Essay: Zusammen lacht man weniger allein
Warum gehen wir ins Theater? Wegen der Zerstreuung. Falsche Antwort. In Wahrheit gehen wir nur ins Theater, um eins zu werden. Wegen des Gemeinschaftsgefühls, so Christopher Wurmdobler in seinem Essay.
Die Handlung ist wirklich komplett plemplem: Der Diebstahl eines Diamanten aus dem schlecht gesicherten Safe einer Bank in der amerikanischen Provinz geht kolossal schief. Und sonst? Inhalt oder Message? Von wegen! Um mehr geht’s da nicht; abgesehen vielleicht von einem Bühnenbild-Überraschungs-Coup in Teil zwei. Und trotzdem ist die „Komödie mit Banküberfall“, aktuell im Volkstheater zu sehen, ein Riesengeschenk an alle, die Theater lieben. Weil wir plötzlich wieder wissen, warum wir Theater lieben. Klar, der Abend ist saukomisch, vom Ensemble virtuos gespielt, bestens auf Timing geschrieben, „well made“ also und mit dem nötigen Tempo inszeniert – darum kommt er beim Publikum auch so gut an. Was die ganze Angelegenheit aber erst zum Geschenk macht, ist etwas, das fast nur noch Livetheater vermag: Wir gehen zum Lachen nicht aufs Sofa, sondern streamen irgendwelche angesagten Netflix-Serien, doomscrollen Nachrichten oder ballern TikTok-Videos, bis uns ganz flau wird.
Im Theater hingegen gibt es das große Gemeinschaftsgefühl. Im Idealfall mit denen auf und hinter der Bühne. Dass so was überhaupt noch existiert in einer Zeit, in der alle gebannt aufs Handy starren, welche „bad news“ uns den Tag versauen, was die Wahnsinnigen an den Hebeln der Macht sich nun schon wieder ausgedacht haben, Kriege, Katastrophen und so weiter. Wenn sich also ein paar hundert Menschen in einem Raum auf die blödeste Geschichte der Welt einlassen können, sich vor Lachen fast anmachen und hinterher kathartisch erleichtert, euphorisiert, auf jeden Fall aber in bester Stimmung bei der Garderobe anstehen, dann hat das nicht nur etwas mit der Inszenierung oder der Leistung der Darstellenden zu tun, sondern mit – Gemeinschaft. Gemeinsam hat man den Abend gemacht. Und das fühlt sich, abgesehen von „well made“ und Inszenierung, richtig schön an.
Vielleicht lag es am leichten Stoff, dass in meinem Kopf noch etwas Platz war. Gedanken wie diese gingen mir jedenfalls durch den Kopf als ich nach der „Banküberfall“-Vorstellung unlängst das Theater verließ: Ein überraschend diverses Publikum, viele Generationen zusammen, Studierende und Senior*innen, all das repräsentiert vielleicht noch nicht die ganze Stadt. Aber zusammen lacht man weniger allein.
Dabei müssen es auch nicht unbedingt eine Komödie und das gemeinsame Lachen sein. Auch Heulen verbindet. Zum Beispiel zusammen im Theater in der Josefstadt mit den Figuren von „Das Vermächtnis“ zu trauern, um einen weiteren Hit der laufenden Spielzeit zu erwähnen. Wie man einander in der großen Pause von Matthew López’ Sieben-Stunden-Opus über eine Gruppe schwuler Männer in New York nach einer der herzergreifendsten Szenen, die ich je im Theater erlebt habe, aufmunternd in die rot verflennten Augen blickt. Das Rascheln der Papiertaschentücher, wenn im zweiten Teil die Achterbahn der Emotionen nahtlos weitergeht. Der Schlussapplaus, der zeigt, dass alle miteinander gerade etwas Großes geschaffen haben: die auf der Bühne ebenso wie die im Saal. Das ist also die berühmte Magie des Theaters.
