Es wäre ein fataler Trugschluss, zu glauben, dass mit einer gewissen Leichtigkeit des Seins stets das Bestreben einhergeht, sich das eigene Leben so einzurichten, dass alles möglichst leicht von der Hand geht. Stichwort: Komfortzone. Die Kunst besteht eher darin, selbst in wolkenverhangenen Gefilden außerhalb des eigenen Wohlfühlspektrums größtmögliche Besonnenheit an den Tag zu legen. Tim Werths, seit 2019 Ensemblemitglied am Burgtheater, ist jemand, der diese Kunst – neben jener des Schauspiels, versteht sich – ziemlich gut beherrscht. Und das liegt nicht nur daran, dass er, nach eigener Definition, eine „rheinische Frohnatur“ ist.

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„Mein Lehrer an der Schauspielschule hat damals zu mir gesagt, dass ich mir meine Leichtigkeit und meine Angstfreiheit unbedingt beibehalten soll, weil das etwas ist, was man nicht lernen kann. Ich habe mir das damals sehr zu Herzen genommen und mittlerweile auch selbst erkannt, dass es ein großer Luxus ist, sich diese Freiheit nicht jedes Mal aufs Neue erkämpfen zu müssen“, erzählt der gebürtige Aachener, den wir nach einer ersten Bühnenprobe für „Orpheus steigt herab“ im Arsenal treffen.

Keine Lust auf Schubladen

Diese Leichtigkeit half dem fast zwei Meter großen Schauspieler unter anderem, als er sich in die präzise Komödienarbeit von Herbert Fritsch stürzte. Und sie wird ihm bestimmt auch bei Martin Kušejs Inszenierung des selten gespielten Stücks von Tennessee Williams gute Dienste erweisen. Nach einer Reihe von lustigen Rollen ist jene des Val wieder einmal eine, die nicht ins Genre der Komödie fällt. „Es hat sich im Laufe der Zeit so entwickelt, dass ich häufig für komische Stücke und Rollen besetzt wurde. Ich liebe Komödie, hatte aber das Gefühl, in einer Schublade gelandet zu sein. Martin (Kušej, Anm.) hat mir dann versichert, dass es keinesfalls so sei, dass er mir nichts anderes zutraue“, erzählt der Schauspieler. Diese große Rolle in Tennessee Williams’ Südstaaten-Überschreibung des Orpheus-Mythos sei eine spannende Herausforderung und eine Möglichkeit, sich als Schauspieler weiterzuentwickeln.

Tim Werths
Komfortzone – oder doch nicht? Tim Werths möchte es sich in seinem Job nicht zu gemütlich machen. Sich nach der Probe kurz auszuruhen, muss aber drin sein.

Foto: Marcel Urlaub

„Ich habe keine Angst davor, aber ich verlasse jenen Bereich, in dem ich in den vergangenen Jahren sehr intensiv gearbeitet habe – wo ich weiß, dass ich das kann, und auch die dementsprechende Bestätigung bekommen habe“, setzt er mit ruhiger Stimme nach. Ganz hinter sich lassen möchte er die Komödie aber auf keinen Fall. „Ich sehe in der Komik teilweise sogar viel größere Abgründe als in klassischen tragischen Stücken. Und ich liebe es, wenn mir als Zuschauer das Lachen im Hals stecken bleibt, weil eine Figur auf der Bühne unglaublich lustig und gleichzeitig in großer Not ist.“

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Bei aller – bestimmt auch herkunftsbedingten – Besonnenheit ist Tim Werths auch ein guter Zuhörer und ein ebenso offener wie reflektierter Gesprächspartner, der sich für seine Antworten Zeit nimmt. Obwohl die zahlreichen Luftsprünge, die er als Phantasie in Fritschs Inszenierung des Stücks „Die gefesselte Phantasie“ absolvierte, etwas anderes nahelegen, ist der Schauspieler alles andere als ein Luftikus. Er steht mit beiden Beinen fest am Boden und hat viel mehr Lust auf klare Positionierung als auf Posing. Die Rolle in Fritschs knallbunter, körperlicher und genau gearbeiteter Inszenierung brachte dem Schauspieler im Übrigen eine Nestroy-Nominierung ein. „Das war eine richtig schöne Arbeit, die mich sehr inspiriert hat. Ich hatte davor schon sehr lange den Wunsch, mit Herbert Fritsch zu arbeiten“, resümiert der Schauspieler.

Zum Thema Komödie sei ihm gerade noch eine Anekdote eingefallen, sagt er lachend. „An einer der Schauspielschulen, an denen ich mich beworben hatte, bin ich in die zweite Runde gekommen, aber dann ausgeschieden. Als ich mir das Feedback abgeholt habe, sagten sie zu mir, dass ich ein Riesentalent fürs Komische hätte, aber nicht ins Theater passte und lieber in Richtung Stand-up gehen sollte. Bei meinem Vorsprechen in Frankfurt habe ich dann alle komischen Rollen aussortiert.“

Ich liebe Komödie, hatte aber das Gefühl, in einer Schublade gelandet zu sein.

Tim Werths, Schauspieler

Two River County ist überall

Martin Kušej hatte den 1992 geborenen Schauspieler schon früh am Radar. „Tim verfolge ich schon seit seiner Zeit als Student in Frankfurt. Ich habe ihm ein Angebot für das Residenztheater gemacht, lange bevor er sein Diplom absolvierte. Von seinem Talent bin ich also längst überzeugt. Wir haben einige Arbeiten gemeinsam gemacht – und nun ist es an der Zeit, dass er auch am Burgtheater groß spielt. Dass er ein toller Spieler ist, haben die Leute längst verstanden; was ich besonders an ihm schätze, sind seine Geradlinigkeit, seine Offenheit und sein Humor. Ich freue mich sehr auf diese Herausforderung, die nun ansteht“, so der Intendant.

