Die Verhaftung von Andrea M. im Jahr 2000 führte dazu, dass es in Wien einen ganzen Sommer lang kaum noch Haschisch gab. Das „Pupperl“ agierte nämlich nicht nur als kleines Rädchen innerhalb eines ebenso ausgefuchsten wie brutalen Systems, sondern brachte den Drogenhandel in Wien in den Neunzigern erst so richtig zum Laufen. Verurteilt wird sie letztendlich für den Handel mit knapp 1.000 Kilo Haschisch.

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Für alle Zahlenbegeisterten: Das reicht in etwa für drei Millionen Joints. Die Wiener Autorin Magda Woitzuck setzte sich mehrmals mit der ehemaligen Dealerin zusammen, um mit ihr über ihre Geschichte zu sprechen. Ihre Erlebnisse und Gedanken fing Woitzuck in Form von Tonaufnahmen ein, um sie anschließend zu dem Podcast mit dem mehrdeutigen Titel „Shit Happens“ zu verarbeiten. In insgesamt 13 Teilen veröffentlichte der Südwestrundfunk (SWR) anschließend die von Andrea M. selbst – nicht immer kohärent – vorgetragene Geschichte aus der Wiener Unterwelt.

Für das Volkstheater in den Bezirken adaptiert Regisseurin Charlotte Sprenger gemeinsam mit Calle Fuhr den Podcast für die Bühne. Wobei man hier eigentlich von „Bühnen“ sprechen muss, denn „Ich bin alles – als mir die Stadt gehörte“ wird durch die Wiener Bezirke touren. Darüber, wie sich so ein Tourleben anfühlt, kann die Musikerin Polly Lapkovskaja so einiges erzählen. Die in Minsk geborene Künstlerin wird für Charlotte Sprengers Inszenierung die Musik machen.

„Jeden Nachmittag packt man aufs Neue seine Sachen aus und wieder ein, um anschließend weiterzuziehen. Das kann anstrengend sein, macht aber auch großen Spaß“, erzählt die vielseitig beschäftigte Musikerin, die man unter anderem von ihrer Band Pollyester kennt. In dem Tourleben, das sie mit „Ich bin alles“ ab 24. Februar erwartet, erkennt sie auch eine Analogie zu Andrea und ihrer Welt. „Das Artist*innenleben, das wir führen werden, basiert ebenfalls sehr stark darauf, dass wir zwar etwas einstudiert haben, aber mit vielen Faktoren umgehen müssen, die wir nicht kontrollieren können – und die weit über die Begegnung mit einem immer wieder neuen Publikum hinausgehen.“

Ganz nah dran

Auch Sophia Mercedes Burtscher, die als Schauspielerin die Theaterfassung auf die Bühne bringen wird, freut sich auf die Tourerfahrungen. Bis 2022 gehörte die gebürtige Bregenzerin zum Ensemble des Schauspiel Köln, seither arbeitet sie frei. Über Magda Woitzucks Podcast näherte sie sich der Geschichte der Andrea M. an. Eine sehr intensive Erfahrung, wie die Schauspielerin erzählt.

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„Das Material erfordert ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit, man kann den Podcast nicht einfach nebenbei laufen lassen.“ Von ähnlichen Erfahrungen berichtet auch Polly Lapkovskaja: „Dadurch, dass man sie über so viele Stunden so nahe an den Ohren hat, kriecht sie richtig in einen hinein. Ich habe gemerkt, dass ich immer wieder zwischen totaler Faszination und einem Gefühl der Abstoßung hin und her geschwankt bin.“

Über die Inszenierung können Sophia Mercedes Burtscher und Polly Lapkovskaja zum Zeitpunkt unseres Gesprächs noch nicht allzu viel erzählen – es ist der Tag nach der ersten Leseprobe. „Wir sprechen gerade viel darüber, wie wir uns der Figur und ihrer Welt annähern möchten. Versetzt man sich in sie hinein, oder distanziert man sich lieber? Oder wählt man überhaupt einen multiperspektivischen Zugang?“, legt Sophia Burtscher einige der wichtigsten Fragen der gemeinsamen Suche offen.

Auch sie hatte das Gefühl, dass Andrea M. durch ihr sogartiges, theatrales Erzählen sehr nahe an sie herangerückt ist. „Es gibt in mir irgendwo den Anspruch, dieser Person gerecht zu werden. Gleichzeitig muss man sich Freiräume schaffen, denn es ist keinesfalls unser Anspruch, eine einzige Verkörperung der Andrea M. auf die Bühne zu bringen. Wo liegt beispielsweise der Antrieb, das Leben so stringent abseits unserer normativen Gesellschaftsordnung zu leben? Was bedeutet es, ein Zuhause zu haben? Was bedeutet Community, was bedeutet Verrat? Sie hat unendlich viel zu erzählen über das Menschsein, weil sie einfach alles erlebt hat.“

Ein Stationendrama

Auch das Düstere der Wiener Unterwelt mitsamt all ihrer Brutalität und ihren Exzessen wird in der Inszenierung eine Rolle spielen. Sophia Burtscher und Polly Lapkovskaja sind sich einig, dass nur ein Blickwinkel nicht ausreichen wird, um das multidimensionale, mit der Stadt eng verwobene Leben der Andrea M. zu inszenieren. „Auf der einen Seite ist es bewundernswert, auf welch kompromisslose Weise sie ihr Ding durchgezogen hat. Andererseits arbeitete sie eindeutig gegen das Gesetz. Es gibt Situationen, in denen man es sich nicht verkneifen kann, darüber zu schmunzeln, mit welcher Eleganz und mit welchem Humor es ihr immer wieder gelang, sich an allem vorbeizuzwängen“, bringt es die Musikerin, die schon mehrmals am Theater gearbeitet hat, auf den Punkt.

Aufgrund ihrer absoluten Alleinstellung im Drogenmilieu kann Andrea M. durchaus als Ikone bezeichnet werden. Ihr Stationendrama durch den Wiener Untergrund wird nun in ganz Wien auf die Bühne gebracht. „A match made in heaven“, könnte man sagen – wobei „heaven“ im Falle der Andrea M. vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck ist.

Zur Person: Polly Lapkovskaja

übersiedelte von Minsk nach München, wo sie Jazz-Kontrabass studierte. Sie arbeitet als Performance-Künstlerin, Sängerin, Komponistin und Musikerin – unter anderem mit ihrer Band Pollyester. Für das Theater realisierte sie bereits mehrere Projekte, etwa an den Münchner Kammerspielen.

Zur Person: Sophia Mercedes Burtscher

wurde 1990 in Bregenz geboren und studierte ab 2013 Schauspiel in Salzburg. Seit 2016 ist sie mit ihrer Band Trope Ashes auch als Musikerin aktiv. Sechs Jahre war sie festes Ensemblemitglied am Schauspiel Köln. Seit 2022 arbeitet sie als freie Schauspielerin für Film, TV und Theater.

Zu den Spielterminen von „Ich bin alles – als mir die Stadt gehörte“ im Volkstheater in den Bezirken!