Lola Klamroth und Rebecca Lindauer fliegen die Schlagzeilen um die Ohren. Nicht so, wie das jetzt vielleicht klingt – also im sogenannten metaphorischen Sinne –, sondern buchstäblich. Für das Fotoshooting, das anlässlich der Wiener Premiere des Stücks „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ stattfindet, werfen die beiden Schauspielerinnen einen kleinen Stapel Tageszeitungen in die Luft.

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Die Inszenierung von Bastian Kraft war einer der großen Würfe der Intendanz von Stefan Bachmann am Schauspiel Köln und übersiedelt im September an die BURG. Ihren eigenen Umzug von Köln nach Wien haben Lola Klamroth und Rebecca Lindauer bereits hinter sich gebracht und seither – auch abseits des Theaters – schon einiges erlebt.

„Ich wurde schon hart am Fahrrad angegrantelt, einmal sogar fast mit einem Gehstock verprügelt“, erzählt Lola Klamroth lachend. Es gab aber auch schon sehr viele schöne Begegnungen, halten die beiden Schauspielerinnen fest. Auch von ihren neuen Kolleg*innen seien sie sehr herzlich empfangen worden. Um bei der Einstiegsmetapher zu bleiben: In Wien dauert es zwar manchmal ein bisschen länger, bis man mit Liebe beworfen wird, ist es aber einmal passiert, fliegt sie einem im besten Sinne des Wortes um die Ohren.

Ausweglose Enge

„Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie die Menschen in Wien das Stück aufnehmen werden“, hält Lola Klamroth fest. Durch die Biografie Heinrich Bölls und die Bezüge zur deutschen „Bild“-Zeitung scheint der Text auf den ersten Blick zwar klar in Deutschland verhaftet zu sein, die Themen, die darin verhandelt werden, hätten in Österreich aber ebenso viel Relevanz, sind sich die beiden einig.

Auch an Aktualität haben sie seit dem Erscheinen der Erzählung im Jahr 1974 nicht verloren. Ganz im Gegenteil. „Ich habe bei dieser Arbeit sehr viel über das Gefühl von Enge nachgedacht. Darüber, wie es sich anfühlt, wenn man in einer Situation gefangen ist und keinen Ausweg mehr sieht“, so Rebecca Lindauer.

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Und Lola Klamroth fügt hinzu: „Für mich geht es auch darum, was passiert, wenn das eigene Bild nicht mehr mit jenem, das die Außenwelt von einem hat, übereinstimmt. Um diesen Kontrollverlust, der dann eintritt. Überhaupt erschien es uns in dieser Arbeit wichtiger, zu erzählen, wie all diese Dinge passieren, als uns darauf zu konzentrieren, was passiert.“

„Über die Gewalt von Schlagzeilen ist noch zu wenig bekannt“, schreibt Heinrich Böll in seinem zehn Jahre nach der Veröffentlichung seiner Erzählung verfassten Nachwort. Heute ist zwar sehr viel klarer, welch fatale Folgen mediale Hetze haben kann, allerdings gab es mit dem Aufkommen sozialer Medien plötzlich noch mehr Nährboden dafür. „Wir erleben das heute auf einem ganz anderen Niveau, aber die Mechanismen sind die gleichen – es werden gezielt Emotionen wie Neid oder Angst angesprochen. Zusätzlich gibt es diese große Lust an Sensation“, findet Rebecca Lindauer klare Worte.

Für Lola Klamroth hat Heinrich Böll mit seiner Erzählung auch eine starke Analyse des patriarchalen Systems geschrieben. Sie unterfüttert ihre Aussage folgendermaßen: „Dieses Buch erzählt von einer Frau, die geschieden ist und alleine lebt. Das war schon eine Ansage an die damalige Gesellschaft. Gleichzeitig macht sie diese Situation auch zum perfekten Ziel und sehr vulnerabel.“ Gerade weil ihre Lebensumstände nicht dem damaligen Zeitgeist entsprechen, sei sie aber auch sehr darum bemüht, zu gefallen und alles richtig zu machen, damit man ihr ja nichts ankreiden kann, ergänzt Rebecca Lindauer die Worte ihrer Kollegin.

