„Ihr seid nicht allein“: lynn t. musiol über „LECKEN 3000“
„Lustig, sassy, traurig und schummrig-schön“ – so beschreibt lynn t. musiol das Gewinnerstück des Retzhofer Dramapreises „LECKEN 3000“. Wir haben lynn nach dem Startpunkt des Textes gefragt und wollten auch wissen, warum es oft so schwierig ist, scheinbar Widersprüchliches auszuhalten.
BÜHNE: Worum geht es in „LECKEN 3000“?
lynn t. musiol: In dem Stück geht es um Ari, die eine unerwartete iMessage ihrer ehemaligen Lehrerin bekommt und aus dem Gleichgewicht gerät. Zusammen mit ihren Freund*innen beginnt sie, ihre Erinnerungen an die Lehrerin aufzuarbeiten und eine schwerwiegende Frage zuzulassen: War das, was mir damals passiert ist, Missbrauch? Das Stück ist ein witziges, schnelles, wie brisantes Drama zum Thema Gewalt in queeren Beziehungen.
Gab es eine Art von Initialzündung, die dich zum Schreiben dieses Textes gebracht hat?
Mir ist aufgefallen, dass über Gewalt in lesbischen Beziehungen, sei sie emotional oder physisch, kaum oder gar nicht gesprochen wird. Manchmal wird sie als „lesbian drama” verharmlost. Dabei kann es traumatisierend sein, Gewalt in queeren Communities oder in Räumen zu erleben, die sich als safer spaces verstehen. Es findet ein radikaler Vertrauensbruch statt. Und weil die Anzahl der lesbischen Orte relativ überschaubar ist, führen Gewalt oder Missbrauchserfahrungen nicht selten zur Isolierung der Betroffenen. Wer möchte schon seiner / ihrem Täter*in begegnen? WTF, schrecklich! Mit dem Stück möchte ich zeigen: Ihr seid nicht allein. Zudem möchte ich das Thema in den Fokus rücken. Deswegen haben die Autorin Tia Morgen, deren Hörstück „NIXE“ Gewalt in queeren Beziehungen thematisiert, und ich uns zusammengetan, um hoffentlich einige Veranstaltungen zu dem Thema lancieren zu können.
Was ist für dich das Reizvollste am Schreiben für die Theaterbühne?
Reizvoll ist für mich beim Schreiben die Vorstellung, dass der Text über den Akt des Sprechens immer wieder neu in die Welt findet. Beim Schreiben spreche ich laut, ich bewege mich dabei, ich wandere zwischen den Figuren hin und her. Dann lasse ich den Text in andere Menschen und Räume driften, was beglückend und aufregend ist.
Wie hast du reagiert, als du erfahren hast, dass dein Text den Retzhofer Dramapreis gewonnen hat?
Schockiert war ich, berührt und happy. Weil mir das Thema beim Schreiben nahe ging, haben mich Freund*innen während der Schreibzeit auf ganz unterschiedliche Arten unterstützt. Bei der Preisverleihung war ich sehr dankbar darüber, dass sie für mich da sind.
Bist du mit Claus Nicolai Six in Kontakt? Sprecht ihr über die Inszenierung?
Claus hat mich schon unmittelbar nach der Preisvergabe in Graz angesprochen, und seitdem tauschen wir uns über das Stück und die Inszenierung aus. Es macht total Spaß mit ihm zu denken, und dabei zu sein, wie der Text peu a peu zu Bildern, also zu einer eigenen Welt wird.
Warum ist es oft so schwierig, scheinbar Widersprüchliches auszuhalten?
Wenn ich ein Begehren habe, das sich beißt mit gesellschaftlichen Konventionen, Zuschreibungen oder Normen, gibt es antrainierte Mechanismen, darauf zu reagieren. Angst oder Scham gehören beispielsweise dazu. Diese Angst auszuhalten ist anstrengend, vor allem, weil unsere Gesellschaft stark binär sozialisiert: Du bist dies oder das. Du tust dieses oder jenes. Ich kann masc sein und schüchtern, lesbisch sein und Penisse mögen, Freiheiten in Sicherheiten finden. In dem ich gesellschaftlich Widersprüche unterdrücke, werde ich nie beweisen können, dass die Welt ganz anders sein kann. Und das spielt den Herrschenden in die Hände.
Welche Rolle spielen Humor und Komik in deinem Text?
Oh, eine große! Ich glaube, Mely Kiyak sagte einmal, in Momenten der Tragik entstehe der schönste Humor. LECKEN 3000 ist lustig, sassy, traurig und schummrig-schön zugleich.