Das Leben birgt Herausforderungen.

Manchmal in Form eines Fotoshootings. Anett Fritsch und Daniel Schmutzhard, ihres Zeichens Opernstars mit formidablen internationalen Karrieren, zeigen Zunge, vollführen Verrenkungen, agieren atypisch. Es geht um das Cover der BÜHNE – also darum, Aufmerksamkeit zu generieren. Da darf man auch modisch nicht zimperlich sein.
Nach fast vier Stunden und unzähligen Posen sitzen die beiden in der Solistengarderobe und wirken einigermaßen entspannt. Hat es Spaß gemacht? „Es ist ungewohnt, aber nichtalltägliche Dinge zu erleben finde ich immer spannend. Man muss sich darauf einlassen, denn im Grunde ist ein Fotoshooting das genaue Gegenteil unseres Berufs: Man ist dabei stumm, und es entsteht ein statisches Bild“, findet Daniel Schmutzhard. „Mir geht es ähnlich“, ergänzt Anett Fritsch, „ich fühle mich zunächst völlig aus meiner Komfortzone gerissen, wenn ich vor der Kamera dermaßen verrückte Sachen machen soll. Aber es hat nur wenige Minuten gedauert, ehe ich aufgewärmt war und das Ganze zu einem Vergnügen wurde.“ Schön so. Diese mentale Ausgeglichenheit werden die beiden während der kommenden mehrwöchigen Proben für „Die lustige Witwe“ auch brauchen, stehen sie als Hanna Glawari und Graf Danilo doch im Zentrum der Handlung und somit beinahe durchgehend auf der Bühne.

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Mariame Clément führt bei dieser Neuinszenierung in der Volksoper Regie und gibt damit ihr Wiener Operettendebüt. „Ich kannte das Stück gar nicht und gehe ganz ohne Referenzen an diese Arbeit heran“, erklärt sie in akzentfreiem Deutsch. „Die Musik ist phänomenal gut, das Libretto ist genial, die Figuren sind vielschichtig, die Handlung bringt mich zum Lachen. Das Werk ist pure Energie, gepaart mit Emotion. Eine Komödie, die aber eine gewisse Fallhöhe hat und es einem erlaubt, in die Tiefe zu gehen.“

Revolutionäres Frauenbild

Komponist Franz Lehár kreierte gemeinsam mit seinen Librettisten Victor Léon und Leo Stein die lustige Witwe als lebenskluge, finanziell autonome, emanzipierte, moderne Frau, deren Daseinsberechtigung nicht von männlicher Gunst abhängt, sondern die selber handelndes Subjekt ist. Der Erfolg dieser Abkehr von gängigen Operettenmustern war enorm – „Die lustige Witwe“ brachte es bis zum Ableben Franz Lehárs im Jahr 1948 auf mehr als 300.000 Aufführungen weltweit und wurde mehrfach verfilmt. Mariame Clément geht in ihrer Deutung noch einen Schritt weiter und zeigt sowohl Hanna Glawari als auch Graf Danilo im fortgeschrittenen Alter– nicht nur, weil die Vorgeschichte das ohnehin nahelegt, sondern auch, weil sie die durchaus gesellschaftlich relevante Frage interessiert, wie viel Begehren man reifen Persönlichkeiten zugesteht.

Für Anett Frisch ist „Die lustige Witwe“ nach „Die Fledermaus“ erst ihre zweite Operette. „Ich habe dadurch eine großartige neue Gattung von Musik kennengelernt, die bei der ‚Witwe‘ durch den beinahe durchgehenden Dreierrhythmus selbst an den intimeren Stellen beste Laune verbreitet. Es ist im respektvollsten Sinne einfache Musik, aber sie ist einfach gut und spricht deshalb eine breite Masse von Menschen an.“

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Daniel Schmutzhard hat etwas mehr Genre-Erfahrung. „Die Orchestrierung ist meisterhaft und opulent“, sucht er nach Erklärungen für den bereits 119 Jahre andauernden Erfolg des Lehár-Evergreens.„Anett und ich bewegen uns in unserer Arbeit eigentlich durch das gesamte Musiktheater-Repertoire, und ich finde, Operette ist wirklich die Königsklasse, weil sie einen von allen Seiten fordert. Es muss stimmlich leicht klingen, obwohl es das nicht ist, man muss tanzen können und ein richtig guter Darsteller sein. Da kommt alles zusammen, was man auf einer Bühne sehen will.“

Raus aus der Komfortzone. Anett Fritsch und Daniel Schmutzhard durften sich beim Fotoshooting weit von ihrem beruflichen Image entfernen und hatten sichtbaren Spaß an der Herausforderung.
Raus aus der Komfortzone. Anett Fritsch und Daniel Schmutzhard durften sich beim Fotoshooting weit von ihrem beruflichen Image entfernen und hatten sichtbaren Spaß an der Herausforderung.

