Klare Ansage. „Hallo. Mein Name ist Lizzy Carbon, ich bin dreizehneinhalb Jahre alt, und Gott möchte mein Leben zerstören.“ So umstandslos führt Autor Mario Fesler in seinem preisgekrönten Roman die junge Heldin ins Geschehen ein. Tja, wer kennt das nicht? Die anderen sind sportlich und beliebt, gutaussehend und smart, originell und weltgewandt. Selber ist man verunsichert, durch Pickel verunstaltet, in jeglichem Handeln mittelmäßig und von allen guten Geistern verlassen.

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Die Jugend ist zwar ein vorübergehender Zustand, aber auch kein angenehmes Biotop. Zumindest nicht für die meisten, denn das Starprinzip nährt sich bereits in der schulischen Unterstufe aus wenigen Glanzlichtern, um die sich zahlreiche Adoranten in der Hoffnung auf Popularitätskrümel scharen, und den Außenseitern, deren Dasein im besten Fall gar nicht bemerkt wird. Meist, und so ist es auch bei Lizzy Carbon, müssen sie sich herumschlagen mit der juvenilen Dreifaltigkeit Pubertät – Schikane – Familie.

„Das Buch hat durchaus Erinnerungen wachgerufen, wie sehr man selbst in der Schule gelitten hat und wie unnötig das, im Nachhinein gesehen, war“, erklärt Peter Lund, Regiefachmann für Musiktheater, warum es ihn gereizt hat, aus dem Stoff ein Musical zu machen.

„Wenn man gemobbt wird, ist man meist unfähig, dem etwas entgegenzusetzen, wodurch sich der Ausnahmezustand verschärft. Lizzy Carbon ist plötzlich damit konfrontiert, gemeinsam mit anderen Außenseitern ein Schulprojekt zu gestalten. Dadurch bekommt sie unvermittelt ein Instrument in die Hand, mit dem sie sich zur Wehr setzen kann. Ich war in meiner Schulzeit auch eher eine Randerscheinung, bis ich mir mit meiner Theaterbesessenheit eine besondere Position erarbeitet habe. Wenn einen der beste Freund plötzlich schneidet, macht einen das fassungslos. Als Jugendlicher hat mich so etwas deprimiert und mit Schokolade ins Bett gejagt. Zehn Jahre später denkt man sich: Was für ein blöder Eumel“, meint er amüsiert. Und gibt aktuell Leidtragenden mit auf den Weg: „Die Stars von damals sind später meist die Langweiler, weil sie immer den Mainstream vertreten haben. Bei Klassentreffen realisiert man oft, dass aus den früher Merkwürdigen die viel spannenderen Menschen geworden sind. Das beruhigt doch sehr.“

Zur Person: Das Stück

Alban Bergs Oper „Lulu“, vor deren Fertigstellung er starb, entstand nach zwei Tragödien von Frank Wedekind. Sie behandelt das fatale Leben Lulus, ihre Beziehungen – im Zentrum Dr. Schön –, Aufstieg und Fall all ihrer Männer sowie ihren eigenen Absturz. Im MusikTheater an der Wien werden in Koproduktion mit den Wiener Festwochen die zwei von Berg vollendeten Akte, ergänzt um Teile der „Lulu“-Suite, gezeigt.

Peter Lunds Schlüssel zum Erfolg war die Gründung einer Marionettentheatertruppe, Lizzy Carbon hingegen muss sich vorlaut und frech durchbeißen, um am Ende die Bewunderung der anderen auf ihrem Resilienzkonto verbuchen zu können. Ein Triumph der Selbstermächtigung.

