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Künstlerische Reunion. Claus Peymann habe sie am längsten gekannt, Alfred Kircher habe ihr die größten Rollen gegeben, doch Andrea Breth habe sie am stärksten geprägt, sagt Lore Stefanek.

Künstlerische Reunion. Claus Peymann habe sie am längsten gekannt, Alfred Kircher habe ihr die größten Rollen gegeben, doch Andrea Breth habe sie am stärksten geprägt, sagt Lore Stefanek.
Foto: David Payr

Im Vorzimmer von Joseph Goebbels

Theater in der Josefstadt

Von den Gräueln nichts gewusst. Zufällig hineingestolpert. Nur die Arbeit erledigt. Kann das stimmen? In „Ein deutsches Leben“ erzählt die Sekretärin des Propagandaministers aus ihrem Leben. Andrea Breth inszeniert. Lore Stefanek ist Brunhilde Pomsel.

Schwebezustand. Jahrzehntelang hat sie geschwiegen. Erst im Alter von 103 Jahren gab Brunhilde Pomsel mit erstaunlich gutem Gedächtnis Auskunft über ihre Zeit als Stenotypistin und Sekretärin von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels. Wiewohl sie für einen der größten NS-Verbrecher tätig gewesen ist, verstand sie sich als unpolitische Randfigur und beharrte bis zuletzt darauf, vom Holocaust erst nach Kriegsende erfahren zu haben. Fünf Jahre verbrachte sie in russischer Gefangenschaft. Unmittelbar danach machte sie erneut Karriere und stieg in der ARD-Programmdirektion bis zur Chefsekretärin auf. Nach ihrer Pensionierung lebte sie in einem Altersheim in München-Schwabing und starb – bittere Ironie der Geschichte – mit 106 Jahren in der Nacht zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Januar 2017.

Das Wiener Regiekollektiv Christian Krönes, Florian Weigsamer, Roland Schrottenhofer und Olaf. S. Müller destillierte aus den Interviews mit Brunhilde Pomsel den Film „Ein deutsches Leben“, dessen gesamte Aufzeichnungen wiederum dem britischen Dramatiker Christopher Hampton als Basis für sein gleichnamiges Theaterstück dienten, das 2019 mit Maggie Smith in der Hauptrolle Premiere am Londoner Bridge Theatre feierte. Nun wird sich Lore Stefanek diesen immensen Monolog zu eigen machen. Die Regie übernimmt Andrea Breth, eine der profiliertesten und präzisesten Vertreterinnen ihres Fachs, die damit nach längerer Absenz wieder in Wien – und zum ersten Mal im Theater in der Josefstadt – inszenieren wird.

Lebenslegenden

Brunhilde Pomsel präsentiert sich keinesfalls als unverbesserliche Nationalsozialistin. Vielmehr zeichnet sie von sich das Bild einer Frau, deren Gespür für berufliche Chancen ihr eine relative Unabhängigkeit ermöglichten. Die gern lebte und das brodelnde Berlin der Zwischenkriegszeit genoss. Ein wenig naiv. Durchaus charmant. Das macht den Film und das Stück so ambivalent und durchlässig für eigene Überlegungen.

„Wenn wir uns mit Tätern beschäftigen, haben wir stets eine klare Meinung von Gut und Böse“, so Andrea Breth. „Mich interessiert aber die Frage, ob wir uns damals wirklich souveräner verhalten hätten. So etwas sagt sich ja leicht und ist zudem kostenlos. Es ist wichtig, sich heute mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, denn wir werden bald, fürchte ich, an diese Schnittstelle kommen: Bin ich mutig oder bin ich es nicht?“

Für sie, bekannt für ihre intensive Textarbeit, sei „Ein deutsches Leben“ kein Stück im herkömmlichen Sinn, weil dieser Begriff schon die Assoziation mit Literatur impliziere. Es gehe darum, größtmögliche Authentizität herzustellen, wozu auch Irritationen und Störfaktoren gehörten, die sich oft gar nicht im Augenblick offenbarten. „Man soll auch nicht immer alles verstehen. Theater ist ein Ort der Überraschung, des Lachens, des Nachdenkens, des Weinens und der Andacht. Für mich noch immer ein heiliger Ort.“

Mich hat sehr bewegt, wie schnell man da reinrutscht, wie wenig es braucht, um sich einer solchen Bewegung anzuschließen.