Foto: Marko Mestrovic

Operette ist die Königsklasse, weil sie einen von allen Seiten fordert.

Daniel Schmutzhard, Sänger

Eleganz und Emanzipation

Man müsse Operette lediglich richtig in Szene setzen, findet Anett Fritsch, dann hätte sie auch nicht das vorurteilsbehaftete Imageproblem allzu beliebiger Leichtigkeit. „Operette wurde lange Zeit wahnsinnig schnulzig inszeniert und auch so gesungen. Wenn man die textliche Doppelbödigkeit dann auch noch schenkelklopfermäßig hervorstreicht, hat man schnell eine Art von Bierzelt-Atmo- sphäre. Nimmt man die Story und ihre Charaktere allerdings ernst und setzt sie mit Feingefühl, Geschmack und Eleganz um, wie das Mariame Clément macht, bleibt ein Destillat von herrlicher Musik und echten Gefühlen übrig.“ Dass sie als Hanna Glawari in dieser Inszenierung lebenserfahrener sei, nehme der Figur auch ein wenig von ihrer Koketterie und lasse sie echter wirken.

Ein Problem, das Graf Danilo bisher nicht kannte, durfte er doch ungeachtet der Tatsache, dass ihn und Hanna eine Jugendliebe verbindet, manchmal Jahrzehnte älter sein als sie. Man erinnere sich mit Schaudern an TV-Auftritte zurück, bei denen ein 106 Jahre alter Johannes Heesters, ans Klavier gelehnt, „Da geh’ ich zu Maxim“ behauptete. „Jetzt werden Hanna und Danilo etwa gleich alt sein“, freut sich Daniel Schmutzhard über den emanzipatorischen Schritt und fügt schmunzelnd an: „Ich habe auch schon in der Vorgängerproduktion diese Rolle gesungen und war angeblich der jüngste Danilo, den es je in der Volksoper gab. Damals wurden bei der Matinee hinter mir all die berühmten alten Männer auf Fotos gezeigt, die ihn vor mir gesungen hatten. Jetzt bin ich auch einer von denen.“ Zumindest dank optischer Hilfsmittel und schauspielerischer Fähigkeiten.

Die Frage nach der heutigen Relevanz der „Lustigen Witwe“ stellt sich für Anett Fritsch gar nicht. „Das ist kein aktuelles, sondern ein zeitloses Stück. Man hat sich schon vor zweitausend Jahren verliebt und wird sich auch in zweitausend Jahren noch verlieben. Es wird immer Eifersucht geben, es wird immer Tragik geben“, meint sie energisch. Daniel Schmutzhard gibt ihr recht: „Der Kern des Stücks ist die Beziehung dieser beiden Menschen.“

Zur Person: Anett Fritsch

studierte Gesang in Leipzig, gehörte dem Ensemble der Deutschen Oper am Rhein an, gab beim Glyndebourne Festival ihr Debüt als Almirena in Händels „Rinaldo“, war unter René Jacobs in Glucks „Telemaco“ als Merione am Theater an der Wien zu sehen und sang Fiordiligi in Hanekes „Così fan tutte“-Inszenierung in Madrid. An der Volksoper war sie zuletzt Mimì in „La bohème“ und Pamina in „Die Zauberflöte“.

Anett Fritsch, Sängerin.
Anett Fritsch, Sängerin: „Meine allererste Inspiration war Céline Dion."

Foto: Marko Mestrovic

Frühe Konditionierung

Anett Fritsch kam „aus Liebe zu meinem Heimattheater“ zum Beruf. „Ich bin in Plauen aufgewachsen und habe im dortigen Stadttheater sowohl im Chor gesungen als auch kleinere Rollen in ‚Der zerbrochne Krug‘ ,‚Faust‘ oder‚ Sonnenallee‘ gespielt. Da war es um mich geschehen, und mir war klar, dass das meine Zukunft sein sollte. Der Chor hat auch freiwilligen Gesangsunterricht angeboten, den ich einmal wöchentlich in Anspruch genommen habe. Mein Lehrer war ein ehemaliger Tenor des Hauses und als Pädagoge richtig talentiert. Er meinte immer, er sei kein Gesangslehrer, sondern Stimmbildner. Was hätte er mit einer Fünfzehnjährigen auch über Interpretation reden sollen? Stattdessen haben wir Übungen gemacht: mimimimi und mamamama.“

