In Michael Horowitz’ wunderbarer Biografie über den genialen Sprachakrobaten H.C. Artmann erzählt er die Geschichte von einer Staatspreis-Überreichung 1974, exekutiert vom damaligen Unterrichtsminister Fred Sinowatz. Das damals beträchtliche Preisgeld wurde nahezu gänzlich in Orchideenirrsinn umgesetzt, man fuhr damit in einem Klüngel auf den Hernalser Friedhof zum Grab von Konrad Bayer, einem Herzstück der Wiener Gruppe, und schrie vereint vor der Ruhestätte des freiwillig aus dem Leben Geschiedenen: „Kräul auße, du Oaschloch!“

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Genau solche Geschichten, egal ob wahr oder erfunden, machen Wien zu einer der lebenswertesten Städte der Welt. In Wien, so erzählt uns die Statistik, gibt es mehr Selbstmörder als Verkehrstote. Und nirgendwo sonst hat die Sprachheimat so viele verbale Facetten für den Abgang aus freien Stücken anzubieten. Das schönste Bild dafür ist „si hamdrahn“. Der „hamdrahte“ Bayer und der Artmann haben mit ihren Werken kostbare Weichenstellungsvorarbeit geleistet: Bayer begründete quasi postum den Austropop – denn die Worried Men Skiffle Group stürmte 1970 mit der Vertonung seines Gedichts die Hitparade, das mit den Worten begann: „Glaubst i bin bled, dass i waß, wia späd’s is / Glaubst i bin bled, dass i hea, wos du sogst…“ Und Artmann hatte den Wiener Dialekt bereits 1958 am Germanisten-Snobismus vorbeigeschmuggelt und mit der Publikation „med ana schwoazzn dintn“ in die literarische Salonfähigkeit überführt. Jetzt beatmet André Heller, flankiert von Ernst Molden und Ursula Strauss, die beide mit ihren Wienerlieder-Abenden (hören Sie sich auf YouTube den Song „Jessasmaria“ an) seit geraumer Zeit die Herzfunken zum Sprühen bringen, das lange Zeit stillgelegte Theater in der Walfischgasse in Wurfweite der Kärntner Straße.

Der Schmäh muss rennen

Mit der Eröffnungsshow „Remassuri“, einem Wienerlied-Klangbogen-Spektakel vom „Lieben Augustin“ bis hin zu Falco, hofft man, auch jene Menschen ins Theater zu locken, die ansonsten den mit Mozartperücken versehenen Touri-Keilern in die Falle gingen. Die weitere Programmgestaltung erweckt den Eindruck einer gewissen Situationselastizität oder auf gut Wienerisch: „Nix Genaues weiß man noch nicht.“ Variante B: „Schau ma amol, dann wern ma scho sehn.“ So oder so: In jedem Fall ist unter der Ägide der Formation Strauss/Heller/Molden mit einem verlässlichen Sensorium für qualitativ hochwertig Schräges und Poetisches zu rechnen, gepaart mit einer Entdeckungslibido für Neues und Innovatives. Die Herren Heller und Qualtinger haben mit der fantastisch abgründigen Plattenaufnahme „Heurige und gestrige Lieder“, auf der sie das Rührende an Krüppeln und ein Wien, das wie ein „Taschenfeitl“ ist, besingen, de facto der klassischen Wiener Gemütslage und der sie begleitenden Sprachgewalt ein Denkmal gesetzt. Die schreckliche Schönheit des Wienerischen nährt sich vor allem aus folgenden Zutaten: der Bildgewaltigkeit, der Ungenauigkeit, der Verniedlichung des Bösen, der Dauerbereitschaft zum großen Gejammer und dem „Schmäh“.

Ohne Letztgenannten geht gar nix. Der Schmäh muss natürlich „ständig rennen“, „wuascht“ wo, weil sonst „das Gespräch einfriert, die Engel in den Raum treten und die Klammheit eines Wartezimmers ausbricht“, so der Wiener Satiriker Karl Ferdinand Kratzl. Für solche, denen die produktive, mit Zynismus aufgeladene Reibungsfähigkeit abhandenkommt, denen also „da Schmäh ausgeht“, haben die „Schmähtandler“ Vernichtungsurteile wie „Du hast an Schmäh wia a Lebenslänglicha“. Möge die Beatmungsübung gelingen!

Ilia Staple

Ilia Staple: Schmäh trifft Stimme

Als Papagena hatte Ilia Staple die Lacher auf ihrer Seite. Nun gibt sie in „Arabella“ die naturgewaltige Fiakermilli. Die Linzer Sopranistin ist neu in der Juwelenschatulle der Staatsoper. Unprätentiös, feinfühlig, überzeugend. Weiterlesen...