„Hey, big spender! Spend a little time with me“, das haben die Menschen im Ohr, wenn die Sprache auf „Sweet Charity“ kommt. Dass es darin aber vor allem um eine junge Frau geht, die sich niemals von ihrem Weg und ihrer positiven Einstellung abbringen lässt, wissen schon nicht mehr so viele. Der Zufall will es, dass die Volksoper nach der langen Zwangspause justa­ment ein Stück über unerschütterlichen Opti­mismus und Hoffnung als erste Premiere geplant hat.

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Dabei macht es das Schicksal der Titelheldin von Cy Colemans Musical, das auf Federico Fellinis „Die Nächte der Cabiria“ basiert, schwer, nicht aufzugeben. Mal wird das Taxi-Girl Charity von ihrem Liebhaber in den Teich geworfen und um ihr Erspartes gebracht; mal muss sie, versteckt in einem Wandschrank, zuhören, wie sich der italieni­sche Filmstar, mit dem sie sich gerade so gut verstand, mit seiner Ex versöhnt. Und als sie schon die Hochzeitsglocken zu hören glaubt, kommt ihr die Vergangenheit dazwischen. Doch trotz ständiger Rückschläge lebt sie stets in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Aus dem künstlerischen Vakuum heraus

Auch für Lisa Habermann waren die Wochen vor den Proben von Hoffnung geprägt. Die 31-jährige Musicaldarstellerin, die seit 2017 an der Volksoper engagiert ist und dort bereits als Louise in „Gypsy“, als Julie in „Carousel“, als Dolly in „Meine Schwester und ich“ und als Eliza in „My Fair Lady“ auf der Bühne stand, saß während des Lockdowns daheim in ihrer Wiener Wohnung und konnte nichts als warten – wiewohl sie nach arbeits­intensiven Monaten die Ruhe und Zweisamkeit mit ihrem Freund auch genoss: „Es war sehr seltsam zu wissen – da kommt ein Koloss an Arbeit auf dich zu, und du weißt nicht, wann und ob die Proben starten können.“

Als bekannt w­ur­de, dass im Mai Korrepetitionsproben und im Juni Ensemble­proben erlaubt sein würden, war die Freude groß. Aber Skepsis war auch da: „Es ist einfach etwas anderes, wenn man aus dem laufenden Spielbetrieb in ein neues Stück startet oder aus einem Vakuum reinploppt.“

In der Maske wird aus Lisa Habermann, die glatte, braune Haare trägt, durch eine auffällige Perücke ein lockiger Rotschopf.

Foto: Michael Bertha

Magie und Wahnsinn

Angesichts ihrer bedachten Sprache und ­Gestus wird spürbar, dass Habermann eine Frau ist, die sich viele Gedanken macht (und diese laut ­eigener ­Schilderung beim Tagebuchschreiben zu ­ordnen versucht). So quirlig sie auf der Bühne und beim Shooting auch rüberkommen mag, so besonnen wirkt sie im Dialog. Das Grüblerische ­zerstreute sich jedoch sofort, als die Proben begannen: „Ich war ­sofort wieder drin und fühlte mich pudelwohl.“

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Nicht nur für Habermann, für das gesamte Haus war „Sweet Charity“ ein Geschenk in der Zeit der Unsicherheit. Auch wenn ­Plexiglasvisier und Testungen die Proben mitprägten, waren diese „einfach magisch nach einem solchen Wahnsinnsvakuum“.

Restrisiko und positive Energie

Über ein Restrisiko, dass die ­Premiere im September nicht stattfinden könnte, versucht sie nicht nachzudenken: „Das würde mich zu sehr hemmen.“ Also wischt sie die Gedanken mit einer Geste beiseite und beruft sich auf das Stück und die Probensituation: „Man hat das Gefühl, bei so viel positiver Energie ist einfach alles möglich.“ Zudem sei sie selbst – wie Charity – jemand, der „für seine Ziele kämpft und an das Gute glaubt“.

Im Wirbelwind-Charakter ihrer Figur findet sich Habermann wieder, selbst wenn sie äußerlich anders ist mit glatten braunen Haaren und Brille. Gelockte Rotschopf-Perücke auf, Kuschelmantel um – und aus Habermann wird die quirlige Charity, die bei den Vorabdreharbeiten vor dem Schloss Schönbrunn und im Prater energiegeladen Luftsprünge vollführt und fröhlich im Sprühregen tanzt (was Habermann anschließend auch gerne via Fotos auf Instagram und Facebook mit Freunden teilte). „Dieses Video wurde gedreht, damit die Zuschauer Charity schon während der Ouvertüre kennen und lieben lernen“, sagt Habermann.

Um dem Publikum die Figur der Charity gleich während der Ouvertüre vorzustellen, wurde ein Video gedreht, in dem die Hauptfigur einen Ausflug quer durch Wien macht: Lisa Habermann und Ensemble drehten auch im Wiener Prater.

