Comeback eines Theatermachers
Matthias Hartmann, Ex-Burgtheater-Direktor, inszeniert an der Josefstadt Thomas Bernhards „Der Theatermacher“. In der Hauptrolle: Herbert Föttinger. Es ist ein zugleich genialer wie selbstironischer Coup. Gespräch mit einem genial Unbequemen.
Herbert Föttinger spielt den Theatermacher Bruscon. Sie sind der Regisseur. Aber sind nicht gerade bei diesem Stück die Grenzen zwischen Ihnen fließend?
(lacht) Uns verbindet Musikalität und Qualitätsempfinden. Da mag unsere theaterästhetische Herkunft eine völlig andere sein, im Theater gibt es keine Grenzen für neugierige Menschen. Shakespeare spricht jeder auf der Welt. Mit Thomas Bernhard ist es noch einmal etwas ganz anderes, aber dazu kommen wir sicher noch. Ich bin austroaffiner deutscher Volltheatraliker, Herbert ist pointensicherer Österreichflüsterer und versteht Theaterhandwerk als Grundlage für den Beruf. Das passt schon.
Und? Wie tut er sich so als Schauspieler unter ihrer Regie?
(lächelt) Ich verlange ihm viel Geduld ab. Aber er beherrscht sein Instrument, um noch einmal auf die Musik zu sprechen zu kommen. Thomas Bernhard erzeugt Klangwelten. Man muss spüren, wann es brüchig wird und wann kompakt, wann wird geschrien und wann ist eine Pause; wann nimmt die Schärfe ab und wann baut man sie wieder auf. Das muss man zuerst einmal lesen. Dann muss man es hören. Und wenn man es gehört hast, dann musst man es verstehen. Die Wirkkraft, die immanent im Text ist, ist mir heilig. Alles, was ich tue, gehorcht musikalischen Gesetzen. Hier habe ich eine hervorragende Partitur und eine gute Besetzung. Der Ehrgeiz besteht darin, das Potenzial des Texts mit allen seinen Facetten zu zeigen.
Na geh! Hartmann lässt alles, wie es ist?
(lacht) Dann würde das kommen, was man erwartet. Keine Sorge, die Überraschung an dieser Inszenierung wird sein, dass ich noch ein anderes Element mit hineinbringe, und ich verrate Ihnen jetzt nicht, was das sein wird. Ganz so, wie es ist, mache ich es auch wieder nicht.
Weil die Zeit ist schon ganz schön drüber gegangen über den Herrn Bernhard und er muss schon schauen, wie er heute auf der Bühne weiterlebt. (lacht) Daher kann man das schon mal überprüfen und dem Stück auch auf eine andere Art und Weise eine Chance geben.
Thomas Bernhard erzeugt Klangwelten. Die Wirkkraft des Texts ist mir heilig.
Matthias Hartmann
Wo liegen die Probleme? Wie Bruscon seine Frau behandelt? Der Machtmissbrauch, die öffentlichen Beschimpfungen? Das ist doch alles in allem ein ganz normaler Bernhard.
Wir haben uns tatsächlich gefragt, ob wir das heute noch so zeigen können oder ob der Affront zu stark ist – aber dann dachten wir: Eine Lightversion geht nicht. Der Text tut angesichts der Entwicklung unserer Gesellschaft noch mehr weh als früher. Früher konnte man noch darüber lachen. Heute klingt alles noch ekliger und widerwärtiger. Es gehört zur Vielschichtigkeit von Thomas Bernhard, dass er diese radikale Widersprüchlichkeit eines Menschen zeigt. Bruscon ist ein totaler Idiot und gleichzeitig hat er immer wieder recht. Wir wollen, weil er gegen Nazis ist, einen guten Menschen aus ihm machen, und schon schreit er wieder, wie dumm, unfähig und theatervernichtend Frauen im Allgemeinen sind. Das kriegen wir schwer zueinander. Bruscon ist so ambivalent und gleichzeitig totalitär.
So wie Ihr Vater, wie ich ihrer Biografie entnehme.
Mein Buch („Warum eine Pistole auf der Bühne nicht schießt“) ist weniger biografisch und handelt in erster Linie vom Publikum. Aber ja, wir sind alle in autoritären Strukturen aufgewachsen. Sie wahrscheinlich auch. Und wenn im Stück der Satz von Sarah fällt, als sie ihm am Ende den Kopf küsst und sagt: „Mein armer Vater ...“ Das rührt mich, weil sie in diesem gigantomanischen, monströsen Tier plötzlich einen Menschen sieht. Mein Vater hat mich ordentlich verprügelt, aber geliebt habe ich ihn trotzdem.

