„You’re beautiful, no matter what they say“, hielt Christina Aguilera in ihrem 2002 erschienenen Hit „Beautiful“ auf fast prophetische Weise fest. Denn lange bevor Begriffe wie Body Positivity, Pretty Privilege und Normschönheit in aller Munde waren, nahm sie damit bereits Themen und Diskurse vorweg, die heute genau da mit assoziiert werden. Während die 34-jährige Theatermacherin Saliha Shagasi den Song mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit auswendig mitsingen kann, kommt er in den Playlists jener Jugendlichen, mit denen sie gerade an ihrem neuen Stück arbeitet, wohl eher nicht vor.

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Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass der Wissenstransfer, der während der Proben laufend stattfindet, den Charakter einer Einbahnstraße hat. Ganz im Gegenteil, wie Saliha Shagasi betont. „Ich habe von meinen Spieler*innen, die zwischen zwölf und sechzehn Jahre alt sind, zum Beispiel gelernt, dass es ‚pick me‘ ist, wenn man über Dinge spricht, die man am eigenen Körper nicht mag. Weil man damit das Gegenüber in die vielleicht unangenehme Situation bringt, etwas Gegenteiliges sagen zu müssen.“

Hässlichkeit Burg
Probeneinblick in "Hässlichkeit".

Foto: Tommy Hetzel

Wir treffen Saliha Shagasi in einer Probenpause in einem der schönsten, weil prunkvollsten Räume des Burgtheaters – im sogenannten Erzherzogzimmer. Wobei prunkvoll ja nicht unbedingt schön bedeuten muss. Oder doch? Anhand dieser simplen, wenn auch etwas nischigen Frage wird bereits deutlich, in welch komplexen Themenbereich sich Saliha Shagasi mit ihrer Produktion hineinbegeben hat.

Die Regisseurin und Theaterpädagogin trägt eine glänzende pinkfarbene Jogginghose einer bekannten Sportmarke. Das ist nur deshalb erwähnenswert, weil es um genau dieses Kleidungsstück etwas später im Interview noch gehen wird. Anhand der Energie, die sie im Gespräch versprüht, lässt sich vage erahnen, mit welchem Enthusiasmus sie sich in ihre Projekte wirft.

Es wird eine Szene geben, in der die Jugendlichen zähnefletschend mit den Publikum flirten.

Saliha Shagasi über den Spaß an der Hässlichkeit
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Voll im Flow?

Doch nun zurück zum Stück, das sie gerade mit ihrem jungen Ensemble vor- bereitet: In „Hässlichkeit“ werden nicht nur Schönheitsideale infrage gestellt, sondern auch all jene Dinge zelebriert, die diesen auf den ersten Blick nicht entsprechen. Die Fassung entstand während der Probenarbeit mit den Jugendlichen, erzählt die Theatermacherin. „Gerade in diesem Alter erfordert es unglaublich viel Mut, über solche Themen zu sprechen“, hält Shagasi fest.

„Ich habe außerdem bemerkt, dass es jungen Menschen zunehmend schwerfällt, sich nicht permanent von außen zu betrachten. Durch Apps wie Snapchat haben sie sich total daran gewöhnt, ständig eine Form von Außenperspektive einzunehmen. Fürs Theaterspielen, wo es darum geht, in einen Flow zu kommen und im Moment zu sein, ist das jedoch eher hinderlich.“

Einen Schlüsselmoment, der sie dazu brachte, dem Thema eine Theaterarbeit zu widmen, gab es nicht, merkt Saliha Shagasi an. „Ich fange meistens bei mir selbst an. Ich habe mir beispielsweise schon oft die Frage gestellt, warum es mir leichtfällt, andere Menschen nicht zu verurteilen, ich es aber schwer finde, zu mir selbst nicht so streng zu sein.“

Rund 50 Jugendliche haben auf den Open Call reagiert und sich beworben, so Shagasi. Danach fanden drei Workshops statt, in denen die Theatermacherin gar nicht so sehr darauf geachtet hat, wer die angeleiteten Performanceaufgaben am besten umsetzt. „Mir ging es eher um interessante Aussagen und auch darum, welche Körper am besten im gemeinsamen Spiel funktionieren könnten.“

Hässlichkeit Burg
Die Fassung zu „Hässlichkeit“ entstand während der Proben.

Foto: Tommy Hetzel

Überraschend fand sie unter anderem, wie sehr die Jugendlichen in der gemeinsamen Auseinandersetzung darauf pochten, dass Hässlichkeit auch etwas sein kann, das von innen kommt. „Dann haben wir aber wiederum festgestellt, dass es auch nicht gut ist, das Böse und das Hässliche immer gleichzusetzen. Auch das wird im Stück thematisiert.

Nächste Arbeit: „Klassenputtel“

Die Tatsache, dass auch das Theater ein Ort ist, an dem bestimmte Körper bevorzugt werden, kommt ebenfalls im Text vor. „Es tut sich etwas, trotzdem sind viele Ensembles noch sehr viel weißer als die Städte, in denen sie arbeiten“, hält Saliha Shagasi fest.

In ihrem nächsten Stück, das in der Spielzeit 2025/26 Premiere feiert, möchte sie sich einem Themenkomplex widmen, der mit jenem ihrer aktuellen Arbeit eng verschränkt ist – mit Klassismus, Klassenwanderung und Klassenwandel – und zwar am Beispiel der bereits erwähnten Jogginghose. „Vor zehn Jahren wäre ich noch nicht in einer pinken Jogginghose zu einem Interviewtermin gekommen“, sagt sie schmunzelnd und setzt nach:

„Klassismus ist zwar eng mit Feminismus und Rassismus verwoben, aber weniger gut greifbar, weshalb deutlich seltener darüber gesprochen wird. Ich sehe aber anhand meiner eigenen Biografie, dass eine Form von Klassenwandel stattgefunden hat, und ich frage mich, was das auch mit absichtlicher Abgrenzung zu tun hat. Und wie diese absichtliche Abgrenzung wiederum mit Blicken und Verurteilungen von außen zusammenhängt.“

Hässlichkeit Burg
Einige der Monolog- und Dialogszenen wurden von den Jugendlichen selbst geschrieben.

Foto: Tommy Hetzel

Zuvor gilt es jedoch noch, ihre erste Wiener Premiere zu feiern. Und: ihr Ensemble dazu zu bringen, die von Melina Jusczyk erdachten Kostüme anzuziehen, wie sie lachend erzählt. „Es gab bereits Diskussionen, weil manche der Jugendlichen meinten, dass das einfach nicht ihr Style sei.“

Abschließend möchte sie noch festhalten, dass in „Hässlichkeit“ keine Antworten und schon gar keine Lösungen präsentiert werden. „Wir alle, die an dieser Produktion beteiligt sind, sind ja auch nicht frei davon, andere Menschen zu beurteilen und in Schubladen zu stecken. Und erst recht nicht davon, uns selbst immer wieder dafür zu verurteilen, wie wir aussehen. Ein Wunsch wäre jedoch, junge Menschen vielleicht dazu anzustiften, zärtlicher zu sich selbst zu sein. Ohne erhobenen Zeigefinger, dafür mit viel Humor.“

Für ihre Arbeit an der BURG hat Saliha Shagasi noch viele andere Wünsche. Unter anderem: „Dass sich noch mehr Leute trauen, diese schweren Türen zur Kassenhalle des Theaters aufzustoßen.“ Natürlich gerne auch in Jogginghose.

Hier geht es zu den Spielterminen von "Hässlichkeit" im Vestibül des Burgtheaters!