Elfriede Jelinek hat mir das Leben gerettet. Sie tat das nicht allein, sondern in enger Zusammenarbeit mit Nina Hagen. „Natur am Abend, stille Stadt. Verknackste Seele, Tränen rennen. Das alles macht einen mächtig matt. Und ich tu einfach weiterflennen“, besang die Göttinseibeiuns in ohrenzerfetzendem Falsett ihre „Naturträne“. 

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„ich bin GEIL sagt inge meise. wenn ich dürfte wie ich könnte. leider vergessen die drehbücher manchmal dass ich auch eine frau bin“, schrieb die Literatin lakonisch im Roman „Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft“. Beides nicht mehrheitsfähig im Südburgenland der 1980er-Jahre. Bei mir hingegen fiel das ­Subversive auf ausgedörrten Boden. Genau danach hatte meine 16-jährige Seele, ­welche sich suizidromantisch unverstanden fühlte, gedürstet. Punk statt Zeltfest. Jelinek statt Konsalik. 

„Die Klavierspielerin“ kam schließlich wie eine Naturgewalt über mich. Man musste dieses inhaltlich ­drastische, sprachlich virtuose und arglistig komische Werk extra bestellen wie ein Pornoheft, da es die kleinstädtische Buchhandlung nicht lagernd haben wollte. Mich interessierte weniger die psychoanalytische Deutung der krank­haften Mutter-Tochter-Beziehung, mich faszinierte eher die explizite Darstellung der völligen Disharmonie. Die Kleinfamilie als Keimzelle alles Bösen. Der Witz, der hinter jeder Grausamkeit lauern konnte. Verblüfft nahm ich wahr, dass es in Wien Örtlichkeiten geben sollte, in denen Frauen gegen finanzielle Zuwendungen ihr Innerstes preiszugeben bereit waren, und nächtliche Parks, die Liebespaaren als erotische Anziehungspunkte galten. „ich bin GEIL sagt inge meise. ich bin dauernd GEIL. aber die fernseher sind zu blöd um das zu kapieren.“ Das alles ergab plötzlich Sinn. 

Ein Hoch auf die Beiläufigkeit

Bald nach meinem Umzug nach Wien konnte ich Elfriede Jelinek persönlich bestaunen. Ganz Groupie, wusste ich, dass sie in Kaffeehäusern wie dem Alt Wien verkehrte, wo ich fortan Abende verbrachte, um ihrer ansichtig zu werden. Ich bewunderte die blonden Zöpfe, welche mit dem herbstroten Lidschatten korrespondierten, und wollte fortan ebenfalls japanische Designermode ­tragen, was an der Höhe meines Stipendiums scheiterte. So saß ich da und glotzte, wobei ich möglichst beiläufig wirken wollte. Wenigstens das dürfte gelungen sein, denn sie nahm nie Notiz von mir. Während ich eifrig „Die Ausgesperrten“ las, die formalen Anstrengungen ihres Frühwerks „wir sind lockvögel baby!“ auf mich nahm und längst mehrseitige Textpassagen aus der „Klavierspielerin“ auswendig herzusagen wusste. 

Später hatte ich im Rahmen der „Berufsschwuchtel“-Kampagne des Life Ball Mailverkehr mit ihr. In ­diesem erwies sie sich als unkompliziert freundlich, beinahe bodenständig. Sie willigte ein, dem Anliegen hilfreich zu sein, und sandte bereitwillig Fotos von sich, welche sie in unschönen „Berufsschwuchtel“-T-Shirts zeigten, die ihr Ehemann aufgenommen hatte. Als sie 2004 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, lud ich zur One-Man-Party, trank billigen Rotwein wie einst im Alt Wien und versuchte mich glasweise am Rezitieren aus der „Klavierspielerin“. Was für ein Fest. „ich bin GEIL sagt inge meise. bin ich auch glaubhaft?“

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