Ich nicht. Aber das finde ich nicht schlimm.
Meiner hatte auch andere Seiten.
Die habe ich nicht gefunden.
Da hatte ich offenbar Glück.
Lassen Sie uns ein wenig trivialer werden. Wer hatte die Idee, dieses Stück zu machen? Ist der Föttinger zu Ihnen gekommen und dann haben Sie einmal laut gelacht und zugesagt?
Ich habe es vergessen. Wir sind seit Jahren im Austausch. Früher wollte ich nicht mehr nach Wien kommen. Die Verletzungen waren zu stark. Jetzt wo ich da bin, wundere ich mich über mich selber. Es hat sich alles vollkommen aufgelöst. Nur ins Burgtheater gehe nicht hinein. Das mache ich nicht.
Geht es nicht oder machen Sie es nicht?
Keine Ahnung. Ich probiere es auch gar nicht aus und gehe der Konfrontation aus dem Weg. Ich habe in den vergangenen elf Jahren ein ganz anders Leben geführt. Das hat mich verändert – ich möchte in die alten Rollen nicht mehr zurück.
Der deutsche Theatermacher war Direktor in Bochum, Hannover sowie Zürich und übernahm 2009 die Leitung des Burgtheaters. Seine Programmierung sorgte für ein volles Haus. Regie- und Schauspielstars gaben sich die Klinke in die Hand. Im Rahmen des „Finanzskandals“ wurde Hartmann abberufen, alle Verfahren gegen ihn wurden eingestellt. In den vergangenen Jahren inszenierte er Opern in Italien und Theaterstücke in Deutschland sowie den internationalen TV-Serien-Hit „Das Netz“.
Haben Sie Wien vermisst?
Wien liebe ich immer. Auch in der Zeit, als ich nicht hierherkam. Wien ist die ideale Stadt.
Bernhard und auch seine Figur Bruscon verabscheuen das Land, die Provinz und genau dort haben Sie jetzt gelebt. Wie war das so?
Es war gut. Ich habe die Jahre im Salzkammergut verbracht. Es ist ja vor allem so schön dort. Am Irrsee bei der Seewirtin, meiner Freundin Johanna Enzinger. Früher hatte ich immer Angst vor so einer gesunden Welt. Ich hatte Angst, spießig zu werden, wenn ich an einem solchen Ort lebe oder die Gemütlichkeit meine Fantasie verklebt und mich träge und zufrieden macht. Künstlerische Prozesse sind disharmonisch, sie sind nicht gesund.
Sie sind abgründig, schwierig und entstehen durch Reibung. In Salzburg ist aber alles schön, angenehm und Mehlspeise.
Entschuldigen Sie jetzt aber. Ich bin auch halbert in Salzburg sozialisiert und was Sie sagen, ist das Provinz-Schönreden eines Deutschen. Und gerade Salzburg ist ein besonderes Provinzexemplar.
Alles gut (lacht). Ich sehe das alles. Alles ist Fassade, aber hinter der ist es gut, sich aufzuhalten, zu verstecken. Ich bin da oben im Thalgau gesessen, die grünen Wiesen, die klaren Seen. Da ging es mir erstmals gut. Und jetzt kehre ich heim. Wien war immer der Ort, an dem ich am liebsten sein wollte. Es ist daher auch eine Art Heimkehr.

Jetzt sind wir wieder beim Stück und seinen Ambivalenzen.
Ja. Österreich ist das Land der Ambivalenzen. Dinge, die mir gesagt wurden, waren ganz anders gemeint, als sie gesagt wurden, aber gleichzeitig genau so. Menschen haben sich mit mir solidarisiert und mich an der nächsten Straßenecke vor den Bus geworfen. Das gibt es in dieser Brutalität nirgends auf der Welt. Und Bernhard hat daraus diese Figur gemacht, die nur in Postulaten spricht, die alles zum Imperativ erklärt. Dieser Theatermacher ist eine einzige dumme Generalisierung. Das Pro- blem ist, dass er den größten Schwachsinn spricht und dann immer wieder recht hat und wir das ertragen müssen von einem, den wir nicht ertragen.
Es geht um Eitelkeiten, Selbstüberschätzung. Sie haben mit der Burg das wichtigste Theater im deutschsprachigen Raum geleitet. Wie sehr sind Sie darauf reingekippt?
(lacht) Na ja. Die Bewunderung, die Lobhudelei, die roten Teppiche in Wien: Das hat mich verführt. Dazu bin ich 1,93 Meter und habe eine große Schnauze und das passt dann schon mal alles zusammen …(lacht)
Ich bin austroaffiner deutscher Volltheatraliker, Herbert ist pointensicherer Österreichflüsterer.
