Am Tag nach einer durchzechten Clubnacht herrscht bei Rudy und Max Katerstimmung. Erinnerungslücken und Fragen wie „Wer ist nackte Typ in unserem Badezimmer?“ inklusive. Es ist aber nicht einfach nur der Beginn eines erinnerungsarmen Katertags, sondern auch der Morgen nach dem sogenannten „Röhm-Putsch“, von dem ausgehend die systematische Verfolgung homosexueller Männer durch das Nationalsozialistische Regime ihren Anfang nahm. Das Stück „Bent“ des US-amerikanischen Autors Martin Sherman, uraufgeführt 1979 in London, beginnt mit der Schilderung jenes Tages im Jahr 1934. Matthias Köhler, der Shermans Theatertext mit seinem Kollektiv wirgehenschonmalvor im Theater Hamakom am Nestroyplatz inszeniert, hat sich bewusst dazu entschieden, seine Arbeit nicht zu sehr in der Historie zu verorten.

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„Wir wollten keinen alten Wissenstand reproduzieren, sondern sind mit dem Anspruch in die Arbeit hineingegangen, die ganze Bandbreite an queeren Identitäten darin vorkommen zu lassen“, sagt der Regisseur. „Um auch Themen ins Stück zu lassen, die Martin Sherman in seinem Text nicht verhandelt hat, weil sie damals noch nicht Teil des Diskurses waren. Fragen zur Situation von Trans-Menschen und homosexuellen Frauen während des NS-Regimes zum Beispiel“, führt Matthias Köhler aus.

Der Paragraph 175, der die Rechtsgrundlage für die Homosexuellenverfolgung darstellte, blieb nach 1945 unverändert bestehen.

Elena Höbarth, Dramaturgin

Wenn einem das Lachen im Hals stecken bleibt

Elena Höbarth, Dramaturgin bei „Bent“ im Hamakom, fügt hinzu: „Außerdem wollten wir mitverhandeln, dass es sich nicht um ein Kapitel handelt, das mit 1945 abgeschlossen war. Der Paragraph 175, der die Rechtsgrundlage für die Homosexuellenverfolgung darstellte, blieb nach 1945 unverändert bestehen. Dadurch gibt es Kontinuitäten, auch etwa was queere Praxen in Reaktion auf die Diskriminierung betrifft, die in unsere Gegenwart hineinreichen.“ Matthias Köhler, der das Stück schon seit geraumer Zeit am Schirm hatte, ergänzt, „dass sich auch heute noch – und gar nicht weit weg von Deutschland und Österreich – Rechtssysteme blitzschnell ändern können und es teilweise sogar zur Untergrabung der Justiz kommt“. Die in dem Stück verhandelten Themen in mit den Worten „früher“ oder „vergangen“ etikettierte Schubladen zu stecken, hält er deshalb für falsch.

Bent im Hamakom

Foto: Apollonia Theresa Bitzan

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Sich der Geschichte auf eine Weise anzunähern, die Humor nicht völlig ausschließt, war Matthias Köhler ebenfalls ein großes Anliegen. „Plump zu provozieren hat sich für mich alles andere als richtig angefühlt. Ich halte es für wichtig, die Menschen im Publikum zu berühren und im besten Sinne des Wortes zu unterhalten – sie auch über Humor zum Nachdenken zu bringen, auch wenn einem das Lachen manchmal im Hals stecken bleibt“, erläutert Matthias Köhler, den wir nach der AMA, also nach der ersten Probe mit originaler Ausstattung, gemeinsam mit Elena Höbarth im Hamakom treffen.

Inspiration aus der Popkultur

Eine emotionale Achterbahnfahrt war, wie Höbarth ergänzt, daher auch die Probenarbeit. „Bei all dem Spaß, den man in der gemeinsamen Arbeit hat, gab es immer wieder Situationen oder neue Informationen, die uns tief getroffen haben.“ Aber auch die Frage nach der Darstellung des Bösen trieb Matthias Köhler und sein Team um. „Uns war von Anfang an klar, dass wir keinen Nazi in Uniform auf die Bühne bringen möchten. Auch weil das eine Distanzierung geschaffen hätte, die das Ganze in die Geschichte zurückverfrachtet, wogegen wir uns ja von Beginn weg gewehrt haben. Außerdem war es uns wichtig, dass unsere Darstellung für ‚das Böse‘ an sich und nicht für diesen einen Nazi steht“, erklärt Elena Höbarth.

Inspiration kam schlussendlich aus der Popkultur, genauer gesagt aus der Welt der Marvel-Comics. „Es geht uns auch darum, zu zeigen, dass das Böse als Monster immer auch eine Projektion ist. Schließlich stecken hinter all diesen Verbrechen reale Menschen“, bringt die Dramaturgin diesen konzeptuellen Drahtseilakt auf den Punkt.

Als deutsch-österreichisches Kollektiv wollten wirgehenschonmalvor die Geschichte außerdem nicht nur aus Opferperspektive erzählen. „Man muss auch die Täterperspektive mit hineinnehmen – und zwar dezidiert“, fasst Matthias Köhler zusammen. „Sonst wird es ganz schnell unehrlich und ungenau.“ Unterstützung in Form von Austausch kam unter anderem von QWIEN, einem Forschungszentrum für queere Geschichte, ergänzt Elena Höbarth. Nach der Vorstellung von „Bent“ am 17. November wird es ein Publikumsgespräch mit Andres Brunner, dem Leiter des Forschungszentrums, geben.

Die Aufgabe lautet nicht Wie erinnert man sich? Sondern Wie verhält man sich zu diesem Thema? Wie nimmt man dazu Stellung?

Matthias Köhler, Regisseur

Wissens- und Gedächtnislücken in Zusammenhang mit der strafrechtlichen Verfolgung queerer Menschen in der NS-Zeit zu schließen, kann zwar als eine Aufgabe des Textes gesehen werden, dennoch ist Erinnerungsarbeit nicht der einzige Anspruch, den Matthias Köhler an seine Inszenierung hat. „Wir möchten zwar erinnern, dabei aber auch in ein Heute reichen und Parallelen suchen. ‚Bent‘ ist ein Stück, das atmet. Die Aufgabe lautet also nicht: Wie erinnert man sich? Sondern: Wie verhält man sich zu diesem Thema? Wie nimmt man dazu Stellung?“

Bent im Hamakom
Das „Bent“-Ensemble im Bühnenbild von Patrick Loibl.

Foto: Apollonia Theresa Bitzan

Queere und feministische Stoffe

Gegründet wurde wirgehenschonmalvor 2015. Wie es zur Gründung kam, beantwortet Matthias Köhler folgendermaßen: „Ich habe neben meiner Arbeit als freier Regisseur an Stadttheatern immer wieder auch eigene Produktionen gemacht und die Freiheit, die man bei der Wahl der Themen und des Ensembles hat, sehr zu schätzen gelernt. An manchen Stadttheatern ist es nämlich gar nicht so einfach, mit queeren oder feministischen Stoffen, auf die ich mich verstärkt konzentrieren wollte, durchzukommen. Das Kollektiv ermöglicht es uns nun, uns immer weiter an falsch verstandenen Maskulinitätsidealen, Homophobie, Gewalt und queer*politischen Themen abzuarbeiten.“

Zu den Spielterminen von „Bent“ im Hamakom.