Dieses Interview mit Plácido Domingo ist ein Zeitdokument. Geführt hat es André Müller, die große deutsche Interviewer-Legende, anlässlich der Salzburger Festspiele im Jänner 1980. Die Zeitschrift „Playboy“, die es bestellt hatte, wollte es nach einem Wechsel in der Chef­redaktion nicht veröffentlichen. Gedruckt wurde es schließlich im Jahr 1982 im „Stern“ – viele Jahre bevor Domingo mit Pavarotti und Carreras Stadien füllte. Mit einer unglaublichen Offenheit und Direktheit, die heute undenkbar ist, spricht Domingo über sein Leben als Star-Tenor, weibliche Fans, den Tod und seine Konkurrenz zu Luciano Pavarotti. 

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Das Interview wurde der BÜHNE aus dem Nachlass von André ­Müller zur Verfügung gestellt. 

André Müller: Kennen Sie den Witz mit dem Mann, der, von starkem Kopfschmerz geplagt, sein Gehirn zu einem Arzt bringt, es dann aber nicht abholt mit der Begründung, er brauche es nicht mehr, bei ihm sei eine Begabung zum Tenor ­entdeckt worden? 

Plácido Domingo: Den Witz kenne ich nicht, aber ich weiß, was Sie meinen. 

Ist an dem Vorurteil etwas richtig, die Tenöre seien die Dümmsten unter den Sängern? 

Sicher gibt es dumme Tenöre, aber auch dumme Baritone. Allerdings ist ein Tenor, der dumm ist, dieses in besonderem Maße. Denn auf der Bühne ist er meistens der Held, und wenn er nicht genug Klugheit besitzt, diese Rolle von seinem privaten Ego zu trennen, dann hält er sich auch im Leben für einen Helden. Hinzu kommt der Erfolg, der ihn verblendet, bis er schließlich durch alles zusammen so blöd wird, dass sein Kopf aufhört zu funktionieren. Er weiß dann nicht mehr, wo er sich in Wahrheit befindet. Er sieht die Realität nicht. In früheren Zeiten war es oft so, dass italienische Tenöre aus der Provinz direkt an die Metropolitan Opera nach New York geholt wurden. Die fanden sich plötzlich in einer Riesenstadt und hatten Riesenerfolg. Das konnten die nicht verkraften. 

Ist das eine Anspielung auf Ihren Rivalen Luciano Pavarotti, der in Modena als Sohn eines Bäckers aufwuchs? 

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Nein, ich meine niemand Bestimmten. Ich betrachte mich als Freund aller Tenöre. Es gab zwar kürzlich diese Kontroverse mit Pavarotti, da stand im „Time Magazine“, er habe gesagt, ich sei eine blasse Persönlichkeit mit einer unscharfen Stimme, also das war schon recht delikat, das hat mich geärgert. Aber ich will es vergessen. Ich könnte eine Menge über ihn sagen, aber ich bin nicht gerne ein Schwätzer. 

Sich zur Wehr setzen heißt ja nicht schwätzen. 

Mister Pavarotti ist eifersüchtig. Er erträgt es nicht, dass ich jünger bin. Ich werde im Januar vierzig. Er ist sechs Jahre älter. Aber ich kann ihm nicht helfen. Was er neuerdings über mich redet, ist wirklich absurd. Ich bin, wie jeder weiß, Spanier, und meine ganze Familie ist spanisch. Aber Herr Pavarotti und seine Plattenfirma behaupten, meine Mutter stamme aus Illinois, und ich sei nicht 1941, sondern 1936 geboren. 

Ich singe viel besser, seit ich weniger wiege. Ich atme leichter. Man muss nicht dick sein, um singen zu können. Man muss stark sein."

Plácido Domingo

Keine Schonung

Kann es sein, dass Pavarotti, der 150 Kilo wiegt, Sie um Ihr ­besseres Aussehen beneidet? 

