Mann kann zum Beispiel Künstler schütteln. Dass hier zwei ehrwürdigen Volksoperntenören krasses Unrecht widerfährt, tut nichts zur Sache; weder ist Adolf Dallapozza ein „toller Patzer“, noch traf Folgendes auf den großen Kammersänger Peter Minich zu:

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„Nur entfernt zwei Meter bin ich
und hör kan Ton vom Peter Minich.“

Bisweilen werden auch unbenannte Unbekannte Opfer von Schüttlern:

„Meistens singt er verständlich,
manchmal stinkt er verseh’ntlich.“

Letzteres ist der Sprachfantasie des Volksopern-­Inspizienten Michael Weber entsprungen, der nächste Schüttelreim ist aus meiner dünnen Hirn­luft gegriffen:

„Die Leute gingen scharenweise,
denn unsre Sänger waren scheiße.“

Einmal bot ich dem Kollegen per Mail einen harmlosen Zauberflöte-Schüttler an. ­Sarastro spricht:

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„Lieber Jüngling, sei nicht rein,
du musst erst gereinigt sein.“ 

Weber antwortete mit einem durchaus obszönen Schüttelblick auf Mozarts Meisterwerk. ­Pamina zu Sarastro:

„Es wünschte sich der böse Mohr,
dass er in meiner …“

Schüttelreim als Kunstgattung

… nein, ich kann nicht weiter, die BÜHNE muss ein jugendfreies Blatt bleiben. (Das ist auch der Grund, warum ich den Begriff „Hirnwixerei“ bislang vermieden habe, obwohl es sich beim Schüttelreimen genau darum handelt.) Harry Zohn war ein in Wien geborener und in den USA zu Ehren gekommener Germanist, der in seiner Tagesfreizeit bisweilen auch geschüttelt hat. Im Falle des Rosenkavaliers führte dies zu:

„Als Baron Ochs schaut Otto Edelmann
sich lüstern das junge Mädel an.
Octavian kennt er als Mariandl,
doch ist sie mehr ein Campari-Mandl.
Er will ihr keine Rosen kaufen,
und drum muss er beim Kosen raufen.
Beim Aktschluss hört man ‚Leopold, mir gengen‘ 
sich in Wirrwarr und seine Gier mengen.
Octavian aber sehnt sich nach der Sophie-Seele,
fürchtet grundlos, dass beim Happy End sie fehle.“

Noch mehr als das Opus von Richard Strauss lädt jenes seines Vornamensvetters Wagner zu Persiflagen ein. In Fachkreisen keineswegs unbekannt sind folgende Schüttelreime, die sich auf den Ring des Nibelungen beziehen:

„Ich bitte, wohnt hier der singende Drache?
Ich hätte für ihn eine dringende Sache.“
„Du fragst, was mich an Mime stör?
Der Mann hat keine Stimme mehr!“
„Durch des Feuerzaubers beizenden Rauch
erblickt man Brünnhildes reizenden Bauch.“
„Die vor sich hinbrüllt,
das ist die Brünnhild!“

„Come on Baby, fight my Leier!“

Ein findiger Schüttler subsumierte Wagners Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg in dem Aufruf, den Tannhäuser einem Konkurrenten hinwirft: „Come on Baby, fight my Leier!“ Und abermals von Michael Weber stammt diese überraschende Paraphrase auf Parsifal, die in den neunten Wiener Gemeindebezirk führt:

„Amfortas liebt den Gral sehr und
sucht ihn auf dem Alsergrund.“

Manchmal werden Schüttler auf offener Bühne präsentiert (beherzte Mitglieder des Staatsopernchores transformierten die Textstelle „Su! del Nilo“ in Verdis Aida zum nützlichen „Nudelsilo“), aber nicht immer beabsichtigt. Der junge Bassist Stefan Cerny hatte als Erster Nazarener in Salome zu singen: „Mir ist sicher, dass er der Prophet Elias ist.“ Durch eine Unachtsamkeit behauptete Cerny bei einer Aufführung plötzlich zur Überraschung ­aller, dass es sich um den „Prolet Ephias“ handelte …

Zur Person: Christoph Wagner-Trenkwitz

Alter: 58 Jahre
Wohnort: Wien 
Biografie: Dramaturg, Musik­wissenschaftler, ­Buchautor (und legendärer Opernball-Kommentator). Er ist Intendant der Operette Langenlois und seit 2009 Chefdramaturg an der Volksoper in Wien.

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