An eine einzige Forderung hat Lydia ­Haider ihre Hausautorinnenschaft am Wiener Volkstheater geknüpft: „Ich möchte im Haus sitzen und schreiben.“ Klingt nach einer ebenso essenziellen wie logischen Rahmenbedingung für die Arbeit einer Hausautorin? Ist es auch, wenn es nach der in Steyr geborenen Sprachkünstlerin und Musikerin geht. „Der Vorteil liegt vor allem darin, dass man auf diese Weise total mit dem Haus verschmilzt. Man lernt die Strukturen kennen, bekommt Konflikte und Stimmungen mit und kann diese sofort in das eigene Schaffen einbauen. Außerdem lernt man die Schauspieler:innen auf ganz andere Weise kennen als bei einer Probe oder der gemeinsamen Tschick danach.“ Als Arbeitszimmer nutzt sie das holzvertäfelte und denkmalgeschützte „Führerzimmer“, mit dem sich das Theater 1938 auf einen möglichen Besuch Adolf Hitlers vorbereitet hatte. 

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Sintflut aus Worten

Ansonsten hat Lydia Haider mit Rahmungen aller Art nur wenig am Hut. Auch nicht mit sogenannten Rahmenhandlungen. Das ist nicht nur so, weil sich ihre Texte jeglichen Versuchen einer Genreklassifikation entziehen, sondern auch aufgrund ihrer ausufernden Satzkonstruktionen, die all jene, die sich darauf einlassen, sintflutartig mitreißen. „So fühlt es sich auch beim Schreiben an“, erklärt die von der Literaturkritik gerne als „Enfant terrible“ bezeichnete Autorin. „Als würden die Worte in Form einer Sintflut aus mir herauslaufen.“ Dazu passt auch der Schreibprozess der 36-Jährigen, der meistens von lauter Musik und einem Rausch begleitet wird, wie auch die Musikalität ihrer Texte und das Gefühl, dass sie geschrieben wurden, um mündlich vorgetragen zu werden. 

Im Schreiben von Theatertexten findet ­Lydia Haider eine andere Freiheit als bei ihren Prosatexten. „Der Buchmarkt ist tendenziell eher ängstlich und konservativ. Man könnte ihn mit einer riesigen, trägen Sau vergleichen, bei der es nicht gelingt, sie umzudrehen“, ergänzt sie lachend und setzt damit den Startpunkt für eine Serie an sprachlichen Bildern, mit denen sie ihre Ausführungen sorgsam ausstattet. 

Zu einem gewissen Anteil schreibt sie dieses Freiheitsgefühl jedoch auch dem Volkstheater zu. „Ich bin hier einer extremen Offenheit begegnet und hatte von Anfang an das Gefühl, dass ich einfach mal machen und mich Dinge trauen kann“, sagt sie. „Wenn man dann merkt, dass jemand hinter einem steht, traut man sich gleich noch viel mehr. Wie beim Springen auf einem Trampolin.“ Und da ist sie auch schon, die zweite Metapher, die Lydia Haider an diesem Tag aus ihrem scheinbar unerschöpflichen Sprachschatz zaubert. 

Foto: Apollonia T. Bitzan

Duell mit der Sprache

Am Volkstheater werden in dieser Spielzeit zwei Texte von ihr zu sehen sein. Der erste, „Zertretung – 1. Kreuz brechen oder also alle Arschlöcher abschlachten“, feiert am 14. Oktober in der Dunkelkammer Premiere. Der Titel ist Programm: Männer wie André Heller, Andreas Gabalier, Jesus Christus, Thomas Bernhard und Philipp Hochmair werden darin abgeschlachtet und vernichtet. Nach welchen Kriterien sie bei der Auswahl der abzuschlachtenden Personen vorgegangen ist?

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„Darauf gibt es zwei Antworten“, erklärt sie lachend. „Die eine ist, dass ich über einen langen Zeitraum Namen von Menschen gesammelt habe, die in Österreich wichtig sind, sie alle in einen Topf geworfen und anschließend 44 davon herausgezogen habe. Zufällig waren es nur Männer, weil in Österreich eben nur Männer wichtig sind.“ Die andere Wahrheit ist, dass es eine lange Suche nach Namen gab und Lydia Haider schließlich einige davon für ihr Stück ausgewählt hat. In Stein gemeißelt sind diese jedoch noch nicht. „Es kann sein, dass ich den einen oder anderen noch austausche, weil manche davon nicht mehr so relevant sind“, so Haider. 

An der Schnittstelle zwischen Text und Musik

Am relevantesten ist für Lydia Haider aber ohnehin die Sprache. „Ich merke, dass mir die Sprache immer wichtiger wird. Bei meinen Romanen dachte ich mir noch, dass es ja nicht wehtut, auch ein bisschen Inhalt einzubringen. Außerdem nimmt kein Verlag den Text, wenn man nicht Roman auf den Buchdeckel schreiben kann. Aber jetzt geht es für mich hauptsächlich um das Wie.“ Hin und wieder beschleicht sie das Gefühl, dass es eigentlich viel zu sagen und aufzuräumen gäbe, „aber was in der Gesellschaft oder im eigenen Kopf umgeht, wird ja immer mittransportiert. Man muss zum Beispiel Politisches nicht konkret zum Thema machen.“ In ihrem zweiten für das Volkstheater geschriebenen Text – „Zertretung – 2. Sprache essen Abgott auf oder du arme Drecksfutmetzger“ – kulminiert dieser Ansatz in einem Duell zwischen Schriftstellerin und Sprache. Es ist ein Text, der sich, so die Autorin, „an der Schnittstelle zwischen Musik und Text bewegt und einen gefangen nimmt“. 

An eine bestimmte Tradition oder literarische Strömung möchte Lydia Haider mit dieser Herangehensweise nicht anknüpfen. „Am Anfang habe ich noch versucht, mich irgendwo einzuordnen und deshalb auch viel von anderen zitiert und geklaut, davon bin ich aber immer mehr weggekommen. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich die Stützräder ganz weglassen kann.“ Auch die Bibelzitate, die viele ihrer bisherigen Texte stark geprägt haben, braucht sie in dieser Form nicht mehr. „Diese Sprache ist da, sie schwingt immer mit, aber ich muss keine Zitate mehr auf Bibel-Online raussuchen“, fasst sie lachend zusammen. Klingt nach dem ultimativen Befreiungsschlag. Und nach vielen Bildern ohne fixe Rahmung.

Zur Person: Lydia Haider

Wurde 1985 in Steyr geboren und lebt in Wien. Sie hat ­Germanistik und Philosophie studiert und arbeitet gerade an ihrer Dissertation. Ihr erster Text erschien 2015, 2020 gewann sie beim Bachmannpreis den Publikumspreis. Außerdem ist Lydia Haider Chefpredigerin der Musikkapelle „gebenedeit“. 

Zum Spielplan des Volkstheaters