Ist es in Ordnung, einen Text über Molières Stück „Der Menschenfeind“ mit dem Thema Freundschaft zu beginnen? Wir finden: ja. Außerdem scheint gar kein Weg daran vorbeizuführen, wenn man sich mit Mavie Hörbiger und Lili Winderlich zum Doppelinterview trifft.

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Die Probe war ein wenig früher zu Ende als geplant, die beiden Schauspielerinnen wirken gelöst – als hätten sie Molières dauersuderndem Titelhelden gerade gemeinsam eins auf den Deckel gegeben. Das Gefühl von Komplizinnentum liegt in der Luft. Wobei Alcestes Charakter mit diesem einzelnen Adjektiv natürlich nur unzureichend beschrieben ist – dazu später mehr.

In Martin Kušejs Inszenierung des Komödienklassikers spielen Hörbiger und Winderlich die sehr unterschiedlich denkenden und agierenden Cousinen Célimène und Éliante. Nach „Der Sturm“ und „Kasimir und Karoline“ ist es ihre dritte gemeinsame Theaterarbeit. „Ich bin richtig stolz“, sagt Lili Winderlich fröhlich. „Manchmal fühle ich mich wie ein Küken, das dir hinterherflattert.“

„Ich mochte Lili gleich“, wirft Mavie Hörbiger ein und lacht ihr tiefes, offenes Lachen. Lili Winderlich, für ihre Rolle im Stück „Die Eingeborenen von Maria Blut“ für den Nachwuchs-Nestroy nominiert, gehört seit der vorletzten Spielzeit zum Ensemble des Burgtheaters, Mavie Hörbiger seit der Saison 2011/12. Nach einer kurzen Pause setzt die gebürtige Münchnerin nach: „In meiner Generation haben Schauspielerinnen einander oft schlecht behandelt. Das war wie ein Teufelskreis. Irgendwann dachte ich mir, dass ich das gerne anders machen würde – dass es schön wäre, dieses Konkurrenzdenken zu durchbrechen und jungen Kolleg*innen die Hand zu reichen. Ich kann beispielsweise für sie Nein sagen, wenn sie sich nicht trauen.“

Sich Dinge von der Seele sprechen

Ob die 2000 in Berlin geborene Schauspielerin so eine Situation schon einmal erlebt hat? Lili Winderlich antwortet: „Natürlich gibt es in der Zusammenarbeit im Theater immer wieder Situationen, in denen emotionale Intelligenz gefordert ist, das Erlebte offen anzusprechen. Manchmal lösen sich dann am Horizont auftauchende Konflikte gerade durch den respektvollen Umgang miteinander.“

Ich finde es wichtig, dieses Konkurrenzdenken zu durchbrechen und junge Kolleg*innen an die Hand zu nehmen.

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Sie fügt hinzu, dass ganz neue Erfahrungsfenster sich öffnen können, wenn man sich untereinander im Ensemble anvertraut, weil man das ja auch im Spiel tun muss. „Die Herausforderung, eigene Unsicherheiten und Ängste immer wieder aufs Neue abzulegen, ist für mich allgegenwärtig. Das fängt ja schon bei der ersten Leseprobe an, in der ich meist sehr selbstkritisch bin.“ In der für sie typischen direkten Art ergänzt Mavie Hörbiger: „Ich habe daraufhin zu ihr gesagt, dass ich mich genauso gefühlt habe. Ich glaube, dass das auch etwas ist, das uns Frauen über lange Zeit von der Gesellschaft eingetrichtert wurde – immer das Gefühl zu haben, jetzt kommen sie einem drauf.“

Zur Person: Lili Winderlich

wurde 2000 in Berlin geboren und absolvierte ihr Schauspielstudium am Max Reinhardt Seminar. Bevor sie in der Spielzeit 2021/22 festes Ensemblemitglied des Burgtheaters wurde, war sie schon in „Schwarzwasser“ und „Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin“ zu sehen. Für ihre Rolle in „Die Eingeborenen von Maria Blut“ ist sie für den Nachwuchs-NESTROY nominiert.

Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs liegt der Probenstart in etwa zwei Wochen zurück. „Wir haben bis jetzt nur gelesen und sind dabei sehr nahe am Text geblieben. Man merkt, dass Martin Kušej ein Regisseur ist, der sehr viel Erfahrung mit genauer Textarbeit hat. Das genieße ich sehr“, so Hörbiger, die zum ersten Mal in einer Inszenierung des Intendanten auf der Bühne steht. Die 1666 uraufgeführte Komödie ist schnell zusammengefasst: Alceste widersetzt sich sämtlichen gesellschaftlichen Strukturen, weil er diese als heuchlerisch empfindet. In seinem radikalen Bestreben nach Aufrichtigkeit stößt er an Grenzen, die ihn letztlich zur Einsicht bringen, dass eine Abkehr von der ihm verhassten Gesellschaft die einzig legitime Lösung für ihn ist. Die ebenso gesellige wie listreiche Célimène, die er zu lieben glaubt, würde er gerne mitnehmen. Diese schlägt das Angebot jedoch aus.

Menschenfeind
Nach der Probe. Mavie Hörbiger und Lili Winderlich beim Fotoshooting im Volksgarten. Nach „Der Sturm“ und „Kasimir und Karoline“ ist „Der Menschenfeind“ ihre dritte gemeinsame Theaterarbeit.

Foto: Lukas Gansterer

Versteckte Fragilität

In der Haltung Alcestes verortet Mavie Hörbiger etwas Absolutes und Radikales, das für sie nur schwer nachvollziehbar ist. „Wobei ein Teil der Komik des Stücks natürlich in genau dieser Radikalität liegt.“ Lili Winderlich ergänzt, dass sie schon Empathie für ihn empfinden kann, woraufhin Mavie Hörbiger lachend einwirft: „Ich glaube, die Person, für die du keine Empathie empfindest, gibt es gar nicht.“ Winderlich, die seit Beginn der Spielzeit einen beeindruckenden Vorstellungsmarathon hingelegt hat, setzt ihre Überlegungen fort: „Ich glaube, dass sich hinter dieser Besessenheit sehr viel Unsicherheit und Fragilität verbirgt.“

Für Éliante, die Winderlich nach den ersten Probenwochen als ehrlich und klar wie auch als intelligente, aufgeweckte junge Frau empfindet, gibt es in Sachen Liebe allerdings ein Happy End. Wobei es nach so kurzer Zeit schwierig sei, ein klares Bild der beiden Frauenfiguren zu zeichnen, sind sich die beiden Schauspielerinnen einig. Bei Alceste ist die Sache ein wenig einfacher – „das ist ein weißer, privilegierter Typ in Pumphose“, sagt Mavie Hörbiger scherzhaft. Ein Satz, den man easy-peasy auch ihrer Figur Célimène zuordnen könnte.

„Natürlich wünscht man sich manchmal, in einer Gesellschaft zu leben, in der alle aufrichtig miteinander umgehen und ehrlich sind. In der Umsetzung ist das allerdings schwierig, weil es manchmal wichtig ist, die andere Person zu schonen“, so Hörbiger. Premieren seien beispielsweise solch fragile Momente, fügt Lili Winderlich hinzu. Da ginge es vor allem um gegenseitige Wertschätzung, sagen sie beinahe unisono.

Nach dem Interview begeben wir uns gemeinsam auf die Suche nach den neuen Burgtheater-Stickern. Wie drei Komplizinnen auf geheimer Mission. Um es mit der von Alceste eingeforderten Unumwundenheit zu sagen: ein schönes Gefühl.

Zur Person: Mavie Hörbiger

Die gebürtige Münchnerin begann ihre Theaterkarriere 2001 am Schauspiel Hannover. Seit 2011 gehört sie zum Ensemble des Burgtheaters. Neben ihrer Theaterarbeit ist Mavie Hörbiger auch für Film- und Fernsehproduktionen tätig. Bei den Salzburger Festspielen spielte sie im „Jedermann“ zuletzt die Rolle des Teufels – als erste Frau.

Seit der Spielzeit 2011/12 gehört die gebürtige Münchnerin zum Ensemble des Wiener Burgtheaters. Neben ihrer Theaterarbeit ist Mavie Hörbiger auch immer wieder in Film- und Fernsehproduktionen zu sehen, unter anderem in David Schalkos Miniserie „Ich und die anderen“. 2021 wurde sie in der Kategorie „Kulturerbe“ von der Zeitung „Die Presse“ als „Österreicherin des Jahres“ ausgezeichnet.

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