Elīna Garanča ist in der Stadt: Verträge mit der Wiener Staatsoper für 2023 sind zu unterschreiben. Ihre Open-Air-Konzerte in Göttweig und Kitzbühel wollen promotet werden. Dann noch ihr Projekt „ZukunftsStimmen“, mit dem Garanča junge Sänger*innen sucht und unterstützt. Am Abend gibt der Kosmetikkonzern GW Cos­metics ein Abendessen für sie im Hotel Bristol. 

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Bei anderen Superstars in dieser Größenordnung muss man einen Wall von Managern überwinden. Nicht so bei Garanča, denn Elīna Garanča managt sich selbst – und das höchst erfolgreich. Sie entscheidet, wen sie an sich heranlässt und wie weit. Sie ist bei Treffen hochprofessionell, immer am Punkt, und – was wenige wissen – Elīna Garanča kann sehr, sehr lustig sein. Bonmots werden von ihr blitzschnell abgefeuert, und sie freut sich, wenn das Gegenüber eine Sekunde zu lange braucht, um den Gag zu verstehen. Zwei spektakuläre Rollendebüts hat Garanča allein dieses Jahr in Wien abgeliefert. Zuerst die Kundry, dann die Principessa di Bouillon. Ab Jänner singt sie in Zürich („Cavalleria rusticana“), dann an der Met in New York („Don Carlos“). Es folgen Chicago (Mahlers „Rückert-Lieder“), London („Samson et Dalila“) und dann schon die Österreich-Open-Airs. Ziemlich durchgetaktet, so ein Diven-Leben. Bevor das alles losgeht, dürfen wir ran. 

Eine Suite im Sacher. Ihr derzeitiger Lieblings­designer Niko Niko schiebt Kleiderstangen voller Outfits hin und her. Garanča muss heute noch mehrere TV-Interviews geben, und damit sie nicht in allen gleich aussieht, wird der ganze Aufwand getrieben. Garanča freut sich offensichtlich, uns zu sehen. Das wiederum freut uns, und wir plaudern drauflos.

Es sind viele kleine Sternschnuppen unterwegs. Kaum hat man sie kennen- und lieben gelernt, sind sie auch schon wieder weg.

Elīna Garanča über den Nachwuchs

Was ist los mit dem Nachwuchs? Wo sind die großen Stars der Zukunft? Warum tut sich da nichts – oder ist der Eindruck falsch?

Es tut sich schon etwas, aber das Problem ist in der Nachhaltigkeit zu sehen. Ich erlebe auf der Bühne wundervolle junge Kollegen mit einer wunderschönen Stimme, aber diese sitzt oft nicht richtig. Brutal gesagt: Sie sind technisch schwach. Es sind viele kleine Sternschnuppen unterwegs. Und kaum hat man sie ein wenig kennen- und lieben gelernt, sind sie auch schon wieder weg. Und weil derzeit diese Konstanz an stimmlichem Nachwuchs fehlt, entsteht beim Publikum die innerliche Sorge, dass der Nachwuchs fehlt. Es gibt kaum Sänger, die durchgehend zehn Jahre präsent sind. Es ist in der Branche zu beobachten, dass Karrieren nicht mehr langfristig aufgebaut werden. Alles muss schnell gehen, auch der Erfolg. Das kann funktionieren – aber viele neue Stimmen werden gehypt und ausgenutzt. Wer überlebt, der überlebt. Und wenn nicht, dann kommt der/die Nächste.

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Aber war das nicht immer schon so?

Nein, nicht in der Art und Weise. Durch die Medien und vor allem durch die neuen Medien und die daraus resultierende permanente Präsenz hat sich viel verändert. Alles, was man tut, geht sofort online – und damit macht man Sänger kaputt. Denn jeder Sänger kann und muss Fehler machen, muss durch das Ausprobieren seine eigenen stimmlichen Grenzen erkennen und erfahren. Wenn aber jeder Fehler online geht und nicht mehr löschbar ist, dann hat man keine Chance, aus dem Fehler, den man gemacht hat, zu lernen. Wenn man früher in einem kleinen Theater in einer Rolle daneben­gesungen hat, dann war das egal.