Dass er so fett ist, daran ist er ja selbst schuld. Wenn Sie Fotos sähen, wie er vor zwölf Jahren aussah, würden Sie staunen. Er war ganz dünn. Aber er isst zu viel. Würde ich es so machen wie er, würde ich genauso aussehen. 

Braucht die Stimme als Stütze nicht eine gewisse Fülle des Körpers? 

Das ist nur eine Ausrede, um nicht abnehmen zu müssen. Ich singe viel besser, seit ich weniger wiege. Ich atme leichter. Man muss nicht dick sein, um singen zu können. Man muss stark sein. 

Ist es nötig, sich sexuell einzuschränken? 

Mein Sexualleben ist nicht anders als das eines völlig normalen Menschen. Ein Beamter, der morgens um neun in sein Büro muss, kann auch nicht jede Nacht bei einer Frau sein. Man muss den Sex mit Vernunft betreiben. 

Heißt das, Sie schonen sich, um auf der Bühne voll da sein zu können? 

Ich schone mich nicht. Ich bin vernünftig. 

Die australische Sopranistin Joan Sutherland hat einmal gesagt, nichts sei erotischer als die ­hohen, kraftvollen Töne einer männlichen Stimme. Haben Sie dafür eine Erklärung? 

Darüber müssen Sie mit Frau Sutherland sprechen. Ich denke nicht an Erotik, während ich singe. Ich denke an Liebe. Ich liebkose das Publikum mit meiner Stimme. Ich gebe Zärtlichkeit. Wollen Sie das als erotisch bezeichnen? 

Wie sonst? 

Okay, dann ist nichts so erotisch wie ein Abend auf einer Opernbühne. 

Nicht das Leben verlieren

Spielt dabei die Partnerin eine Rolle, mit der Sie singen? 

Natürlich ist ein Unterschied, ob ich mit Montserrat Caballé auf der Bühne stehe, die zwar ein wunderschönes Gesicht hat, aber einen Körper wie eine Tonne, oder mit, sagen wir, Renata Scotto, die auch körperlich eine schöne Frau ist. Ich verhalte mich entsprechend den Möglichkeiten. Als ich einmal Montserrat Caballé dabei überraschte, wie sie haufenweise Eis mit heißer Schokolade verzehrte, sagte sie, sie sei nach der Vorstellung immer so hungrig. Das ist natürlich nicht die richtige Art, schlank zu bleiben.

Ich finde, man hat als Sänger heute die Pflicht, sich in Form zu halten. Denn wenn man die Jugend dazu bringen will, häufiger in die Oper zu gehen, dürfen nicht lauter dicke, alte Leute auf der Bühne herumstehen. Es gibt, auch was das Alter betrifft, eine Grenze. Ich werde noch zehn Jahre singen, dann bin ich fünfzig. Dann werde ich nur noch als Dirigent auftreten. Ich bin auf das Ende meiner Sängerkarriere gut vorbereitet, weil ich das Dirigieren studiert und auch schon ausgeübt habe. Mein Dirigenten-Debüt war 1973 an der City Opera in New York. Ich will nicht als Greis immer noch junge Helden spielen. 

Auch dann nicht, wenn die Stimme noch da ist? 

Auch dann nicht. Ich habe letztes Jahr in Wien eine „Fledermaus“ dirigiert mit Hans Beirer. Der ist fast siebzig. Das finde ich furchtbar. 

Aber was soll jemand machen, der nichts anderes gelernt hat als Singen? 

Der kann ja als Konzertsänger weitermachen. 

Was ist für Sie intellektuell die größere Befriedigung, zu dirigieren oder zu singen? 

Zu dirigieren. 

Ist während des Singens der ­Verstand ausgeschaltet? 

