Ein Haus ist ein Haus. Und große Fenster sind eben große Fenster, und ein düsteres Haus mit großen Fenstern ist und so weiter und so fort. Trotzdem würde es nicht wundern, wenn die Macher des Musicals „Rebecca“ (Premiere 2006) irgendwann einmal in einer Vorstellung von Luc Bondys „Salome“ (Premiere 1992) gesessen wären. Vielleicht ist alles nur Einbildung, und egal ist es sowieso. Denn das Wesentliche ist: Eine der legendärsten Inszenierungen von Richard Strauss’ „Salome“ kommt endlich nach Wien.

Anzeige
Anzeige

1992 feierte das Stück Premiere bei den Salzburger Festspielen. 2007 wurde es dann vom – 2015 mit nur 67 Jahren verstorbenen – Regie-Großmeister Luc Bondy für die Mailänder Scala neu überarbeitet. Es ist eine Regiearbeit, die mit ihrer klaustrophobischen Dichte perfekt auf die Bühne der Volksoper passt. Die Neueinstudierung an der Volksoper übernimmt nun Luc Bondys Witwe, die Regisseurin Marie-Louise Bischofberger-Bondy.

„Luc hat die ‚Salome‘ wie eine Netflix-Serie inszeniert: eine kleine Familie mit großen Problemen.“ Omer Meir Wellber, der Dirigent, lächelt.

Zur Person: „Salome“ von Luc Bondy

Luc Bondys Inszenierung ist ein Regieklassiker: Nach der Premiere bei den Salzburger Festspielen 1992 von der Kritik gefeiert, wurde sie später unter anderem am Londoner Royal Opera House, am Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel sowie an der Mailänder Scala gezeigt. Unter der musikalischen Leitung von Omer Meir Wellber erfährt Luc Bondys Inszenierung nun auch ihre Wien-Premiere.

Zweimal hat der Musikdirektor des rosa Hauses am Gürtel mit Bondy gearbeitet. „Bei einer Arbeit war er so krank, dass Bondy vom Bett aus die Regie gemacht hat, und zuletzt wollte er mich für ein Projekt im Théâtre de l’Odéon in Paris haben, aber daraus wurde leider nichts mehr.“

Dem Kunstmäzen und engen Bondy-Freund Martin Schlaff ist es zu verdanken, dass das Werk in der Volksoper auf die Bühne kommt (Bühne 5/23): „Ich habe zu Omer gesagt: ‚Warum machst du das nicht? Probier’s doch. Es wäre eine Hommage an Luc Bondy, der ein enger Freund von mir war.‘ Das war mir emotional ein Anliegen. Und die haben es gemacht. Sie haben mich angerufen – und ich unterstütze das.“

Es ist jeder Sängerin ein wenig peinlich – aber es muss so sein. Strauss hat es genau so und mit voller Absicht komponiert. Das ist fantastisch – es ist ein brutales Aufeinandertreffen von Realität und Theater.

Omer Meir Wellber, Musikdirektor der Volksoper
Anzeige
Anzeige

Ganz unriskant wirkt das Vorhaben nicht: Vor wenigen Monaten – im April – feierte die Neuinszenierung der „Salome“ an der Staatsoper eine fulminante Premiere. Omer Meir Wellber: „Kann man je genug ‚Salomes‘ gesehen haben? Was ich aber besonders spannend an unserer ‚Salome‘ an der Volksoper finde, ist, dass das Volksopernorchester einen an der Operette geschulten, ganz eigenen Groove hat – und auch einen Sinn für Humor, der sehr gut zu den zynischen Aspekten der Partitur und den Tänzen von Salome passt. Und dann ist da noch die trockene Akustik des Hauses, die dabei hilft, Details in der Partitur herauszuhören, die man so noch nie gehört hat.“

So wird der Schleiertanz

Und der Schleiertanz? An kaum einer Instrumentalstelle der Opernwelt sind so viele Freundschaften zerbrochen, wurde so viel diskutiert und gestritten. Luc Bondy macht es sehr klassisch: Salome tanzt langsam eine Rampe herunter, das Gesicht von einem weißen Schleier verhüllt. Erst nach geschätzten zwei Minuten fällt der Schleier.

