Wien ist manchmal ein seltsamer Ort. Jetzt, wo Martin Kušejs Amtszeit in die letzte Saison geht, begegnen selbst die härtesten Kritiker*innen mit ungewohnter Zärtlichkeit dem ­Burgtheater-­Direktor. Man darf es nicht falsch interpretieren. Der Wiener war schon immer verliebt in das Dahinscheiden. In „a scheene Leich“. Ebenso wenig überraschend, dass Kušej keine besondere Lust hat, ruhig am Fiaker sitzen zu bleiben, und das mit der Ruhe ist auch so eine Sache. Selbst wenn Kušej nichts sagt, ist es nicht ruhig. „Es gibt manchmal nur deswegen schon einen falschen Eindruck, weil ich mit meiner Größe und meinem Gewicht in einen Raum komme. Ich habe eine Verdrängung, die mir selber nicht so bewusst ist, die aber offensichtlich zu einer gewissen Irritation führen kann. Aber ich bin nicht so. Ich will nur spielen.“ 

Anzeige
Anzeige

Man hat mir – de facto ohne Begründung – einfach den Stecker gezogen.

Martin Kušej

Kušej grinst. Der Theatermacher ist keiner, den man einfach so interviewen kann, der Fragen einfach so über sich ergehen lässt und brav antwortet. Er fordert davor und mittendrin. Er verbalisiert in der Sekunde, wenn ihm der Verlauf nicht passt, kommt aber sofort wieder in die Spur, wenn er das Gefühl hat, dass das Gefragte einem wirklich wichtig ist. Die Saison 22/23 ist mit ausverkauften Vorstellungen zu Ende gegangen. „Der Zauberberg“, „Drei Winter“, „Der Sturm“, „Der Raub der Sabinerinnen“, „Die Zauberflöte“ waren Erfolgsstücke, die Auslastung liegt bei 70 Prozent.

So von außen gesehen ist Burgtheater-Direktor ein geiler Job …

Nein. Der Job war überhaupt nie geil. Und: Ja, ich habe daraus auch nie einen Hehl gemacht. Es braucht seine Zeit, um dieses Haus mit seinen ganzen Facetten zu verstehen, und es braucht seine Zeit, um etwas künstlerisch zu verändern und bis das dann greift. Auch ich selber habe allein in den letzten Jahren unglaublich viele Dinge verstanden, in mir aufgenommen, Krisen durchgemacht und schöne Momente erlebt, die aus mir diesen „Burgtheaterdirektor“ geformt haben. Wir alle sind durch die Pandemie jetzt erst an jenem Punkt, an dem wir schon vor zwei Jahren sein wollten. Daher war es ein schlimmes Gefühl, als man mir den Stecker gezogen hat – de facto ohne Begründung. Das waren keine guten Tage damals, aber ich habe damit meinen Frieden gemacht. Dieser freie Fall hat nicht nur mich getroffen, sondern das ganze Theater. Das war aber der zuständigen Staatssekretärin offensichtlich egal – hinter dieser Entscheidung ist ja gar kein Plan oder eine Notwendigkeit erkennbar. Diese politische Willkür hat das Burgtheater ohne Not in eine echte tiefe Krise gestürzt. Bis zur Verkündung dieser Entscheidung wurde ich monatelang hingehalten, damit wurde der Teppich für Negativschlagzeilen ausgerollt. Es wurde immer über die schlechte Stimmung hier am Haus gesprochen; na klar gab es auch schwierige und problematische Phasen, gerade in und wegen der Pandemie – aber das war gar nichts im Vergleich dazu, was die Politik den Menschen hier in den letzten Monaten zugemutet hat und welchen Imageschaden man dabei von Eigentümerseite in Kauf genommen hat.

Sie schreiben in Ihrem Vorwort des aktuellen Programmheftes über einen Neonazi-Überfall bei einer Veranstaltung. Die Neonazis waren in der Minderheit, aber die Mehrheit ist geflüchtet. Wie feig und haltungslos sind wir?

