Mord ist ihr Beruf
In der Krimikomödie „Sherlock Holmes: Der Fall Moriarty“ verdreht Kimberly Rydell als Irene Adler dem Meisterdetektiv sein analytisches Köpfchen. Im wahren Leben könnte die studierte Kriminalpsychologin tatsächlich Fälle lösen.
Don’t mess with Kimberly. Es könnten unbeabsichtigt Wahrheiten ans Tageslicht drängen, die man besser im eigenen Kopf verräumt wissen will. Denn die Schauspielerin und Sängerin hat einen Uniabschluss in Kriminalpsychologie und könnte den Arbeitsplatz Bühne jederzeit mit einem Büro im Gefängnis tauschen, um verurteilten Straftätern erst zur Einsicht und dann zur Aussicht auf Resozialisierung zu verhelfen.
„Doch da es im Künstlertum gut läuft, ist das eher unrealistisch. Man arbeitet nicht so lange diszipliniert auf etwas hin, um es dann leichtfertig hinzuschmeißen.“
Sie habe schon mit fünf Jahren Bühnen gebaut und als 13-Jährige Kulissen an die Wand gemalt, vor denen sie dann selbst geschriebene Stücke gespielt habe. „Manchmal wurden mein kleiner Cousin oder Freundinnen zum Mitmachen gezwungen – und die ganze Familie musste still sitzend zuschauen. Mir hat das Spaß gemacht. Heute glaube ich, dass ich damit die Einzige war …“ Sie nahm früh professionellen Unterricht, war Finalistin beim „Kiddy Contest“ und trat in Musiktheaterproduktionen auf. „Um das tun zu dürfen, musste ich gute Noten nach Hause bringen, also habe ich manchmal nach einem Auftritt noch bis zwei Uhr früh gelernt. Meine Eltern haben mich sehr unterstützt, aber in der Schule bekam ich wenig Anerkennung. Bildungsinstitutionen finden es eher fragwürdig, wenn man als junger Mensch schon genau weiß, was man will.“
Kimberly Rydell ließ sich dadurch allerdings nicht vom eingeschlagenen Weg abbringen, studierte Musikalisches Unterhaltungstheater an der MUK, machte sich als Jazzsängerin einen Namen und kam 2021 zunächst als Einspringerin in „Monsieur Pierre geht online“ an die Josefstadt. „Ich glaube, meine Handynummer war hier lange als künstlerischer Notdienst eingespeichert“, erzählt sie mit Schalk im Blick. „Irgendwann hat man wohl gedacht: Die müssen wir ins Ensemble holen, damit sie bei Spontanangeboten nicht mehr Nein sagen kann.“
Mutige Matriarchin
Das Beharrungsvermögen hat die Schauspielerin wahrscheinlich von ihren irisch-amerikanischen Vorfahren. Wie kamen diese ausgerechnet nach Tirol? „Meine Großmutter hatte irgendwann genug von ihrem treulosen Ehemann in den USA und ist 1971 mit vier Kindern und fünf Wörterbüchern auf einen anderen Kontinent, in ein ihr fremdes Land mit ebensolcher Sprache und Kultur ausgewandert, um ganz neu anzufangen. Sie war mutig, integer und ist ein großes Vorbild für mich. Mit ihr teile ich die Liebe zur Unterhaltungskunst. In Tirol lernte sie mit Mitte 30 einen Medizinstudierenden Skilehrer kennen und hieß schon bald Mary Jane Unterwurzacher.“
Noch heute seien beinahe alle ihre Familienmitglieder Ärzte. Ihre Mutter (die ziemlich cool sein dürfte, denn ihr gehören die abgebildeten Westernboots) habe sich allerdings später zur Psychotherapeutin ausbilden lassen und im Gefängnis Stein schwere Jungs betreut.
„Meine Kindheit war wirklich behütet. Voller Schmetterlinge, Luftballons und Blumen. Trotzdem hat mich das Dunkle immer schon magisch angezogen. Das erste Buch, das ich wirklich verschlungen habe, war ,Wir Kinder vom Bahnhof Zoo‘. Als Nächstes habe ich ,Der Minus-Mann‘ (Memoiren des Zuhälters Heinz Sobota, Anm.) gelesen, worüber ich mit 14 ein Referat gehalten habe. ,Rennschwein Rudi Rüssel‘ hat mich hingegen nie interessiert, denn fiktive Geschichten habe ich mir lieber selber ausgedacht.“
Die später erfolgte Ausbildung zur Kriminalpsychologin helfe ihr übrigens auch in ihrem jetzigen Beruf. „Man lernt dabei, Empathie für Menschen aufzubringen, die sich völlig anders verhalten als man selbst, also tief in andere Charaktere einzutauchen und ihr Handeln möglichst nachvollziehbar zu machen.“ Und selbiges tue man auch beim Schauspiel.
Slapstick und Meditation
In Ken Ludwigs „Sherlock Holmes: Der Fall Moriarty“ kann Kimberly Rydell ihr Einfühlungsvermögen gleich in drei Rollen unter Beweis stellen. Eigentlich sind es vier. Da wäre einmal Irene Adler, Geliebte des Königs von Böhmen, die auch Holmes’ logisch ausgerichtete Welt ins Wanken bringt und dem reservierten Meisterdetektiv zum ersten Mal echte Gefühle abzuringen scheint. Zudem gibt sie sich auch als deren Schwester Alice aus, verkörpert die liebevolle Haushälterin Mrs. Hudson und hat als Cockney-Girl Cartwright denkwürdige Szenen. Insgesamt spielen fünf Schauspieler*innen fast 40 Rollen. Regie führt Dominic Oley, dessen Inszenierung von Charlie Chaplins „Der große Diktator“ bereits für volle Ränge in den Kammerspielen gesorgt hatte.
Dass es rasant werden könnte, war also allen Beteiligten von vornherein klar. „Fadesse ist doch das Schlimmste in der Unterhaltungsbranche, oder? Und dass es garantiert nicht langweilig werden würde, war alles, was ich wissen musste. In diesem Team sind ausschließlich Leute, die Spaß haben wollen.“
Natürlich dürfe bei allem Slapstick auch der kriminalistische Spürsinn nicht zu kurz kommen. „Man muss Sherlock Holmes auf ein Podest stellen, weil sein Ruf einfach so groß ist. Er ist beim Publikum eine Legende und das darf man nicht völlig verwitzeln.“
Auf der Bühne zu stehen, sei für sie wie Meditation. „Man muss komplett im Jetzt sein, was ich großartig finde, weil wir sonst ohnehin ständig von Social Media abgelenkt sind und nach Dopamin-Kicks suchen.“
Lampenfieber im Sinne von Angst kenne sie nicht. „Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass ich einen Blackout habe. Aber auch das ist kein Drama. Wir sind doch wie kleine Ameisen auf einem großen Planeten in einem riesigen Universum – mit einem Wort: unwichtig. Wenn man sich das immer wieder ins Gedächtnis ruft, geht es einem besser. Man kann am Geschenk Leben dann mehr Freude empfinden. Ich habe auch schon Kollegen erlebt, die in Proben herumzuschreien begonnen haben, nur weil sich jemand bei ihrem Monolog geräuspert hat. Da steht einer verkleidet als Franzose im 18. Jahrhundert da und spielt sich auf. Man muss gelassen bleiben. Denn wir operieren schließlich keine Kleinkinder am offenen Herzen.“
Zu den Spielterminen von "Sherlock Holmes: Der Fall Moriarty" im Theater in der Josefstadt!