„I lass‘ mir mein‘ Aberglaub’n durch ka Aufklärung raub’n“ lautet der wohl berühmteste Satz aus Nestroys 1849 entstandener Posse „Höllenangst“. Obwohl seit der Uraufführung des Stücks rund 200 Jahre vergangen sind, könnte diese Aussage des Wendelin kaum besser in unsere heutige Zeit passen. Zu diesem Schluss kam auch der Theatermacher Bernd Liepold-Mosser, der Nestroys Stück für das TAG einer Überschreibung unterzog – in der es, ganz in Nestroys Sinne, drunter und drüber geht. „Das Stück stellt für mich einen direkten Bezug zu jenen Themen her, die uns aktuell in der digitalen Öffentlichkeit umgeben“, sagt der Autor und Regisseur.

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Dazu gehören für ihn unter anderem Phänomene wie die Verbreitung von Fake News und Verschwörungstheorien, aber auch die Existenz von Filterblasen. Liepold-Mosser verlagert das Geschehen rund um Wendelins missverstandenen Teufelsglauben in die Gegenwart, bedient sich auch sprachlich eines Idioms, das den meisten Menschen aus diversen Social Media-Plattformen geläufig sein dürfte. Wie damals schon Nestroy möchte auch der in Kärnten geborene Regisseur einen eigenen sprachlichen Kosmos bauen, innerhalb dessen sich die Figuren über ihre Probleme und Gefühle austauschen. „Alle Dinge, die zu sagen sind, können nur mithilfe dieses spezifischen, aus der Social-Media-Welt entlehnten Vokabulars ausgesprochen werden“, bringt es Bernd Liepold-Mosser auf den Punkt.

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Humor als erste Rettung

Auch die Höllenängste unserer Zeit haben für den Theatermacher viel mit der digitalen Welt zu tun. „Es ist eine Art von Parallelwelt, bei der man nie weiß, mit welchen Nachrichten man im nächsten Moment konfrontiert ist. Bei realen Begegnungen ist das anders. Beispielsweise ist relativ unwahrscheinlich, dass hier, während dieses Gesprächs, aus dem Nichts etwas Arges passiert“, sagt Bernd Liepold-Mosser und lacht. Wir sitzen im Café Jelinek in der Otto-Bauer-Gasse, nach dem Gespräch muss er gleich weiter zur Probe ins TAG. Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Mein Eindruck ist, dass wir in unserem spätkapitalistischen, digitalen Universum von permanenter Verunsicherung umgegeben sind. Unsere Zeit zeigt, dass Geschichte keine Bewegung ist, sondern in schockartigen Brüchen stattfindet. Aufgrund dieser disruptiven Zustände ist das Gefühl, dass jederzeit etwas Einschneidendes passieren kann, zu einer Art Normalzustand geworden.“

Dass sich Bernd Liepold-Mosser dazu entschieden hat, in seiner Nestroy-Überschreibung die Höllenängste unserer Zeit freizulegen, bedeutet jedoch keineswegs, dass es der Inszenierung an Humor fehlt. Ganz im Gegenteil. „Meine Überzeugung ist, dass Humor nicht die letzte, sondern die erste Rettung ist“, hält er lachend fest. Fundamentalismus, egal ob politisch oder religiös motiviert, ist für den Theatermacher konzeptuelle Humorlosigkeit. „In dem Sinne, dass Fundamentalist*innen nicht in der Lage sind, über sich selbst zu lachen. Ironie bedeutet ja auch, von sich selbst Abstand zu nehmen und die Dinge zu relativieren“, so Liepold-Mosser. Es auszuhalten, dass sich die Welt nicht mit einfachen Mitteln erklären lässt, sei eine große Aufgabe – bei der Humor jedoch helfen könne, ist er überzeugt. Nestroy hätte ihm mit Sicherheit zugestimmt.

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Pop und Politik

Auch bei „Höllenangst“ darf Bernd Liepold-Mosser, der für seine (pop-)musikalischen Inszenierungen bekannt ist, wieder auf hochkarätige Unterstützung aus der österreichischen Musikszene zählen. Oliver Welter, Frontman der Band Naked Lunch, hat für die Produktion nicht nur sieben Songs geschrieben, sondern wird die Inszenierung auch als Live-Musiker begleiten. „Wir haben versucht, spezifische Themen, die in Zusammenhang mit dem Stück interessant sein könnten, herauszuarbeiten und in Songs zu verpacken“, erklärt er. In Bezug auf die für Nestroys Werk so wichtigen Couplets war ihm von Anfang an klar, dass er die Dialoge keinesfalls rustikal oder patiniert interpretieren möchte, um dann die Couplets dafür zu nutzen, kabarettistische Kommentare zur Gegenwart abzugeben. „Das erschien mir einfach zu platt“, fasst er zusammen. 

Neben der popmusikalischen Prägung seiner Stücke spielt für ihn auch die politische Dimension eine wesentliche Rolle. „Ich verstehe das Theater durchaus als politisches Medium. Als bloße Form der Unterhaltung hat es für mich keine Berechtigung“, hält er in der für ihn typischen Klarheit fest. Etwas tiefer liegende Schichten und Zusammenhänge freizulegen und dabei Fragen zur Gegenwart aufzuwerfen, seien für ihn wichtige Anreize. Auf formaler, handwerklicher Ebene würde ihn außerdem die Suche nach Innovation antreiben, fügt er hinzu. „Lieber habe ich etwas, das scheitert, bei dem aber etwas aufs Spiel gesetzt wurde.“

Keine Klischees

Eigentlich ein perfekter Schlusssatz. Doch der Theatermacher möchte, bevor er ins TAG aufbricht, noch etwas zur Inszenierung sagen: „Mir war es wichtig, die Frauenfiguren aus dem Gefängnis des Klischees zu befreien. Außerdem haben wir die wohl berühmteste Rolle aus dem Stück, die des Schusters Pfrim gestrichen.“ Bevor er zu einer Erklärung ansetzt, entkommt ihm noch ein schelmisches Lächeln. „Pfrim ist zwar die Nestroy-Figur schlechthin, allerdings hat es mir nicht gefallen, dass er immer betrunken auf die Bühne kommt und dann irgendwelche Wahrheiten lallt. Ich finde, man soll die Wahrheit nicht betrunken sagen müssen. Also haben wir die Figur mit der Figur seiner Frau zusammengelegt und haben es nun mit einer Alleinerziehenden zu tun, die uns ihre Wahrheiten im hellwachen Zustand der Erregung erzählt.“

Zur Person: Bernd Liepold-Mosser

Geboren 1968 in Griffen, Studium der Philosophie, Germanistik und Soziologie in Wien und Klagenfurt. Promotion 1993. International tätiger Regisseur, Autor, Produzent und Ausstellungsmacher. Zahlreiche Projekte und Inszenierungen u.a. am Stadttheater Heidelberg, Oldenburgisches Staatstheater, Düsseldorfer Schauspielhaus, Stadttheater Klagenfurt, Theater Regensburg, Landestheater Vorarlberg, TAG Wien und dem Werk X. Gründungsintendant des Klagenfurt Festival.

Zu den Spielterminen von „Höllenangst“ im TAG!