Anzeige
Anzeige

Atemberaubend haltungslos und feig. Ich kenne rechte Anfeindungen seit Jahren. Das ist nichts Unbekanntes. Aber ich beobachte mit Sorge die Radikalisierung in rechten Medien und in den sogenannten sozialen Netzwerken. Ich will – auch mit dem neuen Programm – sagen: Schaut her, in diesem hochzivilisierten, sehr reichen und demokratischen Österreich lauert etwas erschreckend Gewaltbereites. Wir lassen uns gerade von einer rechten Minderheit vorführen. Wenn 30 Prozent der Wahlberechtigten eine rechte Partei wählen würden, dann ist das erschreckend, aber sie sind immer noch in der Minderheit – und von der lassen wir uns durch die Gegend treiben? Das nervt mich. Und das kann einfach nicht sein. Das will ich nicht zulassen, damit wollen wir uns nächste Saison auch mit unserem Programm auseinandersetzen.

Eigentlich ist es ganz einfach Nein zu Rassismus. Nein zu Faschismus. Nein zu Rechts.

Martin Kušej

Es wirkt so, als würde die Linke sich nicht ganz einig sein. Da sagt mal der Hinterhäuser was, dann repliziert darauf der Föttinger …

Langweilig.

Ja?

Ja. Wir reden über unterschiedliche Zugänge und was wir alles berücksichtigen müssen. Dabei ist es ganz einfach: Nein zu Faschismus. Nein zu Rassismus. Nein zu Rechts. Da gibt es – meiner Meinung nach – überhaupt keine verschiedenen Haltungen. Ich vermisse ein Bewusstsein dafür, wohin sich dieser Rassismus, diese Radikalisierung entwickelt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin kein Anführer einer Gegenbewegung, auch ich habe Angst. Ich spüre eine Unsicherheit im Raum, und manchmal würde ich auch am liebsten verschwinden und irgendwo Bienen züchten. Ich bin überfordert, und ich denke, es geht vielen so. 

Lassen Sie uns über Florian Teichtmeister  reden. Ich habe ihn als sehr verlässlichen und höflichen Menschen kennengelernt und frage mich oft, wie ich reagieren soll, wenn ich ihn zufällig in einem Kaffeehaus treffen würde, mit all dem jetzigen Wissen.

Sie fragen mich, was ich tun würde? Als Erstes würde ich ihm eine knallen, um meinen Ärger, meine Wut und Enttäuschung loszuwerden. Und dann würde ich wohl auch mit ihm reden. Nur zuerst muss es ein Ventil geben. Ich habe ihm ja hundertprozentig vertraut. Vertrauen ist fundamental in Arbeitsbeziehungen, nicht nur am Theater. Als es Anlass gab, dieses zu hinterfragen, hatten wir die notwendigen Schritte eingeleitet. Das hat das beauftragte Gutachten auch  bestätigt. 

So in der ersten Rückschau: Gibt es Dinge, die Sie falsch ­gemacht haben?

Ich habe sicher auch Fehler gemacht. Wir haben beispielsweise zu wenig gewürdigt, dass der Burgtheaterskandal rund um Matthias Hartmann von den Menschen hier gerade erst aufgearbeitet worden ist. Da waren wir nicht sensibel genug. Die von uns angestoßenen Veränderungen hätten wir noch besser moderieren müssen, diese Prozesse traten vor den Herausforderungen der Pandemie zu stark in den Hintergrund. Besser machen können hätte man auch die Integration und Kommunikation mit den verschiedenen Hausabteilungen. Das Burgtheater ist einfach sehr, sehr groß. Das würde ich jetzt anders angehen. 

Haben Sie Wien unterschätzt?

Ja.

Was genau?

Dadurch, dass ich so lange im Ausland war, hatte ich schlichtweg vergessen, wie die Gesellschaft in dieser Stadt, ins­besondere in der sogenannten „Kulturblase“ funktioniert. Ich wollte wegen meiner langen Erfahrung und meiner künstlerischen Leistungen anders angenommen werden. Das hat mit dem Publikum zum Großteil sehr rasch gut funktioniert. Aber ich will mich darüber nicht mehr weiter aufregen. Ich habe den großen Fehler gemacht zu unterschätzen, wie missgünstig – ja, missgünstig ist eigentlich das beste Wort – die Presse hier ist. Am Skandalisieren interessiert, am Schlechtmachen, Freude am Misslingen anderer haben … Ich bin vor fast dreißig Jahren nach Deutschland gegangen, um diesem Zirkus hier zu entgehen – mit der ­Erwartung, dass sich hier etwas ändern wird. Leider nein! Aber jetzt sind wir schon wieder in so einer Gasse, in der mir Beleidigtsein vorgeworfen werden kann. 

