Volksoper 2025/26: Weibliche Piraten & eine queere Fledermaus
Highlights en suite: Lotte de Beer und Ben Glassberg präsentieren die zwölf Premieren der nächsten Spielzeit. Christoph Ladstätter freut sich über nachhaltige Effekte und den wirtschaftlichen Erfolg.

Foto: Stefan Fürtbauer
Jahresvorschau. Kreativität fördert die Endorphinausschüttung. Entsprechend hoch ist der Gute-Laune-Pegel im Bühnenbild-Atelier der Volksoper in den Gürtelbögen. Dem Frohsinn kann auch die direkt über den Köpfen aller Anwesenden dahinrumpelnde U6 keinen Abbruch tun. Intendantin Lotte de Beer und Musikdirektor Ben Glassberg werfen einander zwischen Skizzen, Figurinen, Bühnenmodellen und Stoffbahnen gekonnt die verbalen Hölzchen zu, um das Programm der Spielzeit 2025/2026 sinnlich erfahrbar zu machen. Zehn Musiktheater- und zwei Ballettpremieren stehen auf dem Programm. Eine inhaltliche Klammer gibt es nicht – sieht man davon ab, dass Zeit, Ort und Community immer eine gewisse Geisteshaltung evozieren. Und diese ist in der Volksoper offen, kritisch, humorvoll, divers.

Foto: Uwe Arens
Die Zauberflöte
„Vielen Regisseur*innen ist es eine Nummer zu groß, dieses Werk, das auch die Volksoper so sehr geprägt hat, in Wien zu inszenieren“, erklärt Lotte de Beer, warum sie die Regie der Saisoneröffnung selbst übernehmen wird.
„Es ist ein tolles buntes Märchen mit wunderbarer Musik, aber so vielen Perspektivenwechseln, dass mir der emotionale Anker manchmal fehlt.“ Sie wird die Geschichte anhand des Skizzenbuchs eines 14-jährigen Jungen erzählen, der sich mit existenziellen Teenagerfragen nach Liebe, Sexualität, Eltern und Aussehen auseinandersetzt. Die von ihm erdachten Figuren werden animiert und schließlich zu sängerischem Leben erweckt.
„Es ist auch ein großartiges Stück, weil wir beinahe unser gesamtes Ensemble einsetzen können“, ergänzt Ben Glassberg, der die musikalische Leitung verantworten wird. „Eine Komödie und zugleich die ernsthafteste Musik, die Mozart je geschrieben hat.“
Premiere: 14. September 2025

Foto: Michael Hull
Killing Carmen
Nils Strunk und Lukas Schrenk, die im Burgtheater schon eine alternative „Zauberflöte“ zum Longrunner gemacht haben, kreieren gemeinsam mit Gabriel Cazes ihre eigene Carmen. Die, wie schon in der Bizet-Version an der Volksoper, von Katia Ledoux verkörpert wird. „Wir haben ihnen eine künstlerische Carte blanche gegeben“, so Lotte de Beer,„weil wir sicher sind, dass etwas Spannendes dabei herauskommt.“ Außerdem, so Ben Glassberg, können die Sänger*innen dabei ganz neue Qualitäten zeigen.
„Für Anton Zetterholm wird es wahrscheinlich sein erster und letzter Don José. Und Stefan Cerny wird vielleicht auch nie wieder Escamillo singen. Aber in dieser rockigen Version sind beide perfekt.“
Premiere: 1. Oktober 2025

Foto: Marcel Urlaub
Eine Nacht in Venedig
„Genau am 25. Oktober, dem 200. Geburtstag von Johann Strauss, spielen wir dieses Werk. Nina Spijkers, die wir bereits von ihrer erfolgreichen Inszenierung der ‚Lustigen Weiber von Windsor‘ kennen und schätzen, macht erstmalig eine Wiener Operette“, erklärt Lotte de Beer.
„Diese beginnt ganz klassisch, beinahe kitschig, wandelt sich aber bald in eine Charade, ein großes Kostümfest. Und bekanntlich kann man in Verkleidung oft eher seine wahre Persönlichkeit zeigen als im ‚normalen‘ Leben. Das Bühnenbild erstrahlt im Pop-up-Look, es wird bunt, sogar Barbie, Batman und ein Spiegelei spielen Rollen ...“
Premiere: 25. Oktober 2025