Matthias Hartmann
Bernhard hat gesagt, das Theater ist eine jahrtausendealte Perversion, richtig?
Theater ist in der Kreatur an sich drinnen. Der Hund, der um Futter bettelt und den Kopf schief legt, um als lieber Hund zu scheinen – spielt der schon Theater? Das Theaterspielen ist Teil unserer Konstruktion. Theater ist anders, als Bruscon behauptet, weder verlogen noch pervers. Es ist zutiefst ehrlich zu spielen.
Bruscon ist eine Generalisierer. Was ist sein innerer Treiber?
Wenn er über das Wetter spricht, benutzt er scheinbar meteorologische Begriffe. Er ist in allem Fachmann, erhebt sich über alles und jeden. Wenn er ein Problem mit seiner Frau hat, dann spricht er über die Frauen im Allgemeinen.
Bernhard hat dieses Stück auch als Kritik an der Unterdrückung des genialen Einzelnen gesehen. Können Sie sich mit dem auch ein wenig identifizieren?
Nein. Ich sehe in Bruscon Bernhard selber, ein wenig Peymann. Und dann sehe ich noch diese vielen anachronistischen Monster in ihm, für die ich wenig Respekt empfinde.
In welcher Zeit lassen Sie das Stück spielen?
Es gibt in dem Stück nichts, was nicht auch im Heute stattfinden könnte. Der Provinzhass ist vielleicht ein bisschen gewichen.
„Der Theatermacher“ von Thomas Bernhard ist vielleicht eines der besten Kabarettstücke der heimischen Literatur und handelt vom tyrannischen, sich selbst überschätzenden Schau-spieler Bruscon, der in einem abgelegenen Gasthof „Das Rad der Geschichte“ aufführen will, dabei aber von einer maroden Bühne, einem apathischen Gastwirt und seinem talentlosen Familienpersonal behindert wird. Ein drohendes Gewitter und die Natur selbst vereiteln sein ambitioniertes Vorhaben.
Die Sache mit der Frittatensuppe in dem Stück ist fast Volkskultur. Wird es die geben?
Sicher. Das ist ja auch ein Mittel der Dauererniedrigung. Da sitzt der Bruscon bei jemanden, der selber schlachtet, seine eigenen Würste macht, und sagt ihm, dass das Einzige, was man da essen kann, Frittatensuppe ist. Der Wirt erträgt diese ganzen Bösartigkeiten geduldig. Utzbach, das ist eine Metapher für die Provinz im Kopf und eine Sackgasse für die Kunst, vielleicht das Ende.
Es gibt viele Menschen, die Sie als Theatermacher in dieser Stadt vermisst haben. Spüren Sie diese Zuneigung auf der Straße?
Natürlich. Das tröstet genauso, wie es schmerzt. Es war immer Ziel meines Lebens, gutes Theater zu machen, und es hat funktioniert. Wir waren künstlerisch erfolgreich, aber auch wirtschaftlich, denn es kamen mehr Zuschauer als je vor- oder nachher. Wir haben versucht zu verstehen, wie es mit dem Theater in der Zukunft weitergeht – ohne die Dekonstruktionsapologeten und Castorf-Plagiatoren, die bis in die Provinz alle Theater leer geräumt haben.
Sie haben damals am Burgtheater immer wieder dazwischen sehr leichte, geradlinige Gassenhauerstücke gemacht.
Mein künstlerisches Hauptinteresse gilt heute wie damals einem Theater, in welchem epische und identifikatorische Elemente ansatzlos miteinander spielen. Das Wiener Publikum kennt das zum Beispiel aus Dramatisierungen wie „Krieg und Frieden“. Komödien mache ich zwischendurch immer wieder, um zu üben. Die Reaktionen des Publikums lassen sich bei einer Komödie nicht durch Meinungen erzeugen, denn wenn das Publikum lacht, dann weißt du, dass du technisch alles so gemacht hast, dass nichts anderes als dieses erlösende Lachen entstehen konnte. Das kann man hören. Wenn der Saal schweigt, heißt das: „falsch“; wenn gelacht wird, heißt es: „richtig“. Es ist ein Handwerk. Sänger üben Koloraturen, Geiger üben die Tonleiter. Jeden Tag. Alle künstlerischen Berufe üben, nur am deutschen Sprechtheater herrscht der Glaube, man müsste nicht üben. Und das Einzige, wo man das Theaterhandwerk üben kann, ist die Komödie.
Hier geht es zu den Spielterminen von "Der Theatermacher" im Theater in der Josefstadt!