatt geholt.

Als Trio verantworten sie nun „Killing Carmen“ – denn Georges Bizets meistaufgeführter Oper bringen die Herren Strunk, Schrenk und Cazes schon lange größte Wertschätzung entgegen. So fiel denn auch die Antwort auf Lotte de Beers Frage, welches Werk sie gern für die Volksoper realisieren würden, unisono aus. Was zur außergewöhnlichen Situation führt, dass es künftig zwei „Carmen“-Inszenierungen im Haus am Gürtel geben wird. Und in beiden singt Katia Ledoux die Titelrolle.

Anton Zetterholm gewann 2008 die TV-Castingshow „Ich Tarzan, Du Jane!“ und damit die
Hauptrolle im Musical „Tarzan“. Es folgten unter anderem Hauptrollen in „Tanz der Vampire“ (Theater des Westens), „Elisabeth“ (Raimund
Theater) und „Les Misérables“ (Queen’s Theatre). Aktuell spielt der gebürtige Schwede am Raimund Theater die Titelrolle in „Das Phantom der Oper“ und an der Volksoper Tony in „West Side Story“.
Foto: Jenni Koller
Anton Zetterholm gewann 2008 die TV-Castingshow „Ich Tarzan, Du Jane!“ und damit die Hauptrolle im Musical „Tarzan“. Es folgten unter anderem Hauptrollen in „Tanz der Vampire“ (Theater des Westens), „Elisabeth“ (Raimund Theater) und „Les Misérables“ (Queen’s Theatre). Aktuell spielt der gebürtige Schwede am Raimund Theater die Titelrolle in „Das Phantom der Oper“ und an der Volksoper Tony in „West Side Story“.

Kreativität und Lust

Zum Interview erscheint die in Wien aufgewachsene französische Mezzosopranistin mit ihrem schwedischen Tenorkollegen Anton Zetterholm. Er hat aktuell viel zu tun, verkörpert er doch an der Volksoper auch noch Tony in der „West Side Story“ sowie im Raimund Theater die Titelrolle in „Das Phantom der Oper“. Dass man ihm, dem Musicalstar, je die Partie des Don José anbieten würde, hätte er nie geglaubt. „Erst dachte ich: ,Sind die wirklich sicher, was sie da tun?‘ Aber dann habe ich die ,Zauberflöte‘ im Burgtheater gesehen und verstanden, worum es Nils Strunk und Lukas Schrenk geht. Ich muss alles singen, was Don José in der klassischen Oper auch singt, kann das aber in meinem eigenen Stil tun. Wahrscheinlich war ich noch nie so sehr in die Entstehung involviert wie hier, wo wir ständig dazu aufgefordert werden, uns einzubringen.“

Katia Ledoux stimmt zu. „Ich habe selten ähnliche Probenprozesse erlebt. Es ist ein Treffen von Kreativität und Lust. Alle wollen. Es brennt regelrecht. Nils Strunk, Lukas Schrenk und Gabriel Cazes sind einfach drei Genies unserer Zeit, die mit Leidenschaft, Klugheit und Liebe an das Werk herangehen und textlich wie musikalisch eine faszinierende Neuinterpretation geschaffen haben.“

Dass sie nun zwei Carmens – einmal klassisch, einmal unkonventionell – darstellen muss, stört Katia Ledoux nicht im Mindesten. „Wenn ich alle Carmens dieser Welt spielen könnte, würde ich das machen“, lacht sie. „Ich liebe diese Oper, ich vergöttere diesen Charakter – und ich freue mich, dass ich die Faszination, die ich für die Rolle empfinde, nun in allen Facetten ausleben darf.“

Volksoper goes Donauinsel.
Foto: BARBARA PÁLFFY / VOLKSOPER WIEN
Volksoper goes Donauinsel.

Dreizehn Jahre später

Bei „Killing Carmen“ sind die Geschehnisse 13 Jahre nach dem Mord an der Titelfigur angesiedelt. In der Bar von Lillas Pastia ertränkt der von Stefan Cerny gesungene Escamillo allabendlich seinen Kummer in Schnaps, während Don José in der Todeszelle auf seine Hinrichtung wartet. „Ich finde diesen Perspektivenwechsel sehr spannend“, so Katia Ledoux.

„In der Inszenierung von Lotte de Beer wird die Handlung ganz aus Carmens Sicht erzählt. Hier aber schildern alle anderen Charaktere, wie sie die Jahre seit dem Femizid erlebt haben, was die Ereignisse mit ihnen gemacht haben, wie sich die Stadt verändert hat.“ Mit Carmen sei auch die Freiheit gestorben, wirft Anton Zetterholm ein. „Eigentlich kommen sie und Don José nur in den Erinnerungen der Menschen vor.“ Und in diesen werde die Geschichte mittels Rückblenden neu aufgerollt.

Oper ist eine starke, wunderschöne Kunstform, die genau so, wie sie ist, existieren soll.

Katia Ledoux, Opernsängerin

Das Setting dabei ist intim, denn an die Stelle des großen Orchesters tritt eine vierköpfige Band, was nicht nur die Nähe der Darsteller*innen untereinander, sondern auch den Kontakt zum Publikum intensivieren dürfte. Neue musikalische Elemente wie Jazz, Flamenco, Pop, Musical, Western und Chanson schmälern übrigens nicht das klassische Konstrukt.

Sie bereichern vielmehr die Kompositionen von Georges Bizet. Oder, wie es Anton Zetterholm ausdrückt: „Diese Oper ist wie der Eurovision Song Contest, ein Hit jagt den anderen. Wir wären ja verrückt, das auszublenden.“ Auch gesanglich bleibt es anspruchsvoll. Die Zuschauer werden sich wahrscheinlich noch wundern, wozu Anton Zetterholm oder die Schauspieler Julia Edtmeier, die als Micaëla und Dancaïro in einer Doppelrolle zu sehen sein wird, und Florian Carove als Morales stimmlich fähig sind. Davon konnte sich das Publikum des heurigen Donauinselfests, wo es open air erste Einblicke in „Killing Carmen“ gab, bereits überzeugen. Das bekanntlich feierfreudige Festivalauditorium reagierte jedenfalls äußerst positiv auf die ungewohnten Töne.

Erste Passagen aus „Killing Carmen“ gab das Ensemble heuer beim Donauinselfest zum Besten. Der Spaß ist
den Protagonist*innen dabei ins Gesicht geschrieben –
das gemischte Publikum reagierte einhellig euphorisch.
Foto: BARBARA PÁLFFY / VOLKSOPER WIEN
Erste Passagen aus „Killing Carmen“ gab das Ensemble heuer beim Donauinselfest zum Besten. Der Spaß ist den Protagonist*innen dabei ins Gesicht geschrieben – das gemischte Publikum reagierte einhellig euphorisch.

Plädoyer für die Oper

Nils Strunk und Lukas Schrenk haben beinahe so etwas wie ein neues Genre erfunden, indem sie lustvoll und ohne Scheu mit klassischem Material experimentieren. Könnte das möglicherweise ein Weg sein, die Oper relevant zu halten?

Modern zu agieren, ohne die Menschen mit diffiziler zeitgenössischer Musik zu verschrecken? „Nein!“, entgegnet Katia Ledoux entschieden. „Ich bin sehr dafür, die Oper noch attraktiver zu machen, aber ich finde es bevormundend zu sagen, Oper sei kompliziert und mache den Leuten Angst, also müsse man sie vereinfachen. Wobei das bei ,Killing Carmen‘ auch gar nicht passiert. Oper ist eine starke, wunderschöne Kunstform, die genau so, wie sie ist, existieren soll. Das, was Nils, Lukas und Gabriel kreieren, steht für sich allein und nicht in Konkurrenz zur Oper.“

Aber könnte eine Arbeit wie „Killing Carmen“ als Einstiegsmaterial nicht trotzdem eher geeignet sein als „Der Ring des Nibelungen“, der möglicherweise Schwellenängste hervorruft? Auch diese Frage beantwortet Katia Ledoux abschlägig. „Ich kenne Menschen, die als erste Oper Alban Bergs ,Wozzeck‘ gesehen und vor Ergriffenheit geheult haben. Jede Oper, sofern sie gut inszeniert ist, kann als Einstieg dienen.“

Anton Zetterholm sieht die Materie ein wenig anders. „Oper ist natürlich eine alte Kunstform. Wenn szenisch so gut wie alles möglich ist, verstehe ich nicht, warum es ein Sakrileg sein soll, einzelne musikalische Passagen zu kürzen oder wenigstens zu verdichten. Die Zeiten haben sich geändert, alles ist schneller geworden. Ohne Mozart den Respekt zu verweigern, würde es vielleicht auch reichen, zwei Mal ,Ich liebe dich‘ zu singen anstatt zwanzig Mal. Man muss es ja nicht bei jeder Oper machen, aber auch auf die Gefahr hin, dass ich mich jetzt mit ganz Wien anlege, finde ich, dass es mitunter schon eine Idee wäre, das Material zu bearbeiten. Meinem Empfinden nach ist es schwierig, das Bühnenbild und die Kostüme modern zu gestalten, ja selbst die Geschlechterrollen zu tauschen, nur bei der Musik heißt es: Alles muss so bleiben, wie es immer war.“

Katia Ledoux ist damit gar nicht einverstanden. „Eben, weil alles so schnell geht, ist es großartig, sich einen Abend lang hinzusetzen und einfach nur durchlässig zu sein für Gefühle. Wichtig ist, dass die Oper kein Museum wird, was sie aber würde, wenn man eine Inszenierung begrenzen wollte. Dann wäre diese Kunstform zum Sterben verurteilt, weil sie verstauben und uninteressant werden würde. Es ist gut, eine ,Rosenkavalier‘-Inszenierung von Otto Schenk aus dem Jahr 1968 zu haben. Aber in einer Stadt wie Wien mit mehreren Häusern ist die Vielfalt schon sinnvoll.“

Auch wenn Anton Zetterholm hier zustimmt, meint er doch, dass man gut daran täte, ein wenig „out of the box“ zu denken, wenn man ein jüngeres Publikum ansprechen wolle. Wie auch immer, die aktuellen Auslastungszahlen in Wien sprechen eindeutig für die Kunstform Oper.

Das Stück. Nils Strunk, Lukas Schrenk und Gabriel Cazes siedeln das Geschehen 13 Jahre
nach dem Mord an „Carmen“ an, für den Don José im Gefängnis auf seine Hinrichtung wartet, und erzählen die Geschichte aus der Sicht aller anderen Figuren des Stücks in Rückblenden. Zur Musik von Georges Bizet gesellen sich auch Jazz-, Musical-, Flamenco-, Chanson- und Popklänge, ohne die
klassische Struktur infrage zu stellen. Statt eines Orchesters spielt eine vierköpfige Band live auf der Bühne – und neben ausgebildeten Opernsänger*innen zählen auch Schauspieler*innen und ein Musicalsänger zum
künstlerisch diversen Ensemble.
Foto: Jenni Koller
Das Stück. Nils Strunk, Lukas Schrenk und Gabriel Cazes siedeln das Geschehen 13 Jahre nach dem Mord an „Carmen“ an, für den Don José im Gefängnis auf seine Hinrichtung wartet, und erzählen die Geschichte aus der Sicht aller anderen Figuren des Stücks in Rückblenden. Zur Musik von Georges Bizet gesellen sich auch Jazz-, Musical-, Flamenco-, Chanson- und Popklänge, ohne die klassische Struktur infrage zu stellen. Statt eines Orchesters spielt eine vierköpfige Band live auf der Bühne – und neben ausgebildeten Opernsänger*innen zählen auch Schauspieler*innen und ein Musicalsänger zum künstlerisch diversen Ensemble.

Bloß kein Streik!

Welche Erwartungen setzen die beiden Akteure in diese Arbeit? „Wir haben leider nicht allzu viele Aufführungen, weil alle Mitwirkenden auch in anderen Projekten sehr beschäftigt sind. Ich hoffe trotzdem, dass es noch mehr Termine werden und wir auch für Schulklassen spielen können. Und ich könnte mir ,Killing Carmen‘ auch in anderen Städten vorstellen“, so Anton Zetterholm. Katia Ledoux: „Sonst muss man sich gar nichts wünschen, weil wir in einem tollen Flow sind.“

Und nach einer kleinen Nachdenkpause: „Doch, einen Wunsch habe ich. Dass es nämlich keine Streiks in Frankreich geben möge, weil ich in Lille proben werde und zu jeder Vorstellung anreisen muss. Aber die Franzosen sind ohnehin Streikmuffel (lacht sehr laut) und ich hoffe, dass das auch in diesem Herbst so bleibt.“

Hier geht es zu den Spielterminen von "Killing Carmen" in der Volksoper!

Erschienen in
Bühne 08/2025

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