Schreckliche Friederike

Als Regisseur ist Peter Lund gern der Boss. „Mich machen ja viele Menschen auf einem Haufen, die alle tun, was sie wollen, wahnsinnig“, sagt er grinsend. „Ich habe so eine Art Aufräum-Gen in mir, damit ich alles überblicken kann, und ich glaube, jeder Regisseur hat die Sehnsucht, die Welt ein wenig zu sortieren. Das geht aber nur als Chef. In meinem Fall, so hoffe ich, als Chef mit sehr flachen Hierarchien.“

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Wonach wählt er – bekannt für Oper, Operette und Musical – seine Regiearbeiten aus? „Es muss ein individuelles Projekt sein. Das kann durchaus auch ein bekanntes Werk betreffen, aber dann will ich schon das Gefühl haben, dass es sich auch lohnt, wenn ich es mache, weil es ein anderer vielleicht nicht so gut kann.“

Bei Klassentreffen realisiert man oft, dass aus den früher Merkwürdigen die viel spannenderen Menschen geworden sind. Das beruhigt doch sehr.

Ein „kommerzielles Doof-Musical auf großer Bühne“ wolle er jedenfalls nicht inszenieren, „das schaffen andere tausendmal besser“. Aber Franz Lehárs Operette „Friederike“, sein nächstes Projekt an der Bühne Baden, schon. „Das ist ein Albtraumstück. Als ich das angeboten bekommen habe, dachte ich: Das musst du machen. Sonst wird es ganz schrecklich, und so wird es vielleicht sehr schön.“ Solche Sätze, falls das nicht ohnehin längst klar ist, kommen ihm mit maliziös-selbstironischem Unterton über die Lippen.

Das Alter des Publikums spiele bei seinen Inszenierungen keine Rolle. „Alle haben intelligente Dialoge verdient. Von Lindgren und Kästner habe ich gelernt: Mach es schlau! Natürlich gibt es Begrifflichkeiten, die ein Sechsjähriger vielleicht nicht versteht, aber grundsätzlich goutieren junge Zuschauer kluge Sätze. Warum sollte man es auch dümmer machen als das, was sie sonst von der Welt mitbekommen? Hauptsache, es kommen Situationen vor, die sie aus ihrem Leben kennen. Eine Freundschaft zu verlieren ist auch mit sechs schon Thema.“

Acht Patenkinder

Peter Lund wuchs auf einem Bauernhof auf, ohne die künstlerische Atmosphäre missen zu müssen. „Meine Großmutter spielte Klavier, mein Uropa verehrte Schiller. Man hat Kunst geliebt, aber man machte sie nicht zum Beruf.“ Also studierte auch er zunächst Architektur – „meine Ehrenrunde“ –, ehe es dann doch Regie wurde. Seine damals erworbenen Kenntnisse würden ihm auch heute noch bei der Stückkonstruktion helfen. „In der Architektur habe ich fast alles darüber gelernt, wie Kunst funktioniert.“

Hat er je ein Haus entworfen? „Nein! Das sollte sich auch niemand von mir wünschen, denn das könnte ich nicht mehr. Die Installationstechnik wäre jedenfalls nicht mehr auf dem neuesten Stand“, sagt er nun schallend lachend.

Dem Vorurteil, wonach beruflich mit Kindern Beschäftigte diese oft gar nicht mögen würden, tritt er vehement entgegen. „Ich liebe Kinder und habe acht Patenkinder zwischen vier und siebenundzwanzig Jahren. An jedem Freitag ist eines von ihnen bei mir. Inklusive Kochen und Übernachtung.“

Peter Lund
Ort des Grauens.„Das Bühnenbild von Ulrike Reinhard sieht schrecklich aus. Aber das soll es auch“, meint Peter Lund. Im unwirtlichen Kellerraum laufen Lizzy Carbon und ihre Mitstreiter*innen zur Höchstform auf.

Foto: Hilde van Mas

Zur Person: Peter Lund

studierte Architektur und arbeitet seit 1985 als freischaffender ­Regisseur und Autor im gesamten deutsch-sprachigen Raum. 1996–2004 war er Leitungsmitglied der Neuköllner Oper; 27 Jahre lang unterrichtete er Dar­stel­len­des Spiel an der Uni­versität der Künste Berlin. Er wurde ­viermal mit dem ­Deutschen Musical Theater Preis und ­einmal mit dem ­Österreichischen Musiktheaterpreis ­ausgezeichnet.