Als Kollektiv seien sie auf sehr organische Weise gewachsen, erzählt Marco Donnarumma, Gründungsmitglied der interdisziplinär arbeitenden Performancegruppe Fronte Vacuo. Aus unterschiedlichen Kunstsparten kommend, reicherten Andrea Familari, Margherita Pevere und Marco Donnarumma zunächst die Projekte der jeweils anderen mit ihren Ideen an, bevor sie sich 2019 dazu entschieden, als Kollektiv gemeinsam weiterzuarbeiten. Die Vorstellung, mit der Hilfe anderer über sich selbst hinauszuwachsen, gehört somit zu den künstlerischen Prämissen von Fronte Vacuo.

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Der Nährboden, auf dem das passiert, ist in diesem und dem nächsten Jahr das Wiener Volkstheater. So lange ist das Theater am Arthur-Schnitzer-Platz die künstlerische Heimat des eigentlich in Berlin ansässigen Kollektivs, zu dem auch die Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Cingi gehört. Im Rahmen der von Fronte Vacuo erdachten Saga „Humane Methods“ entwickeln sie „[6XXX6]“, d. h. „Six Movements for Six Spaces“ – sechs genreübergreifende Stücke, die sich mit dem Verhältnis von Mensch und Maschine beschäftigen.

Weder Utopie noch Dystopie

Wer sich gemeinsam mit Fronte Vacuo auf diese sechsteilige Reise begibt, wird nicht nur die Arbeit des Kollektivs besser kennenlernen, sondern auch das Volkstheater – jede der Performances findet in einem anderen Bereich des Theaters statt. Zwei Teile – „#1 δISSOLUTION: The Oracle“ und „#2 ¦MPOSSIBILITY: The Kernel“ – wurden bereits gezeigt, am 19. Mai öffnen sich mit „#3 R∄SOLUTION: Die Tagung“ in der Dunkelkammer die Türen zu einem weiteren Abschnitt der Welt von „Humane Methods [6XXX6]“. In all die verschiedenen Teile des Theaterkörpers vorzudringen sei ein großer Reiz, sind sich Andrea Familari, Margherita Pevere, Marco Donnarumma und Anna Cingi einig. „Als Artists in Residence haben wir die Möglichkeit, unserer Erzählung Raum zu geben und unsere Ideen weiterzuentwickeln“, hält Margherita Pevere fest. „Bei unseren oft sehr ambitionierten künstlerischen Visionen wurden wir hier bisher immer toll unterstützt“, fügt Anna Cingi hinzu.

Unser Interview findet genau einen Tag nach der letzten Vorstellung von „#2 ¦MPOSSIBILITY: The Kernel“ statt. Im Weißen Salon des Volkstheaters ist das Bühnenbild noch aufgebaut. Auch der blassrosa Pilz, den Margherita Pevere für die Performance gezüchtet hat, thront immer noch auf einer mit Stoffen befüllten Box. Lebendige Organismen bevölkern die immersiven Theaterwelten von Fronte Vacuo ebenso wie KI-Systeme und Roboter. Sie seien nicht angetreten, um aufzuzeigen, wie unsere Welt in Zukunft aussehen wird, betont Marco Donnarumma. Viel mehr als Utopie oder Dystopie sei die Welt von „Humane Methods“ eine Form von Paralleluniversum, die von menschlichen und nicht menschlichen Gestalten bevölkert ist.

„Es ist uns wichtig, auf die Probleme, mit denen wir durch technologische Entwicklungen, aber auch durch die fortschreitende Ausbeutung der Natur konfrontiert sind, hinzuweisen. Wir sehen es aber nicht als unsere Aufgabe, Antworten zu liefern“, hält Andrea Familari fest. Marco Donnarumma nickt und fügt hinzu: „Obwohl wir überaus kritische und politische Menschen sind, ist Kunst für uns kein Ventil, um Wahrheit zu transportieren. Unsere Projekte sind dazu da, auf einer sinnlichen und ästhetischen Ebene an diese komplexen Themen anzudocken. Uns interessiert die poetische Auseinandersetzung.“

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Unsere Arbeiten konfrontieren die Menschen damit, dass sie nicht alles sehen und daher auch nicht alles wissen können.

Marco Donnarumma, Gründungsmitglied von Fronte Vacuo

Kontinuität ohne Linearität

Die sechs Arbeiten, die im Rahmen der Residency entstehen, seien zwar alle miteinander verbunden, allerdings nicht auf lineare Weise, erklärt Andrea Familari. „Wir versuchen, eine gewisse Kontinuität herzustellen, bedienen uns dabei aber keiner linearen Erzählweise, wie man sie etwa von Netflix kennt“, ergänzt Marco Donnarumma. „Was nicht bedeutet, dass wir das schlecht finden“, fügt Margherita Pevere lachend hinzu. Die Kontinuität findet vor allem über die Charaktere statt. Auch im dritten Teil der Reihe wird es die eine oder andere erneute Begegnung mit bereits bekannten Figuren geben.

Fronte Vacuo
Szenenfoto von HUMANE METHODS #2 ¦IMPOSSIBILITY: The Kernel im Weißen Salon.

Foto: Nikolaus Ostermann

Worum es in „#3 R∄SOLUTION: Die Tagung“ gehen wird, möchten wir von Fronte Vacuo wissen. „Die Arbeit ist von großen internationalen Versammlungen wie jenen des UN-Sicherheitsrats inspiriert. In der Welt von ‚Humane Methods‘ findet diese nur alle 100 Jahre statt, daher haben die Bewohner*innen nur diese eine Chance, ihre Anliegen vorzubringen“, erklärt Marco Donnarumma, möchte aber nicht zu viel vorwegnehmen. Eine Sache brennt ihm allerdings noch auf den Lippen: „Auch das Publikum wird in diesen Resolutionsprozess ein-gebunden.“

Wie bei den beiden vorhergehenden Arbeiten ist auch die dritte Performance sehr von dem Raum inspiriert, in dem sie stattfindet. „Die Dunkelkammer hat die Form einer Arena, das hat uns dazu gebracht, über Spiegelung nachzudenken“, hält Anna Cingi fest. Aber auch darüber, dass es den perfekten Zuschauer oder die perfekte Zuschauerin nicht gibt. „Unsere Arbeiten konfrontieren die Menschen damit, dass sie Entscheidungen treffen müssen, die dazu führen, dass sie nicht alles sehen und daher auch nicht alles wissen können. Weil man nie alles wissen kann“, bringt es Marco Donnarumma auf den Punkt. Was wir allerdings mit Sicherheit sagen können: Wer die Welt von „Humane Methods“ einmal betreten hat, wird sich ihrer soghaften Wirkung nicht mehr entziehen können.