Herodias versucht währenddessen, Herodes davon abzuhalten, sich Salome zu nähern. Doch dann beginnt zwischen Salome und ihrem Stiefvater ein (erotischer?) Tanz mit einem meterlangen Tuch. Einmal wickelt Salome Herodes ein, lässt ihn näherkommen, dann stößt sie ihn weg. Am Ende läuft sie von der Bühne, er ihr – lüstern – nach.

Omeir Meir Wellber
Unter der musikalischen Leitung von Omer Meir Wellber erfährt Luc Bondys Inszenierung nun auch ihre Wien-Premiere.

Foto: Hilde van Mas

Bondy, der Meister des Timings

Omer Meir Wellber: „Luc war ein Meister der Spannung, und er hat etwas Wesentliches der Oper verstanden und für sich genutzt: Im Gegensatz zum Sprechtheater ist das Timing durch den Komponisten vorgegeben. Luc hat das gewusst und für seine Geschichten trotzdem Platz geschaffen. Das können nicht viele Opernregisseure.“

Den Autor dieser Zeilen erfasst beim Schleiertanz jedes Mal tiefstes Mitleid mit den betroffenen Sängerinnen. Für andere wiederum ist es pure Erotik.

Die allererste Salome, Marie Wittich, etwa weigerte sich zu tanzen und wurde gedoubelt. Maria Ewing – eine durchaus exzentrische amerikanische Sopranistin – trug sieben Kleider zu Beginn, eins nach dem anderen zog sie aus. Am Ende war sie nackt. „Ist der Schleiertanz nicht irgendwie peinlich?“, fragen wir Omer Meir Wellber.

Wieder einmal lächelt er verschmitzt: „Normalerweise kann eine Sängerin nicht tanzen. Während sie singt, ist sie in der Safe Zone – und dann kommen acht Minuten, in denen es ein wenig ungemütlich wird, wo sie in einem Bereich gefordert wird, in dem sie sich einfach nicht so sicher fühlen kann. Es ist jeder Sängerin ein wenig peinlich – aber es muss so sein. Strauss hat es genau so und mit voller Absicht komponiert. Das ist fantastisch – es ist ein brutales Aufeinandertreffen von Realität und Theater.“

Das Geheimnis der Noten

Der Dirigent ist mit dem Orchester bereits in den Proben. Beschäftigt sich mit den Feinheiten und Geheimnissen der Partitur. Es gibt da diese Stelle, „in der Cello und Kontrabass genau dieselbe Musik spielen. Ba, ba, ba, ba. Und beim letzten ‚Ba‘ ist es für den Kontrabass ein Es und für die Cellos ein E. Es gibt Theater, die haben das korrigiert, weil es irgendwie komisch klingt. Aber genau das wollte Strauss. Ich habe eine Karl-Böhm-Partitur in Dresden gesehen, in denen Strauss mit grünem Stift Anmerkungen gemacht und Dinge korrigiert hat – aber nicht diese Stelle. Ich glaube nicht an Fehler, daher werden wir es so spielen, wie es Strauss wollte.“

Und wie schwierig ist es, Inzest zu dirigieren? Omer Meir Wellber, der gerne Antworten in Geschichten verpackt, lehnt sich zurück: „Ich habe eine ‚Salome‘ in Japan dirigiert, dort ist die Gesellschaft sehr fetischistisch. Trotzdem spürte man bei jeder Vorstellung den Schock des Publikums. Und am Ende applaudierte zuerst niemand. Dann – nach vielen Sekunden – hörte man erstes Klatschen, und dann brandete der Applaus auf.“ Letzteres wird auch in Wien so sein.

Zur Person: Omer Meir Wellber

ist in Be’er Scheva, Israel, am Rande der ­Negev-Wüste aufgewachsen. Als Kind ­lernte er Geige, Akkordeon und Klavier. Er ist Musikdirektor des Teatro Massimo in Palermo. Seit 2022 ist er Musikdirektor der Volksoper, ab September 2025 wird er Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper.