Sprachorkan, Klagelied, Abgesang
Mutig, ehrlich und atemlos. „Like Lovers Do“ ist ein schonungsloses Lied über patriarchale Gewalt, das nicht nur unter die Haut geht, sondern sehr viel tiefer. Mechthild Harnischmacher inszeniert die österreichische Erstaufführung.
„Der Theaterkanon ist voll mit Textenüber sexualisierte und patriarchale Gewalt. Ich habe schon alle möglichen Figuren gespielt, die Missbrauch erleben, jedoch wurde das meistens verklärt oder nicht explizit benannt. Dieser Text ist ein radikaler Gegenentwurf, weil nichts relativiert und verschleiert wird“, bringt Schauspielerin Julia Franz Richter ihre Meinung über „Like Lovers Do (Memoiren der Medusa)“ auf den Punkt.
Wir sitzen vor dem Volkstheater, es ist sonnig und für Wiener Verhältnisse auch außergewöhnlich windstill. Mechthild Harnischmacher, die Sivan Ben Yishais Stück in der Dunkelkammer inszeniert, nickt und fügt hinzu: „Als ich diesen schonungslos ehrlichen Text zum ersten Mal gelesen habe, hat er mich sofort umgehauen, weil ich mir dachte: Endlich wird es ausgesprochen. Endlich wird sexualisierte Gewalt nicht so verpackt, dass sie gut verdaulich ist, sondern klar als solche benannt und aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert.“
Tatsächlich ist „Like Lovers Do“ ein atemloser, ungemein direkter Text, der nicht nur unter die Haut, sondern sehr viel tiefer geht. Schon beim Lesen wird klar: Sivan Ben Yishai möchte die oftmals unsichtbare Wunde sichtbar machen. Aufgrund seiner Intimität sei die Dunkelkammer dafür der ideale Ort, betont Harnischmacher. „Ich fände es schön, wenn ein Raum des gemeinsamen Nachdenkens und Erlebens entsteht. Wie auch das Gefühl, aus der Vereinzelung und Sprachlosigkeit, die sexualisierte Gewalt häufig mit sich bringt, heraustreten zu können. Dabei ergibt sich vielleicht auch ein Austausch über eigene sexuelle Fantasien, Verdrängtes und Grenzen.“
ist freie Theaterregisseurin. Sie wuchs in einer katholischen Glaubensgemeinschaft in Bayern auf, die sie als junge Erwachsene verließ. Während des Studiums arbeitete sie bereits als Regieassistentin. Ihr Regiedebüt gab sie im Vestibül der BURG mit „Ich, Ikarus“, das mit dem STELLA-Preis ausgezeichnet wurde. Im Volkstheater Bezirke inszenierte und spielt sie „Pettersson und Findus“.
Das System mittragen
Zwar geht es in dem Text eindeutig um patriarchal geprägte Machtverhältnisse, dennoch werden unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven beleuchtet.
„Wir sind alle Teil dieses Systems und tragen – bewusst oder unbewusst – dazu bei, es aufrechtzuerhalten. Ich fände es deshalb schön, wenn das Stück auch dazu anregt, darüber nachzudenken, wo man selbst vielleicht schon patriarchale Gewalt ausgeübt hat. Und auch, welche konkreten Lösungsansätze es geben könnte“, erläutert die Regisseurin, die das Stück schon seit längerer Zeit auf dem Schirm hatte.
Julia Franz Richter nimmt einen Schluck aus ihrem Thermobecher und betont: „Ich finde, sie schafft es total gut, dass man die Wut auf das System und auf Männer in Beziehungen rausliest, trotzdem lässt sie immer wieder Momente entstehen, in denen klar wird, dass nicht nur Männer das System mittragen und für sich nutzen.“
Sprachorkan
Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch über die Bedeutung von Freund*innenschaft, die auch in Ben Yishais Text eine wichtige Rolle spielt. „Genau wie im Text habe zum Beispiel auch ich erst spät begonnen, in Freund*innenschaften ehrlich über sexualisierte Gewalt und den damit verbundenen Schmerz zu sprechen. Weil auch unsere Beziehungen von gewissen Strukturen geprägt sind, deren Erhalt auf dem Schweigen darüber fußt. Dabei ist Freund*innenschaft unserer Meinung nach das Schönste, was es gibt“, sagt Julia Franz Richter.
Mechthild Harnischmacher und Dramaturg Matthias Seier haben den Text auf drei Spieler*innen (Julia F. Richter, Sissi Reich, Nicolas F. Djuren) aufgeteilt. Sie seien heute stellvertretend für das ganze Ensemble hier, erklären die beiden fast unisono. „Es ist ein kollaborativer, gemeinsamer Prozess, in dem eigene Perspektiven nicht nur Platz haben, sondernauch unter keinen Umständen in etwas anderes verkehrt werden“, hält Julia Franz Richter fest. Offenheit und Vertrauen seien dabei die wichtigsten Parameter, fügt Harnischmacher hinzu.
Für die Arbeit hat die Regisseurin einige Texte mit KI-Stimmen generiert. Sie nimmt ihr Smartphone heraus, um hörbar zu machen, was sie damit meint. „Es ist der Versuch, insbesondere Kindern, denen Gewalt passiert ist, eine unüberhörbare Stimme zu geben. Denn ihre Stimmen fehlen in den Diskursen immer. Auch weil sie oft keine Worte für das Erlebte haben.“
Einig sind sich die beiden auch darüber, dass „Like Lovers Do“ zwar ein wütender Text ist, Wut aber keinesfalls die einzige Emotion ist, die in der Inszenierung Platz hat. Harnischmacher verweist auf die unterschiedlichen Stadien, die auf traumatische Erlebnisse folgen.
studierte Schauspiel in Graz, gastierte mehrfach am Schauspielhaus Graz und war dort bis 2020 auch Ensemblemitglied. Danach war sie fest am Volkstheater engagiert. Julia Franz Richter arbeitet als freie Schauspielerin im Theater und steht regelmäßig für TV-Serien und Filme vor der Kamera. Für ihre Arbeit wurde sie u. a. mit einer Romy und mit dem Schauspielpreis der Diagonale ausgezeichnet.
Julia Franz Richter ergänzt: „Als Spielerin finde ich es schwierig, einen Zugang zu meiner Wut zu finden, weil ich als weiblich sozialisierte Person gelernt habe, auf Überschreitungen meiner Grenzen lieber nicht zu reagieren. Und schon gar nicht mit Wut. Nur mit Wut zu arbeiten, würde diesem differenzierten und präzisen Text außerdem nicht gerecht werden. Zudem möchten wir keinesfalls eine Emotion vorgeben.“
Die beiden Künstlerinnen arbeiten zum ersten Mal zusammen. Das Universum hätte sie zusammengeführt, so Harnischmacher lachend. Und auch Matthias Seier. Julia Franz Richter beschäftigt sich in ihrer Rolle unter anderem mit der Figur der Medusa – „eine der bekanntesten Frauen in der Mythologie, der Victim Blaming passiert ist“.
Wir verabschieden uns. Für die beiden geht es nun von der Windstille wieder in den Sprachorkan, den Sivan Ben Yishai in „Like Lovers Do“ entfacht hat. Ist es ein Klagelied? Vielleicht. Ein Abgesang auf das Patriarchat? Bestimmt auch. Sicher ist: Ihr Text macht es einem nicht leicht, aber möglicherweise kann durch das Stück dennoch eine Art von Erleichterung entstehen, weil scheinbar Unsagbares endlich ausgesprochen und benannt wird.