Es gibt vom ehemaligen ORF-Chef den wunderschönen Satz: Wem wehgetan wird, der darf auch Aua sagen.

Na, dann lassen Sie mich noch etwas erwähnen: Ich finde es geradezu frech, wie mit meiner klaren Haltung zum Theater als Live-Ereignis umgegangen wurde. Theater ist und wird immer etwas Analoges sein, das kann man mit Streamen nicht erreichen und nicht ersetzen. Punkt. Wir haben andere Formate im digitalen Bereich erfunden und ausprobiert – das fand ich gut und richtig. Und wer sich mit den Regelungen der Kurzarbeitszeit auseinandergesetzt hat, weiß auch, dass man im Sprechtheater während des Probenbetriebs personell gar nicht in der Lage war, groß zu streamen. Aber mir wurde das halt einfach so um die Ohren gehauen. Ebenso der Vorwurf, der mantraartig immer wieder aus dem Hut gezaubert wurde, dass ich nicht ausreichend anwesend gewesen wäre. Ich war hier. Ich bin hier, das wird auch so bleiben. 

Ich stehe zu meiner Sensibilität und auch zu meinen manchmal etwas zu raubeinigen Gefühlsausbrüchen.

Martin Kušej

Was war die beste Seite – und entschuldigen Sie die Vergangenheitsform – Ihres Jobs?

Beste Momente gab es viele. Aber ganz besonders war für mich der Abend des Terroranschlags in Wien. Im Theater ist dort an diesem Abend mit dem Publikum trotz der schrecklichen Umstände eine große Gemeinschaft entstanden. Und trotz dieser gefährlichen Notsituation ist es immer Theater geblieben. Es war Kunst und gleichzeitig eine Gemeinschaft. Ich habe diese Momente hier am Haus öfter erlebt, und das ist auch ein großes Kompliment an das Publikum hier, das ich als wahnsinnig angenehm, gebildet, interessiert und gerne auch kritisch erlebt habe. Und ich bin sehr glücklich über meine Inszenierungen, das erwähne ich, weil ich diesen Job hier nicht nur als Geschäftsführer mache, sondern auch als Künstler. Dabei habe ich mich durchaus manchmal unangepasst oder undiplomatisch ver­halten. Aber ich stehe zu meiner Sensibilität und auch zu meinen manchmal etwas zu raubeinigen Gefühlsausbrüchen. Doch ich bin mit mir in dieser Gemengelage als Mensch und künstlerischer Partner relativ zufrieden. Natürlich ist da Luft nach oben, und ich versuche, mich zu verbessern.

Zur Person: Martin Kušej

Von 2011 bis 2019 war der 1961 in Kärnten geborene Martin Kušej Intendant des Residenztheaters in München. Seit der Spielzeit 2019/20 ist er Künstlerischer Direktor des Wiener Burgtheaters. Seine Inszenierung des Schiller-Klassikers „Maria Stuart“ eröffnet im Herbst das große Haus. 

Wie grantig macht einen Theatermacher das Theatermanagen? 

Grantig macht mich nur meine Ungeduld. Managen kann ja auch lustvoll sein. Aber wenn Dinge langsam gehen, dann kann ich tatsächlich grantig werden.

Wie ist das, wenn man oben auf der Bühne steht und ausgebuht wird?

Lässig. Es zeigt, dass sich da draußen im Dunkeln etwas bewegt und dass wirklich reagiert wird. Ich habe in Wien schon einiges erlebt, aber eigentlich war alles noch recht moderat – es gab da in der Vergangenheit viel schlimmere Sachen.

Ist die Conclusio zulässig, wenn ich sage: Lob ist Ihre größte Vernichtung?

Nein. Ich mag auch Lob. Es ist toll, wenn man große Emotionen auslösen kann.

… auch wenn, wie bei Ihrer „Tosca“ im Theater an der Wien, fast das ganze Haus buht?

