Aus dem Nähkästchen plaudern: „Auf Freiheit zugeschnitten“ im Hamakom
„Auf Freiheit zugeschnitten“ widmet sich dem für ihre Zeit äußerst unkonventionellen Lebensentwurf der Modedesignerin Emilie Flöge. Die Geschichte der Ausnahmekünstlerin, Unternehmerin und Lebenspartnerin Gustav Klimts ist aber auch die Erzählung einer Stadt im Umbruch. Sarantos G. Zervoulakos und Miriam V. Lesch haben ihre Biografie – lustvoll und fragmentarisch – für die Theaterbühne adaptiert.
Wie seid ihr auf Emilie Flöge bzw. auf Margret Greiners Buch gestoßen?
Sarantos G. Zervoulakos: Die Romanbiografie „Auf Freiheit zugeschnitten“ von Margret Greiner habe ich bei einem Besuch in der Secession vor drei Jahren entdeckt. Der Name Flöge sagte mir damals nur vage etwas. Der Blick Emilies auf dem Cover-Foto des Buches, das gestapelt auf einem Tisch im Museums-Shop zwischen vielen anderen Büchern lag, fiel mir ins Auge – hat mich angesprochen und interessiert. Ich hab es gekauft, gelesen und bin direkt mit Margret in Kontakt getreten. Einen Monat später bin ich zu ihr nach München gefahren, um über eine Bühnenversion der Geschichte dieser spannenden und in Österreich zu Unrecht vergessenen Frau zu sprechen.
Wie nähert ihr euch ihrem Leben auf der Bühne?
Miriam V. Lesch: Wir nehmen das Publikum mit in den Modesalon „Schwestern Flöge“ und lassen die Näher*innen aus dem Nähkästchen plaudern. Gerade weil es sich um eine historische Person handelt, wollen wir nicht behaupten, die eine Aussage oder Erzählung liefern zu können. Das Interessante liegt für uns im Fragmentarischen und Lückenhaften und in den Anekdoten, die lustvoll über dieses Leben und die Personen erzählt werden.
Was können wir heute noch von ihrem für ihre Zeit sehr mutigem Lebensentwurf lernen?
Miriam V. Lesch: Emilie Flöge hat sich nicht lange mit Konventionen aufgehalten, sondern ihr Leben, privat wie beruflich, selbst in die Hand genommen. Sie und ihre Schwestern waren bereit, außerhalb von vorgegebenen (Lebens-)Wegen zu denken – und zu handeln. Sie und Klimt haben es aber auch verstanden, sich gegenseitig Kundschaft zuzuspielen. Eine moderne Frau der Zeit musste von ihm gemalt werden und von ihr eingekleidet sein.
Sarantos G. Zervoulakos: Aus diesem Innovations- und Unternehmergeist, so wie auch aus ihrer Offenheit für eine unkonventionelle Lebenspartnerschaft mit Klimt, die sich nur für die beiden stimmig anfühlen musste, kann man viel Inspiration für das eigene Leben gewinnen.
Was habt ihr im Rahmen der Auseinandersetzung über Wien zur Zeit der Jahrhundertwende gelernt und erfahren?
Sarantos G. Zervoulakos: Wien um 1900 war ein Ort der großen sozialen Gegensätze, aber auch von einem Gefühl des gesellschaftlichen Aufbruchs erfüllt. Es ist inspirierend, was damals schon alles künstlerisch gedacht und vorausgedacht wurde. Die Schwestern Flöge eröffneten mit ihrem Salon den ersten Concept Store, Themen wie Trans- und Interdisziplinarität in der Kunst, die auch heute stark im Fokus sind, wurden diskutiert, umgesetzt und praktisch gelebt.
Inwiefern fließt das Lebensgefühl dieser Zeit in die Inszenierung ein?
Miriam V. Lesch: Damals wurde die Marke Wien geschaffen, der wir heute in jedem Souvenirshop der Stadt, in Form von Klimt- und Otto Wagner-Marmeladen begegnen. Wir blicken hinter diese ikonisch-nostalgischen Wienbilder, fragen, wie sie entstanden sind, und lassen das Publikum an unserer Begeisterung für diese Zeit, ihre Menschen und Ideen teilhaben.
Was könnt ihr über das Kostümbild verraten?
Sarantos G. Zervoulakos: Die Reformer*innen von damals setzten sich klar gegen geschlechterspezifische und geschlechterstereotype Mode ab. Ähnlich wie heute, hat man sich schon um 1900 in der Wiener Kunstszene mit genderfluider Mode beschäftigt. Diesen damals wie heute intensiv diskutierten Aspekt haben wir in der Zusammenarbeit mit dem aus Athen stammenden Mode-Designer Epifanios in die künstlerische Sprache unseres Projekts einfliessen lassen: Inspiriert vom berühmten Fledermauskleid – einem Produkt der künstlerischer Synergie zwischen Emilie Flöge und Gustav Klimt – hat Epifanios einen Look geschaffen, mit dem sich der Salon „Schwestern Flöge“ stolz auf der Kunstschau 1908 präsentiert und kühn behauptet: Wir verkörpern eine neue Zeit.
Woran könnte es liegen, dass die kreative Arbeit von Frauen häufig keinen Eingang ins kulturelle Gedächtnis findet?
Miriam V. Lesch: Man bemerkt ja immer wieder, dass Frauen, die in ihrer Zeit durchaus relevante Künstlerinnen waren, von der Nachwelt nicht kanonisiert und damit vergessen werden. Bei Emilie Flöge kommt noch dazu, dass ihr Salon „Schwestern Flöge“ vor allem durch ihre jüdischen, großbürgerlichen Kundinnen, wie die Damen Wittgenstein oder Bloch-Bauer, getragen wurde. Mit dem sogenannten Anschluss 1938 mussten sie schließen. Anders als bei Klimt, ließ sich ihr Lebenswerk nicht arisieren und in den neuen „Zeitgeist“ eingliedern. Für eine Mode, die befreite Frauen feierte, war kein Platz mehr.