Heute filmt jeder mit seinem Handy mit, und am nächsten Tag steht es auf YouTube. Aber wir sind keine Roboter. Einmal singen wir besser, einmal singen wir schlechter. Diese Schnelllebigkeit, die dich für einige Zeit zu einem Superstar hypt, die verwirrt und macht unsicher, und es gibt zu wenige junge Sänger, die die Stärke haben zu sagen: „Ich überlebe das.“ (Elīna Garanča schaut kurz ernst und beginnt zu lächeln.) Das klingt jetzt alles so furchtbar traurig und frustrierend, aber so meine ich das gar nicht …

Die zwei großen Garanča-Open-Air-Konzerte in Österreich: Am 6. Juli singt die Operndiva in Göttweig, am 9. Juli 2022 dann in Kitzbühel.

Foto: Rene Langer

Das Fehlen von Technik, ist das ein Problem der Ausbildung?

Das kann man nicht generalisieren. Für mich wird zu viel über die Maske geredet, in der man singen soll. Und junge Sänger versuchen zudem zu sehr, einen bestimmten Klang in ihre Stimme zu kriegen. Der Effekt übertrumpft dann dabei oft die Technik – und das ist nicht der Sinn der Sache und führt langfristig nicht zum Erfolg. 

Wenn ich mir Ihre Karriere ansehe, dann haben Sie sich offensichtlich ganz genau überlegt, wann Sie was singen … 

Ich habe und hatte vier Grundphasen in meinem beruflichen Leben. Jede davon wurde von einem Lehrer begleitet. Jeder von ihnen hat mich eine Stufe weiter gebracht. Die Kundry in Wien wurde nicht in einem Monat vorbereitet. Die Vorbereitungen liefen drei Jahre im Voraus. Ich persönlich hasse Marathons, aber ich bin in meiner stimmlichen Ausbildung eine Langläuferin. Ich bin nach 25 Jahren auf der Bühne noch immer in der Lage, ganz vorn mitzusingen, und kann mir noch immer ein neues Repertoire aufbauen und mich noch verbessern. Und das macht mir großen Spaß. Wenn ich vor zehn Jahren einige Rollen gesungen hätte, die man mir angeboten hat, dann wäre ich nicht dort, wo ich jetzt bin.

Wie stelle ich mir den Gesangsunterricht bei Garanča zu Hause vor? Kommt da einmal pro Woche der strenge Herr Lehrer?

Fast. Manchmal arbeiten wir drei, vier Tage intensiv durch, und dann sehen wir uns drei Monate nicht. In diesen drei Monaten höre ich mir die Aufnahmen von den Übungsstunden mit ihm an, und jedes Mal erkenne und höre ich etwas anderes. Für mein Rollendebüt der Principessa di Bouillon war mein Lehrer mit in Wien – und plötzlich hat es klick bei mir gemacht, und ich habe verstanden, was er mir vor drei Jahren über die Rolle gesagt hat. Die Stimme braucht Zeit und Geduld. 

Es ist also einfach nur harte Arbeit …

… und viel Disziplin. Und man sollte langfristig denken. Wenn ich eine Kundry mit 28 gesungen hätte – womit hätte ich dann das Publikum zwanzig Jahre später noch begeistern können? Ich stelle jungen Sängerinnen und Sängern immer die gleichen Fragen: „Was ist deine Traumpartie? In welchem Theater möchtest du sie einmal singen?“ Die jungen Kollegen nennen dann irgendwelche Rollen, und ich sage dann: „Als Sängerin bist du in der Vollblüte deiner Karriere zwischen 40 und 55 – und genau dann musst du bei deinem Wunschziel angekommen sein. Alles davor ist nur der Anlauf.“ Wie gesagt: Man muss Geduld haben – es dauert lange … 

Sie sind jetzt genau in dieser Altersspanne. Welche Rollen wollen Sie jetzt noch singen?