Foto: Christoph Liebentritt
Aschenbrödels Traum
„Wir geben jedes Jahr eine Uraufführung in Auftrag“, so Lotte de Beer,„dieses Jahr wird das ein Familienstück sein, für das wir den Filmemacher und Regisseur Axel Ranisch und die Komponistin Martina Eisenreich damit beauftragt haben, dieses unvollendete Ballett von Johann Strauss in eine Operette zu verwandeln.“
Beide hätten den Auftrag durchaus eigenständig interpretiert. „Herausgekommen ist ein Stück, das einen Jungen ins Zentrum stellt, der mit seinem Boyfriend, der Fußballspieler ist, auf den Opernball gehen will. Zugleich lebt der Protagonist in einem heruntergekommenen Haus, das schon von Johann Strauss bewohnt wurde. Dessen Geist und auch jener von Ida Grünwald hausen auf dem Dachboden und beeinflussen die Lebenden.“ Als Dirigent wird Leslie Suganandarajah fungieren. Ben Glassberg findet es wichtig, Familienstücke für die große Bühne zu konzipieren, bei denen das Publikum die Möglichkeit hat, neue Musik in voller Orchesterbesetzung zu hören.
„Martina Eisenreich hat die Musik von Strauss genommen, ein bisschen Hip-Hop dazugemischt und einen eigenen Contemporary-Classic-Stil entwickelt. Die Leichtigkeit von Johann Strauss bleibt erhalten, aber Percussionisten bringen neue Farben hinein, eine singende Säge kommt vor, und es wird gerappt“, freut sich der Musikdirektor.
Uraufführung: 29. November 2025

Foto: Christoph Bombart
Marie Antoinette
Die erste Premiere des Wiener Staatsballetts unter Führung seiner neuen Chefin Alessandra Ferri widmet sich dem tragischen Schicksal der Tochter von Maria Theresia. Choreograf Thierry Malandain zeigt Stationen aus dem Leben der französischen Königin, das bekanntlich unter der Guillotine endete. „Eine sehr spannende, aber auch grauenvolle Geschichte“, wie nicht nur Lotte de Beer findet.
„Aber auch ein wunderschönes Handlungsballett zu hervorragender Musik – auf die Bühne gebracht von erstklassigen Tänzerinnen und Tänzern.“
Premiere: 20. Dezember 2025

Foto: Anna Breit
Spring Awakening
„Wir freuen uns, dass wir das Erfolgsduo Christian Frank und Frédéric Buhr, die in der Volksoper schon ‚tick, tick ... BOOM!‘ realisiert haben, erneut für eine Zusammenarbeit gewinnen konnten“, erläutert Ben Glassberg die sechste Premiere der Saison.
„Dieses Mal widmen sich die beiden der auf Frank Wedekinds Drama basierenden Rockoper von Komponist Duncan Sheik und Texter Steven Sater. Christian Frank, der für mich der Weltexperte in Sachen Rockmusical ist, wird dirigieren, es spielt kein Orchester, sondern eine mitten auf der Bühne platzierte Band.“ Das Setting sei in der Gymnastiktradition der 1920er-Jahre angesiedelt und symbolisiere eine Art Gefängnis, aus dem es sich akrobatisch zu befreien gelte, ergänzt Lotte de Beer.
„Dafür haben wir ausschließlich junge Menschen engagiert und bei den Auditions den 21-jährigen Sänger und Schauspieler Paul Aschenwald entdeckt. Der hat uns einfach umgehauen. Ich glaube, a star is born!“
Premiere: 21. Februar 2026

Foto: Elias Eisold
Die Piraten von Penzance
Britische Operetten, wie dieser Klassiker von Gilbert & Sullivan, haben in Österreich Seltenheitswert, was der gebürtige Londoner Ben Glassberg natürlich schade findet. „Pirates of Penzance“ sei noch dazu die beste britische Operette überhaupt, wozu es zwingend auch des schwarzen Humors der Komödianten von Spymonkey bedürfe, die an der Volksoper schon „Orpheus in der Unterwelt“ nicht allzu ernst genommen haben und nun wieder die Regie übernehmen werden.
Am Pult wird mit Cloe Rooke ebenfalls eine Britin stehen. „Die Musik ist mitreißend, der Stoff satirisch“, erläutert Ben Glassberg. „Wir setzen auch die große Tradition des Crossdressings im englischen Theater fort. Wobei, anders als bei Shakespeare, wo Männer auch Frauen dargestellt haben, in dieser Inszenierung die Piraten allesamt weiblich sind.“
Achtung, Spoiler: „Zwei britische female clowns werden Gillian und Sally verkörpern, die als Urenkelinnen von Gilbert & Sullivan mehr Geld an den Werken ihrer Vorfahren verdienen wollen und sich daher wild in das Stück einmischen und alles durcheinanderbringen“, verrät Lotte de Beer.
Premiere: 27. März 2026