Wer viel Zeit mit Theater verbringt – wenn ich nicht gerade in einem drinsitze, mache ich selbst welches als Teil der immersiven Theatertruppe Nesterval –, kommt irgendwann dahinter. Bei Nesterval gehört der intensive Kontakt zwischen Darstellenden und Publikum zum Konzept. Als wäre diese Nähe, die wir im Ensemble untereinander und zu den Leuten aufbauen, nicht genug, geht es in Nesterval-Produktionen fast immer um Gemeinschaft: die eines Dorfs in „Das Dorf“, einer Gruppe Verfolgter des NS-Regimes in „Die Namenlosen“ oder im Frühjahr 2026 in „Nestervals Nibelungen“ um letzte Überlebende der Klimakatastrophe in einer nahen dystopischen Zukunft. Publikum wird hier zum wichtigen Teil der Handlung, taucht ein in die Immersion, erlebt ein Gemeinschaftsgefühl: Hochzeitsgäste im „Dorf“, Gedanken der Figuren bei den „Namenlosen“ oder Überlebende in den „Nibelungen“. Immer geht es um die Gruppe – weil alleine funktioniert es nicht.
Dabei müssen es auch nicht unbedingt eine Komödie und das gemeinsame Lachen sein. Auch Heulen verbindet.
– Christopher Wurmdobler
Das lässt sich freilich über jede Art von Theater sagen: Ohne Publikum ergibt die Sache wenig Sinn. Und es muss auch nicht immer das große Ganze sein. Oft bilden sich an so einem Theaterabend auch Mikrogemeinschaften: Ultras, die in einen Vorort von Graz reisen, weil das Nature Theatre of Oklahoma dort spielt. Die Stehplatz-Community in der Staatsoper, die sich über fotografierende Tourist*innen solidarisiert. Fans, die wegen Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek da sind, wegen Nils Strunk und Lukas Schrenk gerade sämtliche Theaterhäuser der Stadt ausverkaufen oder Stefanie Reinsperger sehen wollen, die einfach immer toll ist. Reinsperger spielt übrigens jetzt wieder „Selbstbezichtigung“, diesmal am Akademietheater. Vor zehn Jahren habe ich sie in dem Handke-Solo im Volx gesehen. Bis heute weiß ich, dass wir im Publikum Äpfel gegessen haben und wie sich das angefühlt hat. Essen verbindet. Vielleicht sollte man eh viel mehr zusammen essen im Theater, nicht nur im Foyer in den Pausen sehr langer Aufführungen.
Sehr lange Aufführungen zusammen durchzustehen, ist überhaupt ziemlich gemeinschaftsfördernd. Die Geste, die der Kollege Samouil Stoyanov beim Schlussapplaus regelmäßig macht, wenn eine Vorstellung besonders gut gelungen, das Publikum extrem euphorisch ist, drückt es am besten aus. Fast wie ein Sportler, der gerade ein wichtiges Match gewonnen hat, reißt der Volkstheater-Schauspieler die geballte Faust in die Höhe und zieht den Ellenbogen nach hinten: Wir haben etwas geschafft. Wir haben etwas geschaffen. Zum Beispiel eine Gemeinschaft gebildet gegen all die Unbill da draußen. Schön auch, wenn das Gefühl eine Spur länger anhält.
Christopher Wurmdobler macht Bücher und Theater und ist Teil des Ensembles von Nesterval. Davor war er lange Journalist (u. a. „AZ“, „Falter“, „News“) und Teil des H.A.P.P.Y-Kollektivs. Sein aktuelles Werk „Felix Austria“ ist ein von der Kritik gefeiertes Buch über schwule Liebe im Circus.
So was kann nur das Theater. Okay, Konzerte, Opernaufführungen, Lesungen und so weiter vielleicht auch. Seit ein paar Ausgaben rufen die Wiener Festwochen alljährlich die „Freie Republik Wien“ aus. Also eine Staatsform, bei der das Wohl der Gemeinschaft im Mittelpunkt steht. Und wo lässt sich Gemeinwohl besser ausprobieren als im Theater. Es soll ja Menschen geben, die gehen wegen der Zerstreuung ins Theater. In Wahrheit ist es ganz anders. In Wahrheit geht es darum, eins zu werden. Zusammen etwas zu erleben, sich als Gruppe zu erleben und hinterher ein bisschen verändert rauszugehen. Da hat sich seit der Antike nicht viel verändert, das ist bis heute so. Jemand sollte unbedingt mal einen Text dazu schreiben