Neben der besonderen Wertschätzung für den Augenblick sind es auch die vielen kleinen und manchmal auch größeren Neuanfänge, die das Theater als Kunstform ausmachen – das nie abgeschlossene Erforschen bislang unbekannter Themenbereiche, Rollen und Konstellationen und die damit einhergehende Gewissheit, dass es am Theater nie „fad“ wird. Im Fall Dörte ­Lyssewskis ist das momentan gleich in mehr­facher Hin­sicht zutreffend. So hat sie mit „Der neue Menoza“ ge­rade ihre allererste Regiearbeit ab­geliefert und mit „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!“ zum ersten Mal ein Stück mit Regisseur Frank Castorf erarbeitet. 

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„Das ist das Schöne am Theater. Wo gibt es das sonst schon, dass man sich jedes Mal voll darauf einlässt, dabei manchmal auch auf die Fresse fliegt, in den Proben mit sich hadert und unruhige Nächte hat. Es gibt kaum einen anderen Lebensbereich, in dem man die Irritation so sehr liebt“, erklärt sie und beruft sich dabei auf 30 Jahre Theatererfahrung an unterschiedlichen Häusern. „Vielleicht ist die ­Liebe der einzige Bereich, von dem man das sonst noch sagen könnte“, fügt sie lachend hinzu. „Aber auf Dauer ist das dann meistens doch nicht so toll.“

„Dieses Stück ist Punk"

Nach einem aus bekannten Gründen auch für die Theaterwelt schwierigen Jahr, ist diese Spielzeit auch für das Burgtheater in gewisser Weise ein Neustart. Dass dieser ausgerechnet mit Frank Castorfs Inszenierung von Elfriede Jelineks aktuellem Stück „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!“ gefeiert wird, hält die in Niedersachsen geborene Schauspielerin für eine gute Entscheidung. „Dieses Stück ist Punk, und das tut dem Haus und der Stadt gut“, bringt sie ihre Einschätzung auf den Punkt. 

Die Arbeit an dem Text, der sich formal zwar klar im Universum Elfriede Jelineks verorten, gleichzeitig aber nur schwer beschreiben lässt, hat Dörte Lyssewski großen Spaß gemacht. Motive aus dem 10. Gesang der „Odyssee“ werden darin mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen vermengt, dabei einzelne Begriffe so weit verzerrt und ineinander verwoben, dass sie in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder auf­tauchen. Auch der titel­gebende Lärm wird im Stück auf unterschiedliche Weise verhandelt, sei es als „innerer Lärm, der entsteht, wenn man plötzlich auf sich selbst zurückgeworfen ist“, wie Lyssewski ausführt, oder auch als „Lärm der Empörten und der Politik“. Doch alle Erklärungs- und Beschreibungs­versuche können, wie die Schauspielerin hinzufügt, bei Elfriede Jelinek ohnehin immer nur Mutmaßungen sein.

Neue künstlerische Begegnungen. „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!“ ist Dörte Lyssewskis erste Arbeit mit Frank Castorf, der auch Peter Handkes „Zdeněk Adamec“ am Burgtheater inszeniert.

Foto: Matthias Horn

Gemeinsame Suche

Seit die Probenarbeit nach der Sommer­pause wieder langsam angelaufen ist, beschäftigt Dörte Lyssewski auch das Stück „Der neue Menoza“ von Jakob Michael Reinhold Lenz, für das sie kurzfristig ihren Arbeitsmittelpunkt von Wien nach Salzburg verlegt hat. Ihre erste Regiearbeit ist seit 23. September am Salzburger Landestheater zu sehen. Inwiefern ihre Erfahrungen als Schauspielerin bei ihrer neuen Aufgabe eine Rolle gespielt haben? „Ich weiß, was ein Schauspieler ist und was ein Schauspieler braucht. Will ich ihn an­zapfen, muss ich über jene Tools ver­fügen, die wichtig sind, damit er sich selbst zum Blühen bringt.“ Außerdem hat sie durch die Arbeit als Regisseurin einmal mehr erfahren, wie wichtig das Miteinander ist. „Gute Regisseure und Regisseurinnen erkennt man daran, dass sie sich gemeinsam mit dem Ensemble auf die Suche begeben.“

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Momente des Zaubers

Ein Stück, das ihr das ebenfalls auf besondere Weise gezeigt hat, war „Vor Sonnenaufgang“ in einer Bearbeitung von Ewald Palmetshofer und inszeniert von Dušan David Pařízek, das ­Ende 2017 am Akademietheater Premiere feierte. „Ich kann nur immer wieder von dieser Arbeit schwärmen“, sagt sie freude­strahlend. 

Geht es nach der Schauspielerin, liegt der Schlüssel zu diesen besonderen Momenten darin, „dass sich etwas ­zwischen den Leuten er­eignen darf“. Welche Form das Stück hat und ob es sich dabei um einen zeitgenössischen Text oder einen klassischen Stoff handelt, sei ihrer Meinung nach eher zweitrangig. 

Als Schauspielerin wie auch als Regisseurin zehrt Dörte Lyssewski, wie sie erläutert, unter anderem immer noch von ihrer Anfangszeit als Schauspielerin. Direkt nach der Schauspielschule wurde sie an die Berliner Schaubühne engagiert, die damals von Regie-­Legende Peter Stein geleitet wurde. „Die Ernsthaftigkeit und Genauigkeit, mit der dort gearbeitet wurde, zieht sich seitdem durch mein Leben. Durch all die großartigen Menschen, denen ich dort begegnet bin, habe ich den Job gelernt. Wobei man natürlich sagen muss, dass man in diesem Beruf natürlich immer weiterlernt.“ 

Womit wir wieder bei jenen Neu­anfängen angekommen wären, ohne die es keinen Punk am Theater gäbe. Ohne die es vielleicht gar kein Theater gäbe.

Foto: Irina Gavrich

Zur Person: Dörte Lyssewski

Studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und begann ihre Schau­spiel­karriere an Peter Steins Berliner Schaubühne. Engagements führten sie unter anderem nach Bochum, Zürich und Paris. Seit 2009 gehört sie zum Ensemble des Burgtheaters. 

Zum Spielplan des Burgtheaters