Diese Woche ist noch schlimm, aber nächste wird alles besser. Es gibt wohl kaum einen Ort, der besser geeignet ist, um über eine der wirkmächtigsten Lügen menschlichen Daseins zu sprechen, als den größten Illusionskasten der Stadt. „Das Geheimnis liegt darin, sich diesen Satz selbst zu glauben“, ist Stefan Bachmann überzeugt. Und er muss es ja wissen, schließlich ist er als Theaterregisseur und Direktor ebenjenes Kastens absoluter Illusionsexperte. Er lacht. Gerade steckt der gebürtige Schweizer wieder mitten in diesem selbst erbauten Lügengebäude – in der fast theatralen Verabredung mit sich selbst, dass diese nächste Woche, in der alles besser wird, tatsächlich irgendwann kommt. Am Tag unseres Treffens hat er gerade die Generalprobe für „Die Wurzel aus Sein“ hinter sich gebracht, am Abend findet die Premiere von „­Elisabeth!“ im großen Haus statt. Zwischen Interview und Premiere müsse er noch kurz nach Hause, um sich umzuziehen, merkt er an. Am Burgtheater ist eben immer etwas los – und dieses „Immer“ ist durchaus wörtlich zu verstehen. Über die sogenannte Spielverpflichtung werden wir aber etwas später noch genauer sprechen. Jetzt geht es erst einmal rauf aufs Dach des Burgtheaters – zum historischen Blasengel, der den Theaterorganismus mit Frischluft versorgt. Das passt auch deshalb ganz gut, weil es Bachmann von Anfang an wichtig war, die BURG zu einem Ort zu machen, der Gegenwart atmet – der gierig aufsaugt, was gerade in der Stadt in der Luft liegt.

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Hört man sich ein bisschen in der Stadt um, entsteht tatsächlich der Eindruck, dass seit dieser Spielzeit ein frischer Wind durchs Burgtheater weht, der das Haus mit einer gewissen Leichtigkeit erfüllt. Und momentan womöglich auch mit ein paar Birkenpollen. Er hätte gedacht, dass es ein bisschen länger dauern würde, bis sich der Wind in Sachen Stimmung tatsächlich dreht, so Bachmann. „Das Haus hat mich sehr offen, warm­herzig und neugierig empfangen“, erinnert er sich an die ersten Wochen zurück. „Das kann man nicht verordnen oder auf Knopfdruck herstellen, weil es natürlich auch von der Bereitschaft der Menschen abhängt, diesen Weg mitzugehen. Und die war definitiv gegeben. Insgesamt glaube ich, dass die Aura eines Hauses von innen nach außen strahlt – dass man es auch im Zuschauerraum spürt, wenn etwas aus Überzeugung und mit Freude gemacht wird.“

Stefan Bachmann
Die Ruhe vor dem Sturm. Stefan Bachmann auf der Feststiege des Burgtheaters. Der ­Direktor kommt gerade von der Generalprobe von „Die Wurzel aus Sein“. Nachmittags ist das Theater noch ziemlich leer.

Foto: Marcel Urlaub

Faszinierend effizient

Wir sitzen mittlerweile im eher spärlich eingerichteten Büro des Direktors, der trotz des intensiven Premierenwochenendes ziemlich entspannt und besonnen wirkt. Den großen Raum mit Terrasse in Richtung Volksgarten, das ehemalige Direktionsbüro, hat er aufgegeben und in einen Gemeinschaftsraum umgewandelt. Die besagte Außenfläche würde er gerne begrünen, allerdings mache ihm die Statik diesbezüglich ein wenig einen Strich durch die Rechnung. „Wenn man einmal Gärtner war, kann man das schwer wieder ablegen“, sagt Stefan Bachmann lachend und spielt damit auf den Garten an, den er und sein Team am Gelände seiner ehemaligen Wirkungsstätte – des Schauspiels Köln – in liebevoller Arbeit angelegt haben.