Das war ein super Moment. Das Problem ist ja, dass manche Menschen glauben, wenn jemand buht, ist das, was man macht, automatisch schlecht. Aber das ist Quatsch. Jeder ist frei, sich über die gesehene Interpretation zu ärgern oder nicht. Da bin ich relativ entspannt.

Welches Körperteil schmerzt am meisten, wenn auf der Bühne etwas nicht funktioniert?

Das Gebiss, weil ich in die Stuhlreihe vor mir beiße …

Sie inszenieren in dieser Saison den „Menschenfeind“ – klingt wie ein billiger Schmäh: Kušej, „Menschenfeind“ ist gleich lustig.

Ja, da braucht man nicht mehr zu sagen (lacht). Ich arbeite mit einer Parfümeurin zusammen, um ein Odeur zu entwickeln, das wir dann in den Zuschauerraum hineinblasen wollen. Es soll ein Geruch sein, der eindeutig an Jauchegrube erinnert, aber trotzdem auch ein bisschen was vom Kaiser und der österreichisch-ungarischen Monarchie hat.

Warum? 

Wir wollen mit Geruch im Theater experimentieren. Und das könnte Ausdruck eines Zustands sein, den man in dieser Stadt manchmal empfindet.

Okay. Ist das der Pippi-Langstrumpf-Effekt: Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt?

Nein, das kann man sich als Direktor eines solchen Betriebs gar nicht leisten. Ich muss mich künstlerisch oft sehr zurückhalten und mich den Gegebenheiten des Theaters unterordnen. Beim „Menschenfeind“ werde ich diese Zurückhaltung aber eher mal ein bisschen bleiben lassen. (Lacht.)

Ein Freund, der Sie aus Grazer Studenten-WG-Zeiten kennt, hat mir erzählt, Sie waren der Stille, der immer ein Reclamheft in der Hand hatte.

Stimmt sicher. Das war wahrscheinlich „Hamlet“ – ich habe mich in dieser WG-Zeit innerlich auf das Regiestudium vorbereitet und sogar kurzfristig überlegt, Schauspieler zu werden – dazu ist es aber, dem Himmel sei Dank, zum Glück nie gekommen.

Reclamhefte haben mittlerweile so etwas Antiquiertes, die Welt redet über Künstliche Intelligenz. Wie gefährlich ist KI?

Sagen wir es doch, wie es ist: Wir schießen uns gerade selber ins Knie. Es ist doch Quatsch, wenn wir über Chancen und Liberalität in Zusammenhang mit KI reden; wir holen uns etwas ins Haus, das nicht mehr einzufangen ist und das in absehbarer Zeit in der Lage sein wird, uns komplett auszuschalten. Aber mir wird das Gespräch gerade zu dystopisch.

Ich finde nicht. Wir könnten ja gemeinsam davon ausgehen, dass alles gut ausgeht …

(Lacht.) Stimmt. Die Geschichte zeigt: Menschen haben Probleme dann am besten gelöst, wenn sie sich zusammengesetzt haben, wenn sie die Probleme angesprochen und gemeinsam beschlossen haben, etwas dagegen zu unternehmen.

Zauberflöte Burgtheater

Wenn sich Mozart im Grabe mitdreht 

Nils Strunks Inszenierung der „Zauberflöte“ ist eine Reise durch die Musikgeschichte, an deren Ende doch wieder Mozart steht. Oder müsste es Anfang heißen? Egal. Fix ist: Dieses Stück ist ein Riesenspaß. Auch für das Ensemble. Weiterlesen...

Sind eigentlich Schauspieler die besseren Regisseure? Nils Strunk und seine „Zauberflöte“ legen den Verdacht nahe.

Das müssen Sie Nils Strunk fragen. Mit der „Zauberflöte“ ist ihm jedenfalls ein großer Erfolg gelungen, das freut mich wirklich sehr.

Über eine Stunde sitzen wir nun schon zusammen. Man merkt, der Direktor ist am Sprung – er hat einen Termin am anderen Ende der Stadt. Höflichkeitshalber fragen wir nach, ob Kušej noch ein Thema am Herzen hat, worüber er reden möchte. 

„Ich habe schon viel zu viel gesagt“, meint er und grinst. 

Wir danken.