Irgendwas ist immer. Und so steht John Malkovich allein im Prinzessinnen-Outfit auf der Bühne des Opernhauses in Monte Carlo. Sein Kollege hat den Kostümwechsel nicht zeitgerecht geschafft, und somit ist einmal Pause. Das Orchester bricht ab. Der Regieassistent läuft Richtung Hinterbühne. Malkovich schaut nach rechts, dann nach links. Dann entdeckt er den rosaroten Sessel, der mittig auf der Bühne steht und lässt sich dort nieder, schlägt die Beine übereinander und tut einfach einmal nichts.

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Es ist ein Bild für die Ewigkeit: Malkovich, Prinzessinnenkostüm, Schleier. Beeindruckend, wie viel Präsenz man beim Nichtstun haben kann.

Es ist zwei Tage vor der Premiere, und das Bühne-Team darf einem der größten Hollywoodstars beim Warten zuschauen. Unterbrochen nur von einem „Hallo, wie geht’s?“ von der Seite. Es ist die große und wunderbare Cecilia Bartoli. Sie trägt das gleiche Kostüm wie Malkovich und wird gleich mit ihm das Duett „Pur ti miro“ aus Monteverdis Oper „L’incoronazione di Poppea“ singen. Also: Bartoli singt, Malkovich macht eine Art „Leonhard-Cohen-Gedenkgesang“. Schön. Rührend. Einzigartig.

Prinzessinnen-Traum

Das Stück, das hier in Monaco an einem Sonntag im April seine vielbejubelte Premiere feiert und in der Wiener Staatsoper am 10. Juli im Rahmen des Bartoli-Gastspiels (6. bis 11. Juli) zu sehen ist, heißt „Their Master’s Voice“.

Sehr kurz gefasst: Ein alternder Countertenor will – zu Ehren Farinellis, des Berühmtesten aller Countertenöre – noch einmal als Prinzessin auf die Bühne.

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Schauspielerin Emily Cox spielt die junge Regisseurin, an der sich der alternde Star abarbeitet. Cecilia Bartoli eine Putzfrau, die als Sängerin entdeckt wird, und Philipp Mathman das, was er ist: einer der besten Countertenöre der Jetztzeit. Dazu: Hits, Hits, Hits von Vivaldi, Händel, Monteverdi und Co. Michael Sturminger hat das Buch geschrieben und führt Regie. „Noch einmal auf der Bühne als Prinzessin stehen – das ist doch ein wundervolles Bild“, sagt er (mehr dazu: Monolog).

Es ist ein Auftragswerk der Oper Monte Carlo, deren Chefin Ausnahmesopranistin Cecilia Bartoli ist. Die Oper ist im selben Gebäudekomplex wie das Casino untergebracht, und der Saal ist eine Miniatur der Opéra Garnier in Paris. Das Dach hält eine Konstruktion von Gustave Eiffel, und weil seit der Er­öffnung 1879 weder ein Krieg noch ein Feuer das Haus zerstört hat, ist alles ziemlich original, alt, schön und geschmackvoll, was man vom Rest der konstitutionellen Felsen-Monarchie nicht behaupten kann.
524 Plätze hat der Saal, und seit Bartoli das Haus führt, ist es voll. „Es macht Spaß!“, sagt sie. „Ich kann mit Künstlern, die ich schätze, auch längerfristige Projekte andenken und darf meiner Kreativität freien Lauf lassen.“ Gleich werden wir mit Bartoli ausführlich plaudern, aber sie hat noch einen Termin mit dem Kulturminister, und so setzen wir uns mit John Malkovich und dem Team entspannt in die erste Reihe des Theaters und reden über das Projekt. Malkovich ist 70. Hat das Alter irgendwelche Vorteile?

Cecilia Bartoli
Das Haus und die Direktorin. Cecilia Bartoli in „ihrer“ Oper in Monte Carlo. Der Saal umfasst 524 Plätze und ist eine Miniatur der Opéra Garnier in Paris. Die Oper befindet sich im selben Haus wie das Casino.

Foto: Olivia Pulver

Zur Person: Cecilia Bartoli

ist eine der erfolgreichsten Koloratur-Mezzosopranistinnen der Welt. Sie hat weit über 12 Millionen Tonträger verkauft, ist Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele und seit 2023 Direktorin der Oper in Monte Carlo – die seither ausverkauft ist. Jetzt kommt sie Anfang Juli (!) zu einem längeren Gastspiel in die Wiener Staatsoper – John Malkovich inklusive.