Nein. Ich vergesse nie, dass ich mich auf einer Bühne befinde. Ich weiß immer, es ist eine Rolle, die ich zu spielen habe. Nur manchmal, wenn alles so läuft, wie ich wünsche, wenn die Stimme ganz da ist, dann kann ich für Augenblicke so vollkommen mit der Figur verschmelzen, dass der Kopf wirklich leer ist. Dann denke ich nur, was ich gerade zu sagen habe, an die Worte und an die Gefühle, die ich zum Ausdruck bringe. Es gibt Sänger, die denken immer nur daran, ob sie einen bestimmten Ton richtig herausbekommen, zum Beispiel Franco Corelli, der denkt nur an die Stimme, der kann sich überhaupt nicht verlieren. 

Ich habe herausgefunden, dass die Angst vieler Sänger um ihre Stimme nicht wirklich Angst ist, sondern bloß Eitelkeit."

Plácido Domingo

Vielleicht liegt das daran, dass er Angst hat, seine Stimme könnte versagen. Er hat ja über diese Angst oft gesprochen. 

Ich weiß. Aber ich halte das für stark übertrieben. Ich habe herausgefunden, dass die Angst vieler Sänger um ihre Stimme nicht wirklich Angst ist, sondern bloß Eitelkeit. Denn was passiert schon, wenn etwas schiefgeht? Warum sind ­Sänger wie Corelli so schrecklich ängstlich wegen einer einzigen Note? Ich glaube, diese Hysterie wird manchmal erfunden, um sich interessanter zu machen. Wenn jemand in jeder Sekunde alles gibt, was er hat, muss er nicht fürchten, dass ihn das Publikum fallen lässt, nur weil er einmal kein hohes C hat.

Natürlich ist es schlecht, wenn man, wie Pavarotti das tut, seine ganze Publicity darauf aufbaut, diese eine Note zu haben. Denn wenn sie so jemand dann einmal nicht hat, ist es vielleicht das Ende seiner Karriere. Deshalb ziehe ich es vor, mich für einen Künstler zu halten, der nicht wegen seiner hohen Töne geliebt wird. So kann ich ganz entspannt sein. Wenn es einmal nicht so klappt an einem Abend, wird das Publikum mir verzeihen, und wenn es mir nicht verzeiht, auch gut. Deshalb verliere ich nicht das Leben. 

Vorausschauend

Nein, nicht das Leben, aber die hohen Gagen. 

Das stimmt nicht. Ich werde nicht dafür bezahlt, diese eine Note zu singen, sondern dafür, wie ich einen Charakter darstelle, für meine Intelligenz, meine Stimme und auch diese Note. Wenn jemand nur für mein hohes C zahlt, singe ich nicht. Ich bin in meiner Karriere nie ausgebuht worden. 

Sie nehmen regelmäßig Platten auf, obwohl Sie sagen, dass der Aufwand nicht dafürsteht. Warum tun Sie es dann? 

Damit etwas bleibt für die Nachwelt. Wenn man ein Star ist, dass man den Menschen, die nachher kommen, eine Erinnerung lässt. Außerdem ist es eine gute Altersversorgung. 

Heißt das, Sie planen schon jetzt Ihren Lebensabend? 

Ich bin ein Mensch, der vorausschaut. 

In diesem Punkt unterscheiden Sie sich völlig von Pavarotti, über den sein Freund und Plattenproduzent Terry McEwen gesagt hat, er rechne, wie alle zu Korpulenz neigenden Menschen, nicht damit, alt zu werden. Das sei auch der Grund, warum er so aus dem ­Vollen schöpfe. 

Den Tag, an dem man stirbt, kann niemand voraussehen. Es gibt in Spanien ein Sprichwort, das sagt, die zwei ungewissen Dinge im Leben seien der Tod und wann man zu essen bekomme. Wenn Sie in Spanien jemand zum Mittagessen einlädt, und Sie kommen pünktlich um eins, dann geschieht zuerst gar nichts, um zwei Uhr bekommen Sie einen Drink, um halb vier fragen Sie den Gastgeber, wann denn nun das Essen beginne, und erhalten die Antwort, das wisse er nicht, das sei genauso ungewiss wie der Zeitpunkt des Todes. Auch korpulente Menschen sind manchmal sehr alt geworden. Ich liebe das Leben, und weil ich es liebe, mache ich Pläne für den Fall, dass ich, wie ich hoffe, sehr lange lebe. 

Heilige Cäcilia

Waren Sie schon als Kind jemand, dem es Freude machte, seine Kräfte im Wettkampf zu messen? 

Meine Kindheit war sehr geprägt von sportlichen Interessen. Ich wollte Fußballer oder Torero werden. Ich war Torhüter in einer Knabenmannschaft. Dass ich Musik liebte, war naheliegend, weil meine Eltern in einer Zarzuela-Truppe auftraten. Das ist eine Art spanische Operette. Aber an das Singen als Beruf dachte ich zunächst überhaupt nicht. Als eines Tages mein Freund zu mir sagte, Plácido, du kannst Oper singen, antwortete ich, er solle sich nicht über mich lustig machen. Aber dann habe ich mich doch überreden lassen und bin zu einem Vorsingen in die Oper gegangen. Wir wohnten damals in Mexico City. Ich wurde sofort angenommen. In diesem Augenblick schwor ich mir: Jetzt musst du der Größte werden. Mein Ziel war, an der Met zu singen, bevor ich dreißig sein würde, und ich sang dort mit siebenundzwanzig, und ein Jahr später hatte ich mein Debüt an der Scala. Damit hatte ich alles erreicht, was ich wollte. 

Wer sagt Ihnen vor Beginn einer Vorstellung, ob Sie zwei Stunden später das hohe C singen können? 

Das sagt mir niemand. Das muss ich fühlen. 

Gibt es da keine Anhaltspunkte? 

Nein, das ist Zufall. Was in einer Kehle vor sich geht, während Sie singen, ist sehr schwer durchschaubar, und ich habe mich auch nie besonders bemüht, es zu durchschauen. Ich weiß, was ein verdeckter und was ein offener Ton ist, aber es interessiert mich nicht, welche Muskeln ich beim Singen bewege. Es ist intuitiv. Ich möchte mir den Glauben an die Magie der Stimme bewahren. Das ist auch der Grund, warum ich mich so selten von einem Arzt untersuchen lasse. Ich mag es nicht, wenn jemand in meine Kehle hineinlangt. Manche Sänger können nur auftreten, wenn sich ein Arzt in der Nähe befindet. Die reisen immer mit ihren Ärzten, auch wenn sie vollkommen gesund sind. Ich bin das Gegenteil. Ich brauche Ruhe, sonst gar nichts. Mir genügt es, wenn ich am Tag vor einer Vorstellung viel schlafe und mit niemandem spreche. 

Auch mit Ihrer Frau nicht? 

Doch, das Nötigste, aber flüsternd. 

Beten Sie vor dem Auftritt? 

Ja, ich bete zur heiligen Cäcilia, der Schutzpatronin der Sänger. Ich bitte sie, mir die Kraft zu geben, den Genius der Musik an das Publikum weiterzuleiten. Ich trage immer ein Gebetbuch in meiner Tasche. 

Glauben Sie an ein Jenseits?

Ich bin mir nicht sicher. 

Aber wo sonst soll die heilige ­Cäcilia Ihre Gebete hören? 

Moment, warten Sie! Ich will es Ihnen erklären. Es ist nicht so, dass ich an gar nichts glaube. Nur, ich glaube nicht an die Hölle. Ich glaube, dass der Teufel tot ist. Aber ich bin sicher, es gibt einen Himmel. 

Und wohin kommen die Bösen? 

Nirgendwohin. Die haben keinen Platz. Die verschwinden. 

Haben Sie eine Vorstellung, was mit Ihnen geschehen wird, wenn Sie tot sind? 

Das kann nur Gott entscheiden. 

Dieses Foto entstand im Jänner 2021, als Domingo zu seinem 80er wegen Corona nur fürs Fernsehen sang. Am 12. November ist er das letzte Mal in der Verdi-Oper live zu sehen.

Foto: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Schuyler Chapin, der bis 1975 ­Direktor der Met war, ­äußerte einmal einem Journalisten gegenüber, er halte es für ganz ausgeschlossen, über Sie einen spannenden Artikel zu schreiben. Dafür seien Sie ein zu netter Junge. Fassen Sie das als Kompliment auf? 

Nein, das ist Dummheit. Wenn Sie die richtigen Fragen stellen, können Sie eine Menge aus mir herausbekommen. 

Vor Rührung weinen

Können Sie beschreiben, was Sie empfinden, wenn im Zuschauerraum der Jubel losbricht? 

Das ist fantastisch. Früher, zu Verdis Zeiten, ist es vorgekommen, dass eine bestimmte Stelle bis zu dreimal wiederholt werden musste. Natürlich hängt es davon ab, ob der Sänger die Kraft hat, eine Arie zweimal zu singen. Ich habe es erst kürzlich in Wien wieder gemacht als Cavaradossi, und ich schwöre Ihnen, es gab keine Wahl. Ich habe fünf Minuten gewartet, aber der Jubel wollte kein Ende nehmen. Ich musste es tun. Seit Caruso und Gigli hat es eine solche Begeisterung in Wien nicht mehr gegeben. Ich musste weinen vor Rührung. 

Konnten Sie trotzdem weitersingen? 

Ja, ich habe gelernt, meinen Atem unter Kontrolle zu halten, auch wenn ich weine, seit mir in Madrid während einer Aufführung von Ponchiellis „La Gioconda“ vor lauter Tränen die Stimme wegblieb. Ich habe auch in Salzburg geweint bei „Hoffmanns Erzählungen“ und natürlich in „Traviata“. Praktisch weine ich jeden Abend. Ich muss auch als Zuschauer jedes Mal weinen. Manchmal ist es nur eine Geste, manchmal ein Paukenschlag, manchmal das Cello, das meine Gefühle zur Explosion bringt. Ich bin sehr sentimental veranlagt. Die Rollen, die ich am meisten liebe, sind die, in denen ich wirklich leide, zum Beispiel Don José in „Carmen“ und natürlich Otello. 

Leiden Sie auch außerhalb des Theaters? 

Sehr selten. Man kann das nicht fortsetzen im gewöhnlichen Leben. 

Strengere Zeiten

Was würden Sie tun, wenn Sie ­dahinterkämen, dass Ihre Frau ein Verhältnis mit einem anderen Mann hat? Als Don José müssten Sie sie ermorden. 

Ich bin eine zivilisierte Person, ich würde sie nicht ermorden. Ich würde ihr vergeben oder mich scheiden lassen. Die Geschichten, die ich auf der Bühne erlebe, haben mit der Realität nichts zu tun. Wir haben ja heute die freie Ehe. Deshalb halte ich es für wichtig, dass die jungen Leute mehr in die Oper gehen, damit sie sehen, wie streng in früheren Zeiten die Bräuche waren, und ihre Freiheit nicht dazu verwenden, alles kaputt zu schlagen. Ich musste bis zu meinem 21. Lebensjahr jeden Abend um acht Uhr zu Hause sein. Ich durfte nicht ausgehen. Meine Eltern waren meistens auf Reisen, aber ich hatte eine sehr strenge Tante, die hat mich fast täglich verprügelt. Trotzdem liebte ich sie. Man darf den Kindern nicht alles durchgehen lassen. 

Stimmt es, dass Sie schon mit sechzehn Jahren geheiratet haben? 

Ja, stimmt. Das war meine erste Ehe. Mit siebzehn wurde ich Vater. 

Wie war das möglich bei einer so strengen Erziehung? 