Lore Stefanek, Schauspielerin

Was das Publikum wohl am meisten beschäftigen wird: Ist es möglich, dass jemand, der im Vorzimmer von Joseph Goebbels saß, tatsächlich nichts von den NS-Bestialitäten mitbekommen hat? „Das können und werden wir nicht beantworten, weil das lediglich unsere Meinung wäre. Abgesehen davon, dass es sowieso verwerflich ist, auf der Bühne Figuren zu kritisieren, denn das ist die schöne Aufgabe der Zuschauer, weiß ich es einfach nicht. An manchen Stellen scheint es so, als fühle sie sich angegriffen. Dann beharrt sie darauf, nichts gewusst und Joseph Goebbels kaum gekannt zu haben, weil sie einem Referenten zugeteilt gewesen sei. Im nächsten Moment erzählt sie, dass sie bei Goebbels’ Sportpalastrede vor dessen Frau saß. Oder eine andere höllische Geschichte, wo sie nach einem Bombenangriff, den sie im Luftschutzkeller übersteht, im kaputten Abendkleid durch das brennende Berlin zurück ins Büro rennt, wo ihr Magda Goebbels, die sie angeblich gar nicht kannte, netterweise ein blaues Kostüm schenkt. Selbiges habe sie nach ihrer Gefangenschaft noch oft getragen. Das muss man sich einmal vorstellen! Solche Merkwürdigkeiten gibt es immer wieder, man muss nur aufmerksam sein, dann kann man Brunhilde Pomsel oft auch nur bei winzigen Unstimmigkeiten ertappen und eigene Schlüsse daraus ziehen. Aber eines ist, ohne sie auch nur im Ansatz entschuldigen zu wollen, auch klar: Jeder Mensch macht eine Legende aus seinem Leben. Wir lügen uns etwas zurecht, lassen bestimmte Dinge aus und präsentieren eine Geschichte, die in jedem Fall besser klingt.“

Zur Person: Lore Stefanek

Lore Stefanek studierte Schauspiel am Max Reinhardt Seminar´, war unter anderem am Schauspiel Frankfurt, am Schauspielhaus Bochum und am Berliner Ensemble engagiert, feierte als Regisseurin etwa am Max Gorki Theater, am Stadttheater Freiburg und im Düsseldorfer Schauspielhaus große Erfolge und stand in der Sky-Serie „The New Pope“ neben Jude Law vor der Kamera. Seit 2021 – Claus Peymann besetzte sie in „Der König stirbt“ – ist sie im Ensemble des Theaters in der Josefstadt.

Geschichtsunterricht werde nicht zu erwarten sein. Womit die Regisseurin aber intensiv arbeiten wird, ist Musik der damaligen Zeit. Neben Adam Benzwi, für Breth der größte Kenner des 30er- und 40er-Jahre-Liedguts, mit dem sie 2023 am Berliner Ensemble schon „Ich hab die Nacht geträumet“ realisierte, am Klavier, nehmen auch Fin Holzwart und Andrea Clausen wichtige musikalische Rollen ein.

Zudem „fünf interessante Herren“, wie sie es nennt, Laien. Auch dabei gelte es, den Texten der Lieder genau zu lauschen und die Worte abzuwägen. Mehr möchte sie zum Konzept nicht verraten.

Impulsgeberin. Die Idee, Andrea Breth für die Regie zu gewinnen, stammt von Lore Stefanek.
Foto: David Payr
Impulsgeberin. Die Idee, Andrea Breth für die Regie zu gewinnen, stammt von Lore Stefanek.

Annäherung

„Mir ist es anfangs sehr schwergefallen, die Figur zu mögen, weil ich von einem ausschließlich negativen Bild der Brunhilde Pomsel ausgegangen bin. Als Schauspielerin ist es aber wichtig für mich, die Figur, die ich spiele, liebevoll annehmen zu können. Irgendwann wurde mir bewusst, dass Brunhilde Pomsel keine literarische Figur ist, sondern wirklich in Berlin gelebt hat. Sie erzählt ja sehr viel von sich und den Orten des Geschehens und da ich auch in Berlin lebe, habe ich zu recherchieren begonnen. Ich war erstaunt und bestürzt, wie viel man noch immer vorfindet. Sie hatte eine enge jüdische Freundin, Eva Löwenthal, und ich habe tatsächlich von dieser Frau und ihren Eltern Stolpersteine vor dem Haus, aus dem sie deportiert wurden, gefunden. Das Schicksal Eva Löwenthals und Pomsels eigenes Versagen dieser gegenüber haben Brunhilde Pomsel, glaube ich, bis zuletzt nicht losgelassen. Auch andere Entdeckungen in Berlin haben mir Pomsels Leben immer nähergebracht und ich konnte mich mit ihr in manchen Lebenssituationen identifizieren. Mich hat auch sehr bewegt, wie schnell man da reinrutscht, wie wenig es braucht, um sich einer solchen Bewegung anzuschließen. Wir hatten auch das Glück, dass uns die Filmemacher zehn Stunden des gedrehten, aber nicht verwendeten Materials zur Verfügung gestellt haben, wodurch sich für mich schon im Vorfeld viele Fragen geklärt haben. Heute bin ich weit davon entfernt, mich über Brunhilde Pomsel zu erheben.“