Irgendwann habe sie gedacht, genau das wolle sie: singen. „Meine allererste Inspiration war Céline Dion. Wir haben am Waldrand gewohnt, es gab weit und breit nur noch ein Haus, ich habe eine CD von ihr eingelegt und bei offenem Fenster mitgesungen. Meine Mutter war fertig mit den Nerven. Denn auch wenn Céline Dion eine wirklich gute Stimme hat, ist es doch hart, sie den ganzen Tag hören zu müssen.“

Zur Person: Daniel Schmutzhard

war Solist bei den Wiltener Sängerknaben, ehe er in Tirol und Wien Gesang studierte. Von 2011 bis 2018 Ensemblemitglied der Oper Frankfurt, gastierte er z. B. an der Berliner Staatsoper, der Pariser Oper, bei den Bregenzer Festspielen und am Theater an der Wien. An der Volksoper ist er aktuell u. a. als Papageno in „Die Zauberflöte“, Peter in „Hänsel und Gretel“ und Marcello in „La bohème“ zu sehen.

Daniel Schmutzhard, Sänger
Daniel Schmutzhard, Sänger: „Operette ist die neue Königsklasse, weil sie einen von allen Seiten fordert."

Foto: Marko Mestrovic

Daniel Schmutzhard wuchs in der Nähe von Innsbruck auf. „Mein Großvater war Organist und Kirchenchorleiter. Meine Eltern sind sehr musikalisch, aber keine Professionisten. Mich hat ganz klar der Weg über die Wiltener Sängerknaben zum Gesang gebracht. Nach dem Stimmbruch habe ich weitergemacht und bin später aufs Tiroler Landeskonservatorium gegangen. Mein dortiger Lehrer Karlheinz Hanser hat den Beruf auch immer sehr realistisch dargestellt, wofür ich ihm dankbar bin. Er hat uns nicht ausgemalt, wie toll alles sein würde und dass wir in der ganzen Welt herumkommen könnten, sondern meinte, dass man es schon geschafft hätte, wenn man einen Job im Landestheater-Chor ergattern, also davon leben könne. Ich war damals siebzehn und hatte durchaus auch im Kopf, mir eventuell eine Alternative überlegen zu müssen.“ Wäre ein Zweitberuf tatsächlich vonnöten gewesen, hätte sich Daniel Schmutzhard für Politikwissenschaften entschieden, und Anett Fritsch hätte Kunst studiert. Stattdessen wurde es doch die ganze Welt.

Bayreuth – Paris – Madrid

Anett Fritsch sang u.a. Ortlinde in „Die Walküre“, Contessa Almaviva in „Le nozze di Figaro“, Zdenka in „Arabella“, Almirena in „Rinaldo“ und Donna Elvira in „Don Giovanni“. Daniel Schmutzhard verkörperte Wolfram in „Tannhäuser“, Posa in „Don Carlo“, Onegin in „Eugen Onegin“, Escamillo in „Carmen“, Marcello in „La bohème“ und die Titelrolle in „Don Giovanni“. Nur ein kleiner Auszug des bisherigen Œuvres der beiden. Worin besteht eigentlich die gesangliche Differenz zwischen Operette und Oper? „Stilistisch gibt es natürlich immer Unterschiede, aber ich kann auch Mozart nicht singen wie Puccini oder Wagner wie Verdi. Man muss sich anpassen“, so Daniel Schmutzhard. Anett Fritsch findet, dass die Operette viel textnäher sei. „Bei einer Belcanto-Oper singst du vierzigmal das gleiche Wort, nur in einer anderen Koloratur, da ist der Text tatsächlich weniger wichtig. Die Operette ist inhaltlich hingegen nah am Sprechen.“

Für „Die lustige Witwe“ wünscht sich die Titelheldin, „dass sich der Spaß, den wir auf der Bühne haben werden, auch auf das Publikum überträgt“. Und was kommt danach? Auf Daniel Schmutzhard wartet „Die Götterdämmerung“ in Zürich, auf Anett Fritsch „Das Rheingold“ in Berlin. Zweimal Wagner also. Der maximale Kontrast. „Die Abwechslung macht es ja so spannend“, spricht Daniel Schmutzhard das Schlusswort. Womit wir wieder beim Fotoshooting wären.

Zur Person: Franz Lehár

gehört mit Emmerich Kálmán, Oscar Straus und Leo Fall zu den Hauptvertretern der Silbernen Operettenära. Zu seinen wichtigsten Werken zählen „Das Land des Lächelns“, „Giuditta“ und „Der Graf von Luxemburg“. „Die lustige Witwe“ – 1905 uraufgeführt – ist seine kommerziell und künstlerisch erfolgreichste Operette und wurde bis zu Lehárs Tod 1948 weltweit mehr als 300.000 Mal gezeigt.