Das war ganz normal. Dieses Mädchen ging mit mir in dieselbe Schule. Ich dachte, ich sei verliebt. Aber es war dann doch nicht die große Liebe. Schon nach einem Jahr sind wir auseinandergegangen. 1959 lernte ich meine zweite Frau kennen. Mit ihr bin ich noch heute zusammen. 

Sind Sie ein treuer Gatte? 

Meine Frau sagt, wenn ich sie betrüge, dann betrügt sie auch mich. Sie könnte, wenn sie wollte, jede Nacht einen anderen haben. Also halte ich mich zurück, weil ich weiß, was auf dem Spiel steht. 

Es ist nicht immer einfach, denn wenn man einen öffentlichen Beruf hat, lebt man wie in einem Schaufenster, und die Fans sind ja meist weiblich."

Plácido Domingo

Macht Ihnen das Schwierigkeiten? 

Es ist nicht immer einfach, denn wenn man einen öffentlichen Beruf hat, lebt man wie in einem Schaufenster, und die Fans sind ja meist weiblich. Die schreiben Briefe, bitten um Autogramme, schicken Blumen oder andere Gegenstände. Ich habe eine ganze Kollektion von Schals aus allen möglichen Ländern, weil sich die Leute Sorgen um meine Kehle machen. Manchmal bekomme ich auch Gedichte. Etwas sehr Amüsantes ist mir in Wien passiert. Da kamen drei junge Mädchen in meine Garderobe und ­fragten, ob sie mich nach der Vorstellung allein treffen könnten. Ich bat meine Frau um Erlaubnis. Sie war einverstanden. Also habe ich die Mädchen getroffen, aber alles, was geschah, war, dass sie mir ein paar Lieder vorsingen wollten. 

Wenn der Regisseur ganz oben steht

Hatten Sie mehr erwartet? 

Ich hatte gar nichts erwartet. Ich erzähle das nur, um Ihnen ein Beispiel zu geben, was ich mit meinen Fans so alles erlebe. 

Genießen Sie es, verehrt zu werden? 

Ich bin da sehr vorsichtig. Natürlich ist es nett zu hören, dass man auf der Bühne ein Gott ist. Früher, wenn einer gut boxen konnte, hieß es gleich: ein neuer Joe Louis. Heute ist er ein Muhammad Ali. Ein guter Tenor, sagt man, singt wie Caruso. Aber das sind nur Worte. Das hat nichts zu bedeuten. 

Könnten Sie sich vorstellen, dass man in hundert Jahren über einen Tenor sagt, er singt wie Domingo? 

Nein, ich glaube, Caruso wird bleiben. Die Voraussetzungen, ein Mythos zu werden, sind heute nicht günstig. Wenn Caruso irgendwo auftrat, war das für die ganze Stadt ein Ereignis. Heute steht auf dem Programmzettel ganz oben der Regisseur, dann der Dirigent, aber die Sänger werden nur aufgezählt in der Reihenfolge ihres Erscheinens. Da schreiben die Kritiker sechs Spalten über eine Opernpremiere, aber nur fünf Zeilen über die Sänger. Je ausgefallener eine Inszenierung ist, desto mehr wird geschrieben. 

Kennen Sie die Anekdote über Franco Corelli, der während einer Aufführung von „Turandot“ Birgit Nilsson ins Ohr biss, weil sie im Duett mit ihm den Ton länger gehalten hatte? 

Ich habe noch nie eine Sopranistin gebissen.

Zur Person: Plácido Domingo

Sein Gesangsrepertoire umfasst 150 Rollen, er dirigierte 500 Opernaufführungen, war in Los Angeles und Washington Operndirektor. In Wien sang er an mehr als 250 Abenden. Er hat 21 Millionen Tonträger verkauft und neun Grammys bekommen. Als einer der „Drei Tenöre“ spielte er in ausverkauften Stadien.

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