„Im Sommer 2022 werden wir fast 200 szenische Opernwerke im Theater an der Wien und in der Kammeroper gezeigt haben, plus weitere 100 Opern in konzertanten Aufführungen“, resümiert Roland Geyer. Er wird dann sechzehneinhalb Spielzeiten lang die Geschicke des Theaters an der Wien bestimmt haben. Im Mozartjahr 2006 trat er an, um das geschichtsträchtige Theater wieder als Opernhaus zu etablieren. Es gelang rasch und beeindruckend.

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Seine letzten vier Saisonen hat Geyer den Tagesabläufen gewidmet und ist zum Finale „summa summarum“ in der „schwarzen Nachthelle“ angelangt. „Für mich ist die Nacht eine Reminiszenz an die Stunden, die man am Tag erlebt hat“, sagt Geyer. Er sieht nicht nur Dunkel, denn „letztendlich kommen durch schöne Träume, durch den Sternenhimmel auch heilende Elemente herein, bis die Helle des Morgens anbricht. Das ist der Kreislauf. Daher bleibt selbst bei Stücken, die tragisch enden, wie ‚Tosca‘, ‚La Wally‘, ‚Jenůfa‘ oder ‚Peter Grimes‘, auch die Hoffnung als Positives zurück“, so Geyer. 

Bekanntes neben Raritäten

Die Saison fasst zusammen, was seine Ära ausgezeichnet hat: Oper vom Beginn bis in die Gegenwart, Bekanntes neben Raritäten in avancierten Produktionen zu zeigen. Das Finale bietet daher je zwei Mal Werke aus Barock, 19. und 20. Jahrhundert in einer verkürzten Saison im Theater an der Wien, das ab März wegen Sanierung geschlossen wird. 

Geyer startet mit einer Korrektur: „Ich habe meinem Publikum immer wieder erklärt, dass die Oper 1607 mit Monteverdis ‚L’Orfeo‘ begonnen hat. Doch als erste Oper gilt tatsächlich Emilio de’ Cavalieris ‚Rappresentatione di Anima, et di Corpo‘. Sie wurde 1600 uraufgeführt und ging sogleich in Druck. Ich konnte dafür zwei außergewöhnliche Künstler gewinnen: Giovanni Antonini als Dirigent, der dieses Werk liebt und um die Schwierigkeiten des frühen Sprechgesangs weiß, außerdem Robert Carsen, der dieses allegorische Sujet in einen theatralischen Raum versetzen kann, der auch ein heutiges Publikum fasziniert.“ 

Wenn ich noch einmal Giulio Cesare angreife, dann muss das Haus beben!"

Roland Geyer

Händels „Giulio Cesare“ steht als zweiter Barockstreich an. Bereits 2007 brachte Geyer die Oper in einer feinsinnigen Christof-Loy-Regie auf die Bühne, und er hat sich vorgenommen, „wenn ich noch einmal ‚Giulio Cesare‘ angreife, dann muss das Haus beben!“ Also überzeugte er Keith Warner, dessen großer Theaterpranke er zahlreiche Erfolge verdankt, zu seiner ersten Barockopern-Regie. 

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Kušej bohrt ins Innere

Die Spannung steigt auch bei ­Puccinis „Tosca“: Martin Kušej, der 2008 gemeinsam mit Harnoncourt ­Strawinskys „­Rake’s progress“ herausgebracht hat, kehrt zurück. Diesmal mit Dirigent Ingo Metzmacher, und Geyer verspricht, dass „Kušej tief ins Innere bohrt. Das wird eine ‚Tosca‘, die man so noch nicht gesehen hat.“ Dem steht mit Catalanis „La Wally“ eine Verismo-Rarität in der Regie von Barbora Horáková gegenüber, deren Thema für Geyer hochaktuell ist: „‚La Wally‘ ist ja nicht nur so eine Berggeschichte. Es geht um Gewalt in der Familie und um Gewalt gegenüber Frauen.“ 

Auch das Schicksal von Janáčeks „Jenůfa“ legt er in die Hände einer Regisseurin, in die der designierten Volksopern-Direktorin Lotte de Beer. Nina Stemme wird dabei als Küsterin ihr Haus- und zugleich ihr Rollendebüt geben. Als sechste Produktion erlebt mit Brittens „Peter Grimes“ die mit dem International Opera Award ausgezeichnete Inszenierung von Christof Loy – und damit „der international wohl größte Erfolg des Theaters“, so Geyer – seine Wiederaufnahme. 

Konzertant erklingt unter anderem der 1846 am Haus uraufgeführte „Waffen­schmied“ des damaligen Kapellmeisters Albert Lortzing, für den Günther Groissböck in der Titelrolle und Puppenmeister Nikolaus Habjan als Moderator antreten. 

Nach sechzehneinhalb Saisonen sucht Intendant Roland Geyer in seiner letzten Spielzeit „summa summarum“ die „schwarze Nachthelle“.

Foto: Philipp Schönauer

Doppelspiel von Film und Bühne

Auf die Opern-Ikone „Orfeo“ will Geyer trotz Cavalieri-Korrektur nicht verzichten. Ian Bostridge singt Monte­verdis Vertonung konzertant, dazu erklingt eine rare Fassung von Porpora, und in der Kammeroper inszeniert ­Philipp M. Krenn Glucks „Orphée“. Mit ­Rossinis „Barbiere“, in der Regie von Christoph Zauner, und „The Lighthouse“ von Peter Maxwell Davies, betreut von Michael Zlabinger, lässt Geyer „drei der führenden jungen österreichischen Regisseure zurückkommen“. 

Gegenwärtig wird es dann bei Tobias Pickers Émile Zola-Vertonung „­Thérèse Raquin“. Mit „Enoch Arden“, einem versunkenen Erfolg der 1930er-Jahre von Ottmar Gerster, wagt Geyer noch einmal die große Herausforderung. Er konnte David Haneke für ein faszinierendes Doppelspiel von Film und Bühne gewinnen und verspricht die Geschichte eines Schiffbrüchigen, der auf einer Insel die Phasen der Isolation quasi als ­Halluzination erlebt, und bei der man als Zuschauer „am Ende nicht mehr weiß, war das Realität, Kino oder Theater“. 

Roland Geyer hat für diesen Schlusspunkt selbst die Konzeption entworfen. Seine ganze Direktion lang konnte ihn „diese Leidenschaft des Suchens, des Recherchierens, des Ausgrabens“ beflügeln, und dafür war das Theater an der Wien „eine Plattform, wie ich sie sonst nirgends auf der Welt wüsste“.

Zur Person: Roland Geyer

Er studierte Wirtschaftsmathematik und Kulturmanagement. 1987 bis 1996 war er Generalsekretär der Jeunesse Musicale, danach Wiener Musikintendant, wo er die Formate Klangsommer und Osterklang etablierte. Anfang 2006 übernahm er das Theater an der Wien.