Die Herausforderung bestehe vor allem darin, Val nicht als stereotypen Südstaaten-Hallodri auf die Bühne zu bringen, wie Tim Werths anmerkt. Doch dazu gleich mehr, zunächst einige Infos zum Inhalt des Stücks: In Two River County, einer fiktiven Kleinstadt in den Südstaaten der USA, taucht plötzlich der charismatische Musiker Val auf. In Windeseile zieht er die Frauen der von Rassismus, Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit geprägten Kleinstadthölle in seinen Bann. Er verliebt sich in Lady, und sie wittert die Chance, an der Seite dieser vermeintlichen Lichtgestalt ein neues Leben beginnen zu können.

„Ich habe nur ein großes Thema für alles, was ich schreibe, und das ist der zerstörerische Einfluss der Gesellschaft auf das sensible, unangepasste Individuum“, sagte Williams einmal. Und was sagt der Regisseur? „Es ist dieselbe alte, immer gleiche Geschichte – ob damals oder heute. Es geht um Außenseiter, Unangepasste, Fremde, sensible und spezielle Menschen, die an einem an sich schon verlorenen und menschenfeindlichen Ort leben und zusammentreffen oder vom Schicksal dorthin verschlagen werden. Diese Geschichte muss sich nicht in einer Kleinstadt in den Südstaaten der USA zugetragen haben, sondern kann sehr ähnlich ebenso in einem Bergtal in den Alpen, als ‚Jagdszene in Niederbayern‘, im Westen Irlands oder in der russischen Taiga, weit weg von Moskau, passieren.“

Tim Werths
Seit 2019 ist Tim Werths Ensemblemitglied am Burgtheater.

Foto: Marcel Urlaub

Daher hat Kušej das Stück auch aus seinem Südstaatenkontext herausgelöst. Was bleibt, ist die Gefahr rassistischer, rechtsextremer Tendenzen. „Die Zeiten sind ohne Not und rasend schnell wieder hundert Jahre zurückgefallen – da bleibt mir echt die Spucke weg. Hätte ich nie für möglich gehalten. Das Schlimme: Ich kann es mir einfach nicht erklären! Es ist, als hätte bei vielen Menschen jegliche politische und demokratische Bildung völlig versagt und wir wären wieder bei der Duldung oder bei der Missgunst des Mobs angelangt, der seinerzeit feixend den Juden zugesehen hat, wie sie mit Zahnbürsten die Trottoirs putzen mussten“, so Kušej, der jedoch die Hoffnung noch nicht ganz verloren hat.„Auch wenn vieles schiefgelaufen ist– wir können noch etwas aufhalten. Und das sicher nicht mit Schweigen, Nicht-Wählen oder mit einer Bier-Partei!"

Die Zeiten sind ohne Not und rasend schnell wieder hundert Jahre zurückgefallen.

Martin Kušej, Intendant und Regisseur

Zwischen den Zeilen

Val, der mit seiner Schlangenlederjacke imersten Moment so wirkt ,als hätte er, in all seiner James-Dean-artigen Coolness und Unangepasstheit, die dickste Haut von allen, ist jedoch sehr viel mehr als nur dieses Klischeebild, so Werths. „Für mich ist das ein sehr einsamer Kerl, der auf der Flucht vor sich selbst ist – und in seinem Leben schon häufig benutzt wurde. Er hofft, sein altes Leben hinter sich lassen zu können, landet aber an einem viel schlimmeren Ort – in einer Gesellschaft, die ihn aufgrund seiner Fremdheit am liebsten wieder weghaben möchte. Er glaubt auch nicht daran, dass sich zwei Menschen wirklich kennenlernen können.“ Bis zur ersten Leseprobe war er sich noch nicht ganz sicher, was aus dieser auf den ersten Blick sehr klischeehaften Figur überhaupt rauszuholen sei, doch nach und nach entdeckte er, „dass bei Williams, wie bei Horváth, sehr viel zwischen den Zeilen, im Unausgesprochenen steckt“.

Im Laufe der Proben wird sich die Rolle für ihn auch in ihrer Körperlichkeit erschließen, fügt er hinzu. „Mir hilft es sehr, wenn ich eine Körperlichkeit für eine Figur finde – dann fange ich an, zu surfen und eine Virtuosität zu entwickeln“, fasst Werths, der sich zudem als absoluten Ensemblespieler sieht, zusammen. „Ich liebe dieses Geben und Nehmen. Je mehr die anderen geben, desto mehr kann ich aufnehmen und auch wieder zurückgeben. Das ist für mich Theaterspielen.“

Und da ist sie wieder, diese Leichtigkeit bei gleichzeitiger Bodenhaftung.

Zur Person: Tim Werths

ist in Aachen geboren und absolvierte sein Studium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. Er spielte bereits während des Studiums am Schauspiel Frankfurt, war Ensemblemitglied am Residenztheater in München. Seit der Saison 2019/20 ist Werths fixes Ensemblemitglied am Burgtheater. In Wien musste er erst einmal lernen, nicht jeden schiefen Blick persönlich zu nehmen.

Zu den Spielterminen von Orpheus steigt hinab im Burgtheater!