Statik ist aber ohnehin ein gutes Stichwort, denn solchen Kästen wie dem Burgtheater wird gemeinhin ja eine gewisse Unbeweglichkeit zugeschrieben. Wobei das aber nicht bedeutet, dass man die Erde, auf der es steht, nicht ein bisschen auflockern kann. „Natürlich ist es so, dass das Burgtheater ein riesengroßer Dampfer ist, der in einer bestimmten Fahrrinne fährt. Das macht jede Kursänderung herausfordernd. Zusätzlich gibt es bestimmte Auflagen, wie beispielsweise das Gesetz, dass man jeden Abend spielen muss“, hält Bachmann mit ruhiger Stimme fest. „Das führt unter anderem dazu, dass man diesen Apparat gnadenlos effizient bedienen muss. Dadurch ergeben sich unter anderem ganz andere Endprobenbedingungen, als ich das beispielsweise aus Köln gewohnt war. Genau das finde ich aber auch unglaublich faszinierend, denn der Betrieb hat das über lange Zeit gelernt und funktioniert deshalb auch besonders gut.“ Achtung Klischee: Möglicherweise hat auch die Schweizer Herkunft des neuen BURG-Direktors etwas damit zu tun, dass er in der Effizienz eine faszinierende Qualität erkennt.

Der Betrieb funktioniert aber auch deshalb so gut, weil es am Burgtheater eine Besatzung gibt, die mit keiner anderen vergleichbar ist, und ein Ensemble, das aus Spieler*innen besteht, „die in der Lage sind, auch in kurzer Zeit mit ihrer Kunst auf den Punkt zu kommen“. Gleichzeitig ist es Stefan Bachmanns Bestreben, den Druck, der dadurch auf dem Burgtheater lastet, ein bisschen wegzunehmen. „Die Tatsache, dass man jeden Abend so viele Plätze zu füllen hat, sollte keinesfalls dazu führen, dass man eng wird oder sich nicht mehr traut, Dinge auszuprobieren. Kunst darf immer auch scheitern. Diese Freiheit gilt es unbedingt zu schützen.“

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„Wien liebt seine Schauspieler*innen. Warum sollte ich an dieser Liebe vorbeiproduzieren?“

Stefan Bachmann

Theaterliebe als Weltkulturerbe

Über die Stücke der kommenden Spielzeit darf Stefan Bachmann zum Zeitpunkt des Gesprächs noch nichts verraten – fix ist jedoch, dass er auch weiterhin ein Panorama aufspannen möchte, ohne dabei in die Beliebigkeit abzurutschen. Starre Dogmen stünden der angestrebten Luftigkeit auch eher entgegen. „Wir machen hier kein Konzepttheater, sondern wollen Stoffe und Stücke anbieten, die wir für relevant, interessant, komplex und auch unterhaltsam erachten. Und die wir mit herausragenden Spieler*innen auf die Bühne bringen.“

Denn eine Sache war Stefan Bachmann bereits klar, bevor er in Köln seine Umzugskisten zuklebte: Wien liebt seine Schauspieler*innen. „Es wäre also alles andere als schlau, an dieser Liebe vorbeizuproduzieren“, so Bachmann. „Jetzt müssen wir natürlich schauen, dass es auch neue Stars gibt, dass auch andere Spieler*innen in ihrer Qualität gesehen werden. Aber das geht natürlich nicht von heute auf morgen.“

Die Gelassenheit, die Bachmann auch bei solchen Themen an den Tag legt, lässt vermuten, dass er die wienerische ­Einstellung des gepflegten „Schau ma mal“ zu gewissen Teilen bereits internalisiert hat. Zumindest ein „bissl“ – Bachmann spricht die Kurzform von „ein bisschen“ mit schön weichem „s“ aus.