Foto: Barbara Palffy

Tanzende Anzüge

Energie bezog sie auch aus der Figur der Charity selbst: „Jemand, der nie aufgibt, ist sehr inspirie­rend. Auch wenn eine Freundin recht hat, die zu Charity sagt: ‚Dein Herz ist wie ein Hotel. Dauernd checken Leute ein und aus.‘ Sie gibt jedem eine Chance. Umso tragischer, dass sie in einem Milieu landet, das selbst mit so viel Vorurteilen behaftet ist und letztlich ihre Liebe bedroht.“ Die Bandbreite zwischen der Frau mit Taxigirl-Job und einem beinahe kindlichen Charakter mache die Figur noch interessanter, findet Habermann.

Ist Charity in all ihrer Unbedarftheit naiv? „Wir weigern uns, das Wort naiv negativ zu konnotieren. Man könnte es auch so sehen: Sie ist beschenkt mit Unbefangenheit. Es geht um das Staunen, um das Feiern jedes Moments. Jemand, der nur naiv ist, würde einfach alles hinnehmen. Sie hat aber die Hoffnung, dass Dinge sich ändern.“

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Wie Alice im Wunderland

Um den Charakter der Charity noch lebendiger darstellen zu können, bricht Regisseur Johannes von Matuschka auch die Grenzen des Realen. Etwa als Charity im Kasten des Filmstars Vittorio sitzt, den sie über den Verlust seiner Freundin hinweg­trösten wollte – als just diese unvermittelt in der Wohnung auftaucht, sieht Charity dies nicht als Nieder­lage. Vielmehr möchte sie diesen besonderen Moment, einem Star so nahe zu sein, nicht allein feiern: „Wir machen aus der berühmten Solo­nummer eine Ensembleszene, in der die Anzüge aus dem Kasten zu tanzen beginnen.“

Nur ein Detail von vielen, das dazu beitragen wird, von bisher Gesehenem wegzukommen – gibt es doch durch Fellinis Film, auf dem das Stück basiert, die Verfilmung des Musicals mit Shirley MacLaine sowie frühere Bühnenfassungen Vorbilder. Von diesen fühlt sich Habermann „befreit, weil wir es ganz anders machen“.

Zwar hat sie die Filmvorlagen studiert, für sie ist allerdings klar: „Warum Charity so ein wahnsinnig positiver Charakter ist, muss man in sich selbst finden. Für mich ist sie ein wenig wie Alice im Wunderland, die aus dem Universum gefallen ist. Manchmal baut sie sich ihre Wahrheit selbst, um weiterzumachen und vor ihren Freundinnen nicht das Gesicht zu verlieren. Sie erkennt aber mehr und mehr, dass das Leben, wie es gerade läuft, einfach nicht mehr passt für sie.“

Für die stetige Veränderung steht ebenfalls die Drehbühne, auf der Charity sich fortwährend bewegt und durch die sie in die unterschiedlichsten Situationen gerät – bis hin zu einem Auftritt eines Gurus, der von seiner Rhythm-of-Life-Kirche erzählt und an der Volksoper von Publikumsliebling Drew Sarich verkörpert wird.

Schon während der Ouvertüre wird ein Video von Lisa Habermann und Ensemble in Wien gezeigt.

Foto: Barbara Palffy

Teamgeist und Vertrauen

Was Habermann darüber hinaus ganz offensichtlich zum Strahlen bringt: dass sie in „Sweet Charity“ erstmals seit längerem wieder tanzen darf. Die am Performing Center Austria ausgebildete Darstellerin war vor ihrer Volksopernzeit bereits in „Sister Act“ in Hamburg, „Mary Poppins“ am Ronacher (u. a. in der Titelrolle) sowie als Dorothy in „Der Zauberer von Oz“ in Klagenfurt zu sehen. Nun ist sie nach der freischaffenden Phase gerne Ensemblemitglied an der Volksoper: „Man spürt einen extremen Teamgeist. Das gab mir auch Mut, mich als Musicaldarstellerin in einer Operette auszuprobieren. Dadurch wächst man in kurzer Zeit.“

Auch „Sweet Charity“ bringt für Habermann eine Neuerung: „Johannes von Matuschka will beim ersten Auftritt eine Art Improvisationsszene von mir, da ist es wichtig, dass man Vertrauen hat – ein spannender Stückbeginn für mich.“ Selbst wenn man an ihrem Gesichtsausdruck bemerkt, wie Habermann sich hier herausgefordert fühlt, nennt sie es eine Chance, die Zuschauer gleich zu Beginn der Aufführungen mit etwas ganz Persönlichem zu erfreuen. Als Geschenk an das Publi­kum sieht Haber­mann generell, „dass wir trotz ­aller Widrigkeiten dieses Schmuckstück von Musi­cal auf die Beine gestellt haben. Unser Ziel ist es, mit dieser Premiere wieder Leben und Hoffnung in die Stadt zu bringen.“