„Ja, man hat mehr Erfahrung, weiß, was vielleicht funktioniert und was nicht, und man hat auch mehr Geduld. Und die Musik, mit der wir hier arbeiten, ist einfach pure Schönheit. Ich kann Barock immer hören. Als Schauspieler muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Musik immer stärker sein wird als alles, was man auf der Bühne machen kann. Man würde eher durch eine Ziegelmauer laufen, als gegen die Musik zu spielen, deshalb liebe ich es, um sie herum zu spielen.“

Gibt es vielleicht noch eine späte Karriere als Musiker? Malkovich lächelt: „Obwohl ich in meiner Kindheit davon geträumt habe, bei den Wiener Sängerknaben zu singen, kam ich später zu dem Schluss, dass die Musik ohne mich besser dran ist. Ich mache das hier, weil ich einen Platz ganz in der Nähe von Cecilia bekommen wollte, während sie singt. Ich brauche wohl nicht zu erklären, was für ein wunderbares Geschenk das ist.“ Er lacht.

Später Opern-Sommerschluss

Bereits 2022 wurde die Saison der Wiener Staatsoper um ein Gastspiel von Bartoli und ihrer Monegassen in den Juli verlängert. Es wurde ein Publikums-Hit, die Abschlussgala der Bartoli ein ­italienisches Opernfest.

Die Diva ist von ihrem Termin retour. Zeit, mit ihr über Malkovich, das Gastspiel und das Singen an sich zu plaudern.

Cecilia Bartoli, John Malkovich
Das Team. Michael Sturminger (Regie), Philipp Mathman (Countertenor), Emily Cox (Schauspielerin), Gianluca Capuano, Cecilia Bartoli, John Malkovich (von links nach rechts).

Foto: Olivia Pulver

Ihre Definition eines perfekten Tons?

Wenn ich jetzt als Sängerin sprechen soll: Den perfekten Ton gibt es nicht. Entweder ist er physikalisch rein und so neutral wie destilliertes Wasser, oder er hat Farben, erzählt eine Geschichte, die sich zwischen Sänger und Zuhörer abspielt und berührt: Musik. Ich bevorzuge Letzteres.

Warum ist das hohe C so wichtig?

Ist es nicht … Aber für einen professionellen Sänger spielt der Tonumfang natürlich schon eine Rolle.

Zu welchen Anteilen sind Seele und Gehirn an der Produktion des perfekten Tons beteiligt?

Beim Gesang spielen tausend Faktoren eine Rolle: der Körper, die Stimmbänder, Resonanzräume, Obertöne, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Befindlichkeit, das Publikum und, und, und … je reicher, desto besser! Seele und Gehirn gehören hingegen zur Essenz des Musikmachens.

John Malkovich hat eine Intensität, ein Charisma, das die ganze Gruppe mitreißt.

Cecilia Bartoli

Kann die Oper die Welt retten?

Retten vielleicht nicht, aber ich denke, dass der Musik eine große Kraft innewohnt: Sie ist eine universelle Sprache, ausdrucksstark und fähig, viele Menschen gleichzeitig anzusprechen.

Oper allein kann die Welt nicht retten, aber dadurch, dass sie – und Kunst ganz generell – Menschen, die komplett verschiedene Sprachen sprechen, einen und in eine grundsätzliche Harmonie bringen kann, vermag sie, den ersten Schritt zu einer gemeinsamen Kommunikation zu vollbringen. Und gerade daran fehlt es ja in der heutigen Zeit so häufig.

Befremdet es Sie, dass es Taschen mit Ihren Augen zu kaufen gibt und Menschen damit durch die Stadt laufen?

Ach, die Taschen! Die wurden zum Erscheinen der großen Rossini-Box fabriziert. Zu meinem 30-jährigen Jubiläum bei der Plattenfirma Decca wurde eine schöne Box mit all meinen Rossini-Aufnahmen veröffentlicht, stellen Sie sich vor: 15 CDs und 6 DVDs! Ein Bild von meinen Augen war damals das Cover … Es amüsiert mich schon, dass die Augen als „Markenzeichen“ einer Sängerin verwendet werden. Aber die sind wahrscheinlich auch schöner anzusehen als die Stimmbänder!

John Malkovich
Gleiches Kleid? Absicht! John Malkovich (Schauspieler), Cecilia Bartoli (Diva) und Philipp Mathman (Countertenor) bei den Proben zum Stück „Their Master’s Voice“ in der Oper in Monte Carlo.