Foto: Alexis Chabala
Der Zarewitsch
Bei dieser Operette von Franz Lehár übernimmt der Niederländer Steef de Jong Regie und Ausstattung. Es wird also garantiert schräg.
„Denn Steef hat sich schon in seinen Teenagerjahren unsterblich in die Wiener Operette verliebt“, erklärt Lotte de Beer. „Er erschafft in seinem Atelier ganze Operettenwelten aus Pappe und führt das Ergebnis seiner Bemühungen, ohne wirklich singen zu können, dann auch auf.“ Keine Angst, an der Volksoper werden selbstverständlich professionelle Sänger*innen zu Gehör kommen, die quasi einen von Steef de Jong produzierten Stumm!lm vertonen. So entsteht aus wenigen Mitteln und viel Leidenschaft eine grandiose Erzählung.
„Luka Hauser ist Kapellmeister an der Staatsoper Stuttgart und gibt als musikalischer Leiter sein Debüt bei uns. Er gehört zur neuen Generation der Operettendirigenten“, meint Ben Glassberg.
Premiere: 13. April 2026

Foto: Hilde van Mas
Titus
Opernstudio-Leiter und Regisseur Maurice Lenhard lenkt einmal jährlich die komplette Aufmerksamkeit auf sein ambitioniertes Team. 2026 steht Wolfgang Amadeus Mozarts Werk „La Clemenza di Tito“ auf dem Programm, das zu den drei Lieblingsopern von Ben Glassberg zählt. Lotte de Beer sieht darin auch eine perfekte Möglichkeit für die jungen Künstler*innen des Opernstudios, als Gruppe zusammenzuwachsen.
Premiere: 8. Mai 2026 im MuTh

Foto: Michael Dürr
American Signatures
Die zweite Premiere des Wiener Staatsballetts präsentiert die zeitgenössischen Ballette „Interplay“ von Jerome Robbins, „Dispatch Duet“ von Pam Tanowitz, „Each In Their Own Time“ von Lar Lubovitch und „Let Me Mingle Tears With Thee“ von Jessica Lang. Ben Glassberg gibt dabei sein Ballettdebüt als musikalischer Leiter. „Alessandra Ferri hat mich darum gebeten, und ich habe mit Freude zugesagt, weil die Musik dieses vierteiligen Abends so viele verschiedene Stile in sich vereint, dass auch das Orchester besonders gefordert wird.“
Premiere: 9. Mai 2026

Foto: Felix Rabas
Hoffmanns Erzählungen
Jacques Offenbachs phantastische Oper ist die zweite Arbeit, die Lotte de Beer und Ben Glassberg gemeinsam in der kommenden Spielzeit umsetzen werden. Die Regisseurin konzipierte das Stück von vornherein als Co-Produktion der Opéra National du Rhin, wo es im Jänner 2025 Premiere hatte, des Théâtre National de l’Opéra-Comique und der Volksoper.
„Weil es auch nachhaltig ist, wenn man eine Bühne nur einmal bauen muss“, erklärt sie. „Wir haben das Ganze als Dialog von Kunst und Künstler angelegt. Das heißt, die Muse ist kein liebliches Wesen, sondern eine strenge Therapeutin. Es wird richtig freudianisch, die Welt schrumpft und vergrößert sich ständig. Olympia ist für Hoffmann, dessen Frauenbild keinem gesunden Geist entspringt, gar nicht sichtbar. Und Antonia, die Kunst, wächst und saugt wie ein Krebs alles auf.“ Der Text, so Ben Glassberg, werde deutsch gesprochen, die Arien aber französisch gesungen. „Fast alle Sängerinnen und Sänger entstammen unserem Ensemble, außer Antonia.
Sie wird dargestellt von der französischen Sopranistin Axelle Fanyo, mit der ich in Frankreich bei ‚Dialogues des Carmélites‘ zusammengearbeitet habe und von der ich so begeistert war, dass ich nach der ersten musikalischen Probe wusste, das muss unsere Antonia sein. Sie hat eine der außergewöhnlichsten Stimmen, die ich je gehört habe.“
Premiere: 7. Juni 2026