Von der Bösartigkeit, die den Hauptstadtbewohner*innen typischerweise zugeschrieben wird, hätte er im Übrigen noch nicht allzu viel mitbekommen. Ein bissl was, wenn überhaupt. „Seit ich hier bin, habe ich sehr viel Offenheit, Neugierde und Freundlichkeit erlebt. Ehrliche Freundlichkeit, nicht nur diesen Gesellschaftsschleim, den es natürlich auch gibt“, so Bachmann. „Aber vielleicht kommt das noch“, fügt er lachend hinzu. Es stünde auf jeden Fall außer Frage, dass das Theater den Menschen in Wien in den Genen steckt, hält er fest. „Das ist wirklich einzigartig, eigentlich müsste man das als immaterielles Weltkulturerbe anerkennen.“

Mit zunehmendem Alter sei es ihm außerdem immer wichtiger geworden, Theater für die jeweilige Stadt zu machen, in der er arbeitet. „Als junger Künstler neigt man stärker dazu, einfach Dinge auszuprobieren, die einen selbst interessieren – und wenn es sonst niemand interessant findet, dann ist das halt so. Jetzt fühle ich mich eher am anderen Ende dieses Weges zu Hause. Auch deshalb, weil ich glaube, dass es zu den Kernaufgaben der BURG gehört, sich einem möglichst breiten Publikum zu öffnen. Wäre ich Intendant eines anderen Hauses, würde ich vermutlich anders über Theater sprechen und mir ein anderes Konzept überlegen.“

Stefan Bachmann
Im Bühnenbild von „Elisabeth!“. Wir treffen Stefan Bachmann, wenige Stunden bevor ­Stefanie Reins­perger eine Sisi auf die Bühne zaubert, wie sie Wien ­garantiert noch nie gesehen hat.

Foto: Marcel Urlaub

Die Poesie gehört dem Theater

Welche Entscheidung, das Programm betreffend, sei denn die mutigste in dieser Spielzeit gewesen, wollen wir noch von Bachmann wissen. Er überlegt einen Moment lang und antwortet: „Das Stück ‚Akins Traum‘ von Köln nach Wien zu holen. Der Autor (Akın Emanuel Şipal, Anm.) ist in Wien nicht sehr bekannt, und auch viele Spieler*innen des Ensembles kennt man hier nicht. In Köln haben sie uns die Bude eingerannt, hier lassen sie uns fast alleine damit.“ Dabei gehöre das Stück, in dem die Geschichte des Osmanischen Reichs aufgerollt wird, unbedingt ins Zentrum Wiens, so Bachmann, der die kalte Schulter des Wiener Publikums als Aufforderung versteht, genau da weiterzumachen.

Schon öfter hat der Regisseur und Direktor in Interviews betont, dass die Weltpolitik dem Theater gerade den Rang abläuft. Die Antwort dürfe aber dennoch nicht sein, nur noch Recherche- und Dokumentartheater zu machen, findet Bachmann. „Man darf das Reich der Poesie nicht den Lügnern, Kapitalisten und Faschisten überlassen. Und es ist ein riesengroßer Unterschied, ob Richard III. auf die Weltbühne losgelassen wird oder ob er auf einer Bretterbühne steht.“

Ein großer Unterschied liegt auch zwischen den beiden Funktionen, die er am Burgtheater innehat. „Wichtig ist, sich dessen bewusst zu sein, dann wird es auch von außen weniger ver­wechselt“, hält er fest. Als Regisseur gehöre es außerdem dazu, nicht zu wissen, wie es im Moment weitergeht – als Direktor sei das hingegen ganz anders. „Eine Probe ist im besten Fall nicht seriös, sondern kreativ und spielerisch“, bringt er die Sache auf den Punkt.

Eines ist sicher: Beide Rollen musste er sich hart erarbeiten. „Es gibt nichts geschenkt, das habe ich schmerzhaft begriffen. Man kommt weder als Regisseur noch als Direktor auf die Welt. Wer das denkt, begeht einen großen Irrtum.“

Stefan Bachmann muss los. Am Weg hinunter treffen wir Stefanie Reinsperger und noch ein paar andere Menschen, die den Laden auf Betriebstemperatur halten. Dass die – wie auch schon am Schauspiel Köln – konstant hoch zu sein scheint, ist für eine Burg schon ziemlich ungewöhnlich. Liegt vielleicht an dem für diese Jahreszeit typischen Föhn, vielleicht aber auch an all dem frischen Wind.

Zu den Premieren der Spielzeit 2025/26 in der BURG!