Foto: Marco Borrelli

Was würden Sie Farinelli fragen, wenn Sie eine Stunde mit ihm ­verbringen könnten?

Ich würde wahnsinnig gerne länger mit Farinelli plaudern! Er war ja über 25 Jahre ein höchst einflussreicher Höfling am spanischen Hof. Zudem war er ein gro­ßer Kunstsammler und mit dem berühmten Dichter Metastasio befreundet, von dem ja auch Mozart noch Texte vertont hat. Die Mozarts besuchten ihn auf seinem italienischen Landgut, da war er schon alt, auch Gluck, sogar Joseph II. Und er stammte aus Neapel, der wunderbaren Stadt mit ihrer hervorragenden Küche. Somit teilen wir genügend Leidenschaften für einen gemütlichen Abend oder sogar zwei.

Sie stehen auch einen Abend ­gemeinsam mit John Malkovich auf der Bühne. Wie ist er so?

John Malkovich ist einfach ein großartiger Künstler – bei den Proben ein wunderbarer Kollege und auf der Bühne ein wahrer Zauberer. Er hat dieses Etwas – eine Intensität, die man vielleicht am ehesten als Charisma bezeichnen kann und die die restliche Truppe mitreißt!

Was ist für Sie die Faszination von Barock?

Ganz spontan würde ich sagen, Barockmusik lebt von Emotion, Virtuosität und Rhythmus! Eher musikwissenschaftlich beleuchtet ist festzustellen, dass diese Musik einerseits von den berühmten "Affekten“ lebt. Es gibt zahllose fantastische Arien zu den großen Themen Liebe, Trauer, Wut und so weiter. Es handelt sich um eine höchst artifizielle Kunstform, die uns aber trotzdem zutiefst berührt.

Auf der anderen Seite besteht sie aus sehr klaren, stark ausgeprägten rhythmischen Strukturen, die ein heutiges, junges Publikum direkt ansprechen. Die streng kodifizierten Basslinien, die Wiederholungen und Spiegelungen, aber auch die Improvisation sind Elemente, die in der Popmusik und auch im Jazz wiederzufinden sind. Ich bin immer wieder überrascht davon, wie viele jüngere Zuhörerinnen und Zuhörer in meine Konzerte kommen.

Nicht zu vergessen ist außerdem das zirzensische Element – denken wir nur an die schwindelerregenden Koloraturen –, welches unser heutiges Bedürfnis nach Show und Wagnis befriedigt.

John Malkovich
Lassen Sie dieses Bild wirken. Wenn Sie John Malkovich (unter anderem) auf einem goldenen Flügelwagen sehen wollen – dann sollten Sie in die Wiener Staatsoper gehen.

Foto: Marco Borrelli

Zur Person: John Malkovich

ist einer der erfolgreichsten Hollywoodstars. Er dreht Indie-Filme, Blockbuster, spielt erfolgreich Theater (auch in Produktionen des österreichischen Regisseurs Michael Sturminger). Er entwirft Kleidung und kann ziemlich gut nähen. Er ist seit 1989 mit der Regisseurin Nicoletta Peyran verheiratet, sie haben zwei Kinder. 

Sie werden in Händels „Giulio Cesare in Egitto“ die Cleopatra singen. Was kann man als moderne Frau von ihr lernen?

Cleopatra war schön und intelligent. Und hatte keine Angst, ihre Ansprüche anzumelden und durchzusetzen, auf emotionalem oder amourösem wie auch auf politischem Gebiet. Ich denke, diese Haltung hat sie zu einer Art zeitloser archetypischer Figur werden lassen, die auch heute noch fasziniert.

War Cäsar dieser Frau überhaupt gewachsen? 

Wenn wir der Darstellung der beiden in der Kunst, Musik und Literatur folgen, würde ich sagen, nein. Aber das spielt in unserer Oper keine Rolle. Hier geht es auch nicht um Altertumskunde, sondern um das Allgemeingültige, das Auf und Ab einer neu entstehenden Liebesbeziehung und um die Legende, für die diese faszinierenden historischen Persönlichkeiten standen und auch weiterhin stehen.

Habe ich eine Frage vergessen?

Wann wir dann wieder nach Wien kommen? Aber das fragen Sie besser Herrn Direktor Roščić …

Zu den Spielterminen von den Gastspielen: „Giulio Cesare in Egitto“, „Their Master’s ­Voice“ und die Gala „­Farinelli and Friends“!