Martin Schwab: Lebenswerker mit großer Zukunft
Martin Schwab ist ein Glücksfall. Als Schauspieler und Mensch. Seit 63 Jahren beseelt er das Theaterpublikum. Im Zwiegespräch charmiert er mit Wortwitz, Gelassenheit, Erfahrungsreichtum. Seine Erinnerung ist ein Schatzkästchen. Aufhören keine Option.
So und nicht anders möchte man sein. Mit 88 Jahren und nach fast einem Vierteljahrhundert der Nicht-Pension. Martin Schwab ist wach im Geist und federnd im Schritt. Sein Herz summt laut, und wenn er lacht, sieht man den kleinen Jungen aus Möckmühl in Baden-Württemberg. „Natürlich ist man auf der einen Seite eitel und freut sich. Auf der anderen Seite komme ich mir nicht so bekannt vor, wie sich andere bekannt vorkommen, und denke mir, haben sie denn keinen anderen gefunden?“, beantwortet er die Frage, wie er dem Ereignis entgegenblicke.
Gemeint ist die Lebenswerk-„Nestroy“-Verleihung am 23. November und die damit verbundene Gala im Volkstheater. Er möge es, gefeiert zu werden, stehe aber nicht gerne im Mittelpunkt. „Es gibt ein ,Faust‘-Zitat, das lautet: ,Vor andern fühl ich mich so klein, ich werde stets verlegen sein‘. So geht es mir auch. Am wohlsten fühle ich mich auf der Bühne, denn da habe ich überhaupt keine Scheu.“
Mit dem Namensgeber des Theaterpreises hatte er beruflich zwei Mal zu tun. In Stuttgart spielte er im „Talisman“ den Friseur, Monsieur Marquis, und sowohl bei den Salzburger Festspielen als auch im Burgtheater wirkte er in Martin Kušejs Inszenierung der „Höllenangst“ mit. „Da wurde ich auf der Straße gefragt: Wen spielen Sie denn? Ich: Den Schuster Pfrim. Lange Pause. Dann ein entsetzter Ausruf: Die Moser-Rolle!“ Darüber kann er heute noch lachen.
Schwäbische Renitenz
Seine Vorfahren waren Pfarrer, Weinbauern und Lehrer. Am meisten geprägt habe ihn wahrscheinlich Letzteres. „Goethe hat gesagt: ,Ein Komödiant könnte einen Pfarrer lehren‘. Ich will nicht als Überg’scheitler auf der Bühne dozieren, sehe meinen Beruf aber auch als pädagogisches Unterfangen. Der Gedanke, die Zuschauer zum Denken zu animieren und ihnen Hoffnung zu geben, gefällt mir.“
Sein Vater war Studiendirektor am Gymnasium und wurde während des Zweiten Weltkriegs in ein Arbeitslager gesteckt, weil er das verbotene Fach Religion in den Geschichtsunterricht einfließen hatte lassen. „Er war sechs Monate lang interniert und durfte nach seiner Entlassung nicht über das Erlebte sprechen, andernfalls hätte er seine Familie in Gefahr gebracht.“ Hatte der väterliche Widerspruchsgeist Einfluss auf Martin Schwab und seine sieben Geschwister? „Unbewusst wahrscheinlich schon. Ich bin ein sehr geduldiger Mensch, aber wenn mir etwas nicht passt, beherrsche ich auch die schwäbische Renitenz. Warten, schweigen, lospoltern.“
Trotz einer Ausbildung zum Chemiekaufmann war Schauspieler immer die erste Option. „Das wollte ich, seit ich denken kann. Die Bühne war mein Freiraum, weil ich auf ihr so sein konnte, wie ich aufgrund meiner Erziehung nicht sein durfte. Im Leben muss man sich zusammennehmen, am Theater ist man Liebhaber, Mörder oder Priester. Man therapiert sich durch die vielen Figuren, die man spielt und mit denen man etwas erlebt, ständig selbst.“
Perfekter Peymann
Die Klassik bilde für ihn die Struktur. Das Moderne sei ihm von den Intendanten zugeführt worden: Peter Handke, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Rainald Goetz, Jon Fosse, Gert Jonke, Botho Strauß. Und viele mehr. Allen voran war natürlich Claus Peymann der Schirmherr zeitgenössischer Dramatik. Ihn verkörperte Martin Schwab in Bernhards „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“ derart herausragend, dass er bis heute mit der Darstellung assoziiert wird. „Das war wie bei jeder Rolle, die man erarbeiten muss“, findet er daran nichts Besonderes. „Ich hoffe, dass ich es vermieden habe, eine Peymann-Karikatur abzuliefern, sondern tatsächlich das auf die Bühne bringen konnte, was Thomas Bernhard in diesem fanatischen Theatermenschen sah.“
Erst habe sich Claus Peymann, der bekanntlich recht klare Vorstellungen von seiner Außenwirkung hatte, zwar in die Rollengestaltung einmischen wollen, sei aber umgehend auf den Umstand, dass er nicht Regie führe, hingewiesen worden. „Später war er sehr zufrieden mit sich“, erinnert sich Martin Schwab amüsiert, „aber was hätte er auch sagen sollen, jetzt, da die Kritiken so toll waren?“ Welche Rollen würde er selbst als für seine Karriere maßgeblich benennen? „Ich habe so viel durcheinander gespielt und war immer alles oder nichts. Im Alter schälten sich dann doch ein paar bemerkenswerte Rollen heraus. ,König Lear‘ zum Beispiel. Die mir liebste war aber ,Nathan der Weise‘ am Berliner Ensemble, weil ich damit – und da sind wir wieder beim Sendungsbewusstsein – bei den Zuschauern wirklich etwas erreichen konnte. Dieser Text trifft Jung wie Alt mitten ins Herz und in den Geist, er zwingt geradezu zum Nachdenken. Man denke nur an die Ringparabel.“
Martin Schwab ist trotz Bescheidenheit ein hochdekorierter Mann. Sich gegen Auszeichnungen zu wehren, hätte in Österreich auch wenig Sinn. 1992 wurde ihm die Josef-Kainz-Medaille der Stadt Wien und 2003 das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien verliehen, 2005 erhielt er den Berufstitel Kammerschauspieler, 2009 wurde er zum Ehrenmitglied des Wiener Burgtheaters ernannt. Er hat fünf Direktoren und eine Direktorin an der Burg erlebt und stand in 63 Berufsjahren in mehr als 200 Produktionen auf der Bühne.
Seidenwurm für immer
Am 16.11. feiert Martin Schwab mit „Gullivers Reisen“ in der Regie von Nils Strunk und Lukas Schrenk am Burgtheater Premiere. Was treibt ihn zur weiteren Berufsausübung an? „Auch das kann ich mit einem Goethe-Zitat beantworten, und zwar mit einem aus ,Torquato Tasso‘, wo es heißt: ,Verbiete du, dem Seidenwurm zu spinnen, wenn er sich schon dem Tode nahe spinnt‘. Ich kann nicht anders. Ich will auch nicht anders. Und ich betrachte es als Geschenk, dass das, was ich tue, Sinn ergibt.“