Johann Nepomuk Eduard Ambrosius Nestroy (1801–1862) ist in Österreich so bekannt, dass über ihn kaum ein Satz gesagt werden kann, der sich nicht im dreifachen Umfang mit passenden Zitaten aus seinen Stücken untermauern ließe. Aber was hat er dem Theater noch immer und vielleicht umso dringlicher zu sagen? Gerade jetzt, wo es manchmal nicht recht weiß, wie ihm der Kopf steht, wo es sich fragt, was seine Aufgaben in einer veränderten Gesellschaft sind, und wer es in Zukunft besuchen wird?

Anzeige
Anzeige

Nestroy gehört mit zu denen, die ihm, dem Theater, ein längst verlorenes Alleinstellungsmerkmal zurückgeben könnten. „Geschichten erzählen“, das machen analoge wie digitale Medien bisweilen besser, benutzerfreundlicher und mit mehr special effects. Er jedoch entfacht auf der Bühne wie kaum ein anderer die Lust an grenzüberschreitendem Denken, entfacht den magischen Moment, der, wenn er sich denn einstellt, ganz ohne Zauberei auskommt, in dem Sprache sich durch die Körper der Sprechenden hindurch verselbständigt und Schauspieler*innen und Publikum für ein paar Stunden zu Komplizen auf Wahrheitssuche zusammenschmiedet.

Für Karl Kraus ist er „der erste Satiriker, bei dem sich die Sprache Gedanken macht über die Dinge“. Mit ihm beginnt eine Traditionslinie der Sprachkritik als Kritik der Wirklichkeit, die sich über Kraus, Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek bis in die Gegenwart fortschreibt.

Nestroy nimmt, sammelt und nutzt alles, was er brauchen kann – zum Glück trieben seinerzeit „nur“ Zensoren und nicht Plagiatsjäger ihr Unwesen ... Er verwandelt die Vaudevilles, „Groschenromane“ und andere Vorlagen in Erkenntnismodelle im Gewande der Komödie, die auch dann noch taugen, wenn ihre Stoffe schon längst vergessen sind. Was vor 170 Jahren extemporiert wurde, liest sich heute noch immer als aktueller Kommentar auf die Zeitung, die wir gerade aufschlagen.

Ein bisschen trallalala

Zwei Superstars aus Wien

Fritzi Massary und Max Pallenberg machten im Berlin der 1920er-Jahre Theaterfurore und erlebten privat die große Liebe. Ruth Brauer-Kvam und Robert Palfrader spüren dem einstigen It-Couple nach und freuen sich auf „Ein bisschen trallalala“. Weiterlesen...

Anzeige
Anzeige

Seine Sprache, kein Dialekt, vielmehr Kunstsprache, treibt er nach dem Motto „nur ja nichts rauskommen lassen ans Licht der Öffentlichkeit und dabei nur ja nichts unerschnüffelt lassen im Dunkel des Privatlebens“ auf die Hochschaubahn des Denkens, wo die Worte einander in waghalsigem Tempo überholen, bis sie mit ihrem Sinn kollidieren und der Unsinn aus ihnen herauskippt. Satire erschlägt die Phrase, bevor sie in den Mund derer gelangt, die sie dreschen. Nestroy schreibt für Nestroy, der Dichter für den Schauspieler, der den Dichter immer weitertreibt. Seine Texte lassen deshalb der Imagination des Theaters so viele Freiheiten, bis heute.

Als Revolution machen noch gefährlich war, trieb es ihn auf die Barrikaden, ohne den Revolutionären über den Weg zu trauen. Die einzige Autorität, die er gelten lässt, ist die Vernunft. Sein Giftschrank enthält noch immer höchst wirksame Wahrheitsdrogen. Die wir im Trüben fischen, müssten im Theater nur ein paar Tropfen hineingeben, und schon würden fake news und Begriffsverwirrung zu Boden sinken und die Sicht sich klären – zumindest für einen Abend. Spielt Nestroy! Rauf und runter. Es zahlt sich aus.

Zur Person: Sabine Mitterecker

ist Regisseurin, Produzentin und Dramaturgin. Mitterecker wurde zweimal mit dem NESTROY ausgezeichnet. 2022/23 wurde ihre Jelinek-Inszenierung von „Eurydice says“ in London, New York und Washington aufgeführt.