Von ersten, zweiten und dritten Dingen. Bejun Mehta war 2019 der Allererste, der als Countertenor Händels Giulio Cesare an der Mailänder Scala interpretierte. Sein Rollendebüt hat er 2004 in Pittsburgh gegeben. Im Theater an der Wien steht er jetzt zum dritten Mal damit auf der ­Bühne. 2002 sang er noch Cleopatras durchgeknallten Bruder Tolomeo unter Marc Minkowski im Wiener Konzerthaus: „Das war am Anfang meiner Karriere. Ich stieg dann rasch zu den Hauptrollen auf, war Orlando, Rinaldo, Bertarido in ‚Rodelinda‘.“ Der Cesare blieb die seltenste seiner Händel-Rollen. 

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Verworrene Handlung

Orlando etwa ist psychologisch der konzisere Charakter, die Handlung klarer als die des verworrenen „Giulio Cesare“. Aber genau das macht es für Mehta spannend, „weil man sich der Rolle – ohne zu wissen, wie der Regisseur sie sieht – nur schwer nähern kann. Es gibt etwas an diesem Cesare, das die Regisseure immer wieder verleitet, einen komischen Ansatz, eine gewisse Leichtigkeit, hineinzubringen. Ich habe das nie verstanden, denn der echte Cesare war zur Zeit der Opernhandlung 52 Jahre alt. Ein älterer Mann, der ein erfülltes Leben hatte, der sich plötzlich in seiner letzten Schlacht wiederfindet und von diesem Teenager verhext wird.“ Mehta entdeckt viel eher Pathos an ihm, Weltschmerz: „Wie sonst sollte in ‚Aure, deh, per pietà‘, dieser über zehn Minuten langen Szene, aus dem Nichts heraus diese unglaubliche, weitgespannte Musik strömen?“

Die Sopranistin Louise Alder war bis 2019 im Ensemble der Oper Frankfurt. Seither ist sie freischaffend. „Gutes Timing“, sagt sie mit trockenem britischen Humor und blickt auf  einen vollen Kalender.

Foto: Gerard Collett

Von Giulio Cesare die Augen geöffnet

Mehta, Jahrgang 1968, wird im Theater an der Wien von der 1986 in London geborenen Louise Alder als Cleopatra verzaubert. Man kennt sie in Wien von der Staatsoper als „Figaro“-Susanna und Sophie im „Rosenkavalier“. Dem „Giulio Cesare“ verdankt die Opernsängerin viel. 

Als Kind tanzte Alder im Ballett und spielte Violine. Doch auch „Gesang war immer in meinem Leben. Mein Vater sang im Extrachor von ­Covent Garden, meine Mutter spielte im ­Orchester in Glyndebourne. Von Geburt an war ich in beiden Opernhäusern daheim. Aber lustigerweise war ‚Giulio Cesare‘ in Glyndebourne schuld daran, dass ich Sängerin wurde. 2005 sah ich die Inszenierung von David McVicar. Bis dahin war meine Vorstellung von Oper verbunden mit korpulenten, laut singenden Menschen, vor allem in statischen Wagner-Inszenierungen. Plötzlich zu erleben, wie Danielle de Niese als Cleopatra in dieser lebendigen Inszenierung tanzt und singt, hat mir die Augen geöffnet, dass Singen, Spielen, Tanzen zusammen möglich ist! Das wollte ich machen.“

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Die Voraussetzungen dafür waren vorhanden: „Ich hatte in der Schule Gesangsunterricht und großartige Lehrer am Royal College. Ich war zwar kein Wunderkind mit einer begnadeten Stimme, aber durch das Studium habe ich eine Stimme gefunden, die die Menschen mögen.“ 

Mit Festigkeit und Kraft

Apropos Stimme. Denkt man als Countertenor auch an den ersten Cesare, den berühmten Kastraten Senesino? „Pas du tout“, antwortet Bejun Mehta amüsiert. „Ich kann immer nur mein Ding machen. Ich habe meine Stimme, meine Technik, wir leben im 21. Jahrhundert.“ 

Cesare als Mezzo oder Counter? „Man braucht eine gewisse Festigkeit und Kraft in der Stimme, wenn man den Cesare singt. Wenn ein Mezzosopran  die gewisse Dramatik besitzt, ist das auch wunderbar. Besser als mit einem schwachen Counter“, sagt Mehta, der sich auch gegen das Vorurteil von der kürzeren Halbwertszeit der Countertenor-Stimmen wehrt.

Er selbst ist seit 24 Jahren aktiv und damit wohl der beste Gegenbeweis. „Für mich war es immer wichtig, so gut vorbereitet und so sicher in Bezug auf meine Technik zu sein wie nur möglich. Ich wollte mir persönlich eine Chance geben, als Künstler zu reifen. Wenn die Stimme nach zehn Jahren am Ende ist, geht sich das nicht aus. Sänger wie Christa Ludwig waren mir immer ein Vorbild“, so Mehta, der inzwischen auch dirigiert. Im Theater an der Wien ist in der neuen Intendanz von Stefan Herheim sogar eine Händel-Oper unter ihm geplant.

Ich möchte singen, singen, singen – so lange ich kann und man mich lässt."

Bejun Mehta

Ist ihm Singen zu wenig, denkt er an die Zeit danach? „Ich singe natürlich weiter! Und ich dirigiere erst seit kurzem und bin jetzt nicht darauf aus, etwa ‚Chowanschtschina‘ zu dirigieren. Ich möchte singen, singen, singen – so lange ich kann und man mich lässt. Seit einigen Jahren unterrichte ich viel, alle Stimmfächer, und als ich im College war, habe ich ein Kammerorchester gegründet und geleitet, außerdem war ich Cellist. Ich besitze ein grenzenloses Interesse an Musik, Kunst, Oper, und ich fand es spannend, all das zu kombinieren“, erzählt Mehta.

Mit der Violine hat auch Louise Alder eine ins­trumentale Vergangenheit, die wohl dazu führte, dass sie Koloraturen liebt und „mit schnellen, komplizierten Phrasen die stimmliche Flexibilität herauszufordern“. Ihre zweite Cleopatra gibt ihr Gelegenheit dazu. Auch um ihre schauspielerischen Fähigkeiten zu zeigen: „Ich singe so viele Susannas und Sophies, wunderbare Rollen, aber die sind immer nur nett. Die Barockwelt bietet spannendere Charaktere. Cleopatra ist eine unglaublich clevere, manipulative, schöne junge Frau. Sie hat Ecken und Kanten, sie nutzt alles, um Cesare herumzukriegen. Sie kennt keine Grenzen und kriegt, was sie will!“ 

Im Theater an der Wien singt Louise Alder übrigens zum ersten Mal. 

Zur Person: Giulio Cesare in Egitto 

Giulio Cesare in Egitto 

Wer: Ivor Bolton (musikalische Leitung), Keith Warner (Regie); mit: Bejun Mehta, Louise Alder, Patricia Bardon, Günther Groissböck 
Wann: ab 17.  Dezember 2021 
Wo: Theater an der Wien