Foto: Hilde van Mas
Die Fledermaus – Pride Edition
Einen queeren Blick auf Johann Strauss’ Paradeoperette wirft Autor Moritz Franz Beichl, der für die klassische Inszenierung von Robert Herzl eine neue Textfas- sung geschrieben hat. „Wir haben viele LGBTIQ+-Personen, zu denen ich mich auch zähle, bei uns im Haus, und wir wollten mit diesem für uns zentralen Genre deren Geschichte abbilden“, meint Ben Glassberg. Die erste Idee, alle Rollen crossdressed zu besetzen, habe man aber schnell wieder verworfen.„Jede Komödie hat ein Drama zum Ausgangspunkt“, erklärt Lotte de Beer.
„Erst dachten wir an eine große Party, aber dann haben wir uns die Welt angeschaut und gemerkt, dass es nicht immer und überall lustig ist, dieser Community anzugehören. Deshalb wollten wir einen deutlichen Akzent setzen.“ Bunt wird’s trotzdem. Aber eben nicht nur lalala.
Premiere: 9. Juni 2026

Foto: Julia Wesely
Neues Projekt für mehr Vielfalt
Ehe Christoph Ladstätter am Wort ist, möchte Lotte de Beer noch kurz über „Matilda“ reden. „Es gibt so viele Kinder, die nie mit uns in Kontakt kommen, obwohl wir Volksoper heißen und uns auch als solche begreifen. Wir haben zwar einen wunderbaren Kinderchor, der aber, ehrlich gesagt, nicht sehr divers ist. Denn dafür braucht man nicht nur begeisterte Kinder, sondern auch unterstützende Eltern, die Zeit und Geld haben, die nötige Infrastruktur zu gewährleisten.“
Die Volksoper beginnt nun im Herbst, in zahlreichen Volksschulen Musiktheaterunterricht anzubieten. Nach einem Jahr wird überprüft, welche der teilnehmen- den Kinder so begeistert davon sind, dass sie im Kinderchor mitmachen möchten. Dann sollen eigene „Gouvernanten“ diese Kinder zu den Proben abholen und wieder nach Hause bringen, um ihren Eltern Zeit zu ersparen.
„Gleichzeitig wird im zweiten Jahr mit den Kindern dieser Schulen weitergearbeitet und im dritten Jahr an der Volksoper das Musical ‚Matilda‘ zur Aufführung gebracht. Alle Kinder und ihre Familien werden dazu eingeladen. Und in den Schulen selbst spielen die Kids in einer reduzierteren Form das Stück ebenfalls.“
Natürlich hoffe sie, das nur durch Sponsoren zu finanzierende Projekt auch nach den ersten drei Jahren fortführen zu können.

Foto: Matthias Baus
Wirtschaftlich auf Erfolgskurs
Zwar läuft die aktuelle Saison zum Zeitpunkt des Interviews noch weitere zwei Monate lang, dennoch kann der kaufmännische Direktor Christoph Ladstätter schon Erfreuliches berichten.
„Wir liegen bei fast 87 Prozent Auslastung, einem der höchsten Werte der letzten zwanzig Jahre, und sind auch bei den Einnahmen deutlich über Plan – auch über dem Ergebnis 2023/24, das bereits ein Einnahmenrekordjahr war. Fast ein Viertel unseres Publikums, nämlich 24 Prozent, ist unter dreißig Jahre alt, und wir haben von der vorherigen auf die heurige Saison ein Abo-Plus von 16 Prozent. Das heißt, wir gewinnen junge Zuschauer*innen, ohne dass uns das Kernpublikum der Abonnent*innen wegbricht.“
Dafür sei vor allem das hervorragende Programm verantwortlich. Zudem ist Christoph Ladstätter stolz auf effektive Nachhaltigkeitsprojekte wie die Installierung einer Photovoltaikanlage im Sommer 2024, gesetzte Maßnahmen zur Wärmerückgewinnung oder – aktuell – die Umstellung auf LED-Beleuchtung.
Angenehmer Nebeneffekt: „Dadurch gelingt es uns, Kosten zu senken.“ Geld, das dann wiederum in die Kunst fließen kann.

Foto: Andrea Peller