Heinrich Böll hat mit dieser Erzählung eine starke Analyse des patriarchalen Systems geschrieben.

Lola Klamroth, Schauspielerin

Alle sind Katharina

Außergewöhnlich ist Bastian Krafts Inszenierung auch deshalb, weil Lola Klamroth, Rebecca Lindauer und Katharina Schmalenberg, die nach wie vor fest in Köln engagiert ist, nicht nur Katharina Blum, sondern auch alle anderen Rollen verkörpern. Zunächst begegnet man ihnen in Kurzhaarperücken, Anzügen und aufgeklebten Schnurrbärten – als Ermittler-Trio, das angetreten ist, den Fall der Katharina Blum nochmals aufzurollen. Dafür breiten sie alle vorhandenen Beweise und Akten vor sich auf einem Tisch aus. Ihr Vater habe sie in dem Kostüm und der aufwendigen Maske zunächst gar nicht erkannt, wirft Rebecca Lindauer lachend ein.

Nach und nach streifen die drei Spielerinnen jedoch ihre männlich konnotierten Kostümteile ab, um sich immer mehr in die titelgebende Hauptfigur zu verwandeln. Darüber hinaus gibt es – ähnlich wie bei Bastian Krafts „Zauberberg“-Inszenierung – eine Video-Ebene. Auf dieser stellen die drei Schauspielerinnen sämtliche in Bölls Text vorkommenden Männerfiguren dar. Auch jene, die der Autor eindeutig als patriarchal geprägte Supermachos gezeichnet hat. Lola Klamroth kann diesem Zugriff sehr viel abgewinnen.

„Es hat Spaß gemacht, sich so richtig in diese Klischeekiste reinzuwerfen“, hält sie fest.

Die Videos, die sie live auf der Bühne synchronisieren, hätten sie sehr früh im Probenprozess aufgenommen, erzählen die Schauspielerinnen. „Durch den frühen Aufnahmezeitpunkt und die Live- Synchronisation entsteht eine enge Form, in der es zwar auch Freiräume gibt, aus der man aber auch nicht rauskommt“, sagt die in Halle an der Saale geborene Rebecca Lindauer. Dadurch ergebe sich aber eine spannende Verbindung zu jener Enge, die auf inhaltlicher Ebene stattfindet, fügt sie hinzu.

Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Darum geht es in Heinrich Bölls Erzählung: Die geschiedene, allein lebende Katharina Blum verliebt sich in einen Mann, der wegen Mordes von der Polizei gesucht wird. Das gesamte Ausmaß seiner Tat kennt sie jedoch nicht. Die Verbindung fliegt auf, und Blum wird so lange von der Presse diffamiert, bis sie schließlich selbst mordet. Dass man ihr als Leser*in trotz ihrer Tat Empathie entgegenbringt, ist einer der faszinierendsten Aspekte dieser 1974 erschienenen Erzählung, die Böll später als „fast zu harmlos“ einstufte.

Foto: Andreas Jakwerth

Liebe zum Detail

„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ war Lola Klamroths erste Zusammenarbeit mit dem für seine formstarken Theaterabende bekannten Regisseur Bastian Kraft.

„Ich war von seiner Genauigkeit wie auch von seiner hochprofessionellen Arbeitsweise total fasziniert. Außerdem gab es nie einen lauten Ton“, so die Schauspielerin, die sich gerne auch auf sehr körperliche Weise in Rollen hineinwirft. Rebecca Lindauer stimmt ihrer Kollegin zu.