Die Mrs. Quickly reizt mich. Eine Sieglinde hat man mir auch noch nicht angeboten. Und meine langersehnte Amneris werde ich endlich im Jänner 2023 singen. Das Haus meiner Wahl (Elīna Garanča lächelt breit und schaut aus dem Fenster ihrer Suite rüber zur Wiener Staatsoper) wird es beizeiten verkünden. Noch ist es geheim. (Jetzt beginnt sie richtig herzlich zu lachen.) Also die Amneris ist dann mein Mount Everest. Wenn ich diese Partie endlich hinter mich gebracht habe, dann habe ich ziemlich viel richtig gemacht. 

Zwei Rollendebüts hat der Star dieses Jahr abgeliefert. Über die Kundry in „Parsifal“ sagt sie: „Auf diese Rolle habe ich mich drei Jahre vorbereitet. Ebenso lange auf die Principessa di Bouillon. Die Amneris wird jetzt mein ganz persönlicher Mount Everest.“

Foto: Andreas Jakwerth

Wie ist das, wenn man auf dem Gipfel des Mount Everest steht, runterschaut und vielleicht noch ein wenig oben bleiben möchte?

Die Luft ist recht dünn, und man ist auch sehr einsam da oben. Und: Weiter geht es nicht mehr. Ab dann sollte man wissen, wie man von diesem Berg wieder möglichst graziös und elegant runtersteigt. 

Sind das erste sentimentale Gedanken an den Abschied? Denken Sie wirklich ernsthaft über das Aufhören nach? 

Es beschäftigt mich schon. Ich überlege oft: Wie werde ich meinen Ausklang machen? Singe ich und sage dann am nächsten Tag „Das war’s“? Oder mache ich noch eine letzte Tournee? Wissen Sie: Ich schaue nie zurück, sondern immer nur nach vorn. Vielleicht entsteht aus dem ZukunftsStimmen-­Projekt eine neue Herausforderung, und ich kümmere mich um den Nachwuchs – wer weiß. Wenn ich die Amneris gesungen habe, dann kann ich aufhören. Das ist mein Everest – obwohl die Kundry einem technisch mehr abverlangt. Die Frage ist: Wenn ich diese Rolle geschafft habe, wie kann ich mich dann noch selbst motivieren? Ab dann kommt alles als Extrabonus dazu.

Ist es nicht schön für Sie, wenn Sie sehen, dass es außer Netrebko und Ihnen keine wirklichen Diven mehr in der Wahrnehmung der Menschen gibt? Das nimmt doch den Druck – oder irre ich mich da? Und was ist das überhaupt für eine Beziehung, die Sie mit Anna Netrebko haben?

Die Menschen mögen dieses Duell der Diven. Das ist die mediale Wahrnehmung. Ich sehe es so: Wenn ich mit großen Kollegen auf der Bühne stehe, dann genießen wir die gesunde Rivalität, um Erfolg zu haben. Es ist ein Spaß, wenn ich mit Jonas (Anm.: Jonas Kaufmann) oder Anna auf der Bühne stehe – da wird dann sozusagen Tennis auf höchstem Niveau gespielt. Das sind dann die absoluten Glücksstunden. Da ist man nicht nur Sänger, da ist man Künstler, da bin ich dann ein freier Mensch auf der Bühne. Das ist etwas ganz Besonderes.

Zur Person: Elīna Garanča

Mit 21 hatte sie ihr erstes ­festes Engagement. Sie hat zweimal den Klassik-Echo gewonnen und ist seit 2013 Kammersängerin. Studiert hat der Weltstar zuerst in Lettland, dann in den USA, Amsterdam und Wien.