Warum hat diese nach jahrzehntelangem Schweigen doch noch über ihre Vergangenheit gesprochen? „Sie hat ja in relativer Anonymität im Altersheim gelebt, als plötzlich diese jungen Leute kamen und ihr so viel Aufmerksamkeit schenkten. Die Freude über das Interesse an ihr hat sicher eine Rolle gespielt. Schlagartig hat sich ihr Stellenwert verändert und es hat ihr Spaß gemacht, dass sie ein großes Publikum hatte. Ganz ehrlich: Ich erzähle mittlerweile auch sehr gern und finde es schön, wenn mir jemand zuhört.“

Zur Person: Andrea Breth

Andrea Breth zählt zu den bedeutendsten Regisseurinnen im deutschen Sprachraum, war mehrfach zum Berliner Theatertreffen eingeladen, leitete die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz, war 20 Jahre lang Hausregisseurin am Burgtheater, ist Trägerin des Deutschen Bundesverdienstkreuzes mit Stern, wurde mit zahlreichen substanziellen Theaterpreisen bedacht und profilierte sich seit 2005 auch als Opernregisseurin.„Ein deutsches Leben“ ist ihr Josefstadt-Debüt.

Auch wenn sie sich an den Krieg als 1943 Geborene nicht richtig erinnern könne, kenne sie dessen Zerstörungskraft. „Ich fühle mich der Generation, die das alles erlebt hat, sehr zugehörig. Wir waren im Mühlviertel evakuiert und haben, zurück in Wien, in einem Zimmer in der Herbeckstraße gewohnt. 1948 sind wir in die Praterstraße gezogen, wo die Assicurazioni Generali, bei der mein Vater beschäftigt war, Häuser wiederaufgebaut hat. Links und rechts lagen riesige Schuttberge, man konnte sich gar nicht vorstellen, wie man da leben sollte. Langsam sind damals auch schon die ersten orthodoxen Juden wieder zurückgekommen. Die Leute haben Witze darüber gemacht: Ah, seid ihr auch wieder da? Der Antisemitismus war groß.“

„Mich interessiert die Frage, ob wir uns damals wirklich souveräner verhalten hätten. So etwas sagt sich ja leicht und ist zudem kostenlos.“ Andrea Breth, Regisseurin
Foto: Bernd Uhlig
„Mich interessiert die Frage, ob wir uns damals wirklich souveräner verhalten hätten. So etwas sagt sich ja leicht und ist zudem kostenlos.“ Andrea Breth, Regisseurin

Mit dem Text, der im Grunde ein enormer Monolog ist und sich über 34 DIN-A4-Seiten erstreckt, habe sie sich früh zu beschäftigen begonnen. Anders sei es auch gar nicht möglich, solche Mengen zu erlernen. „Das muss schließlich alles ganz natürlich aus ihr heraussprudeln“, erklärt Andrea Breth, „sodass man auf der Bühne Brunhilde Pomsel sieht und nicht Lore Stefanek.“

Davon, dass der Schauspielerin und der Regisseurin, die 1984 mit „Bernarda Albas Haus“ in Freiburg einen Theater- meilenstein schufen, dies gemeinsam gelingen wird, darf man auch ohne prophetische Fähigkeiten ausgehen.

Das Stück

Mit 103 Jahren gab Brunhilde Pomsel, während des Zweiten Weltkriegs Sekretärin von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, einem Team österreichischer Filmemacher mehrere Interviews, in denen sie zum ersten Mal umfassend über ihre Zeit am Puls der NS-Führungselite sprach. Obwohl sie für einen der größten Verbrecher der Geschichte arbeitete, begriff sie sich als völlig unpolitische Randfigur und beharrte darauf, erst nach dem Einmarsch der Alliierten vom Holocaust erfahren zu haben. Das Kriegsende erlebte sie in einem Bunker, wo sie die Fahne zur offiziellen Kapitulation Berlins nähte. Sie verbrachte fünf Jahre in russischer Gefangenschaft und avancierte später zur Chefsekretärin bei der ARD. Der britische Dramatiker Christopher Hampton formte aus den Originalgesprächen das Theaterstück „Ein deutsches Leben“, bei dessen Uraufführung 2019 in London Maggie Smith die Hauptrolle übernahm.

Hier geht es zu den Spielterminen von „Ein deutsches Leben“ im Theater in der Josefstadt!

Josefstädter Straße 26
1080 Wien
Österreich
Foto beigestellt

Erschienen in
Bühne 10/2025

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Klaus Peter Vollmann
Klaus Peter Vollmann
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