„Er ist sehr detailverliebt, und das bin ich auch. Weil er so viel Liebe und Aufmerksamkeit in kleine Dinge steckt, sind die ganzen Requisiten, das ganze Beweismaterial, das vor uns auf dem Tisch liegt, für mich total kostbar geworden. Es gibt einen Moment gegen Ende des Stücks, in dem mir immer total bewusst wird, dass wir gerade ein ganzes Leben vor uns ausgebreitet haben. Die Tatsache, dass Katharina Blums gesamtes Leben auf einen Tisch passt, empfinde ich jedes Mal als sehr berührend. Wie auch den Gedanken, dass sie, als sie nur einen Zentimeter mehr haben wollte, sofort fertiggemacht wurde.“

Ich habe in den Proben sehr viel über Enge nachgedacht. Darüber, wie es sich anfühlt, in einer Situation gefangen zu sein.

Rebecca Lindauer, Schauspielerin

„Look what you made me do“

Wie es sich anfühlt, wenn man so einen intensiven Abend, der zusätzlich auf einer richtig großen Bühne stattfindet, nur zu dritt stemmt, wollen wir noch von den beiden wissen. Es sei auf jeden Fall nicht so gewesen, dass Bastian Kraft von ihnen erwartet hätte, dass sie Katharina Blum auf haargenau dieselbe Weise spielen, erklären die beiden Spielerinnen.

„Spannend finde ich auch, dass es in dieser Produktion so viele Faktoren gibt, die wir als Spielerinnen nicht kontrollieren können. Weil ich aber weiß, dass ihr da seid, kann ich mich trotzdem total reinlehnen“, so die Antwort von Rebecca Lindauer, die ihre Kollegin nun von der Seite ansieht.

Eine Sache möchte Lola Klamroth in diesem Zusammenhang auch noch loswerden: „Nach etwa zwei Dritteln des Stücks performen wir den Song ‚Look what you made me do‘ von Taylor Swift, indem sie ja auch mit den Medien abrechnet .In dieser Choreografie gibt es einen Moment, in dem wir uns zu einer Art von Knäuel formieren und so richtig als Einheit auftreten. Für mich fühlt sich das immer wie eine Gruppenumarmung an.“

Zu Swifties sind die beiden Schauspielerinnen zwar noch immer nicht geworden, dafür sind sie erklärte Fans dieser Inszenierung. „Wir lieben sie wirklich sehr und sind deshalb total froh, sie hier weiterspielen zu dürfen“, so Klamroth.

Besuch von René Böll

Eigentlich das perfekte Schlusswort, wäre da nicht diese eine Sache, die Rebecca Lindauer noch gerne festhalten möchte:

„Heinrich Bölls Sohn, der immer noch in der Kölner Südstadt lebt, war bei der Premiere. Wir wissen auch, dass es ihm sehr gut gefallen hat. Ich war auch ein bisschen aufgeregt, als ich gehört habe, dass er kommt."

Stefan Bachmann

Von der Burg zur Luftburg

Stefan Bachmann ist nicht nur Direktor des Burgtheaters, sondern auch Regisseur und leidenschaftlicher Gärtner. Sein nächstes Ziel: den Golfrasen rund ums Burgtheater ein bisschen aufzulockern. In Sachen Stimmung ist ihm das bereits gelungen. Weiterlesen...

Zeit, aufzubrechen. Lola Klamroth und Rebecca Lindauer haben am Abend noch eine Vorstellung des „Revisors“ im Akademietheater zu spielen. Wir freuen uns schon darauf, sie beim nächsten Zusammentreffen nicht mit Zeitungen, sondern mit vielen wohlwollenden Worten zu bewerfen. Die Premiere der „Katharina Blum“ am 13. September ist mit Sicherheit ein geeigneter Zeitpunkt dafür.

Nun verabschieden wir uns tatsächlich. Rebecca Lindauer schaut noch in der Kantine vorbei, und Lola Klamroth schwingt sich auf ihr Fahrrad. Wir halten ihr die Daumen, dass sie ohne weitere Ladung Wiener Grant an ihr Ziel kommt.

Hier zu den Spielterminen von Die verlorene Ehre der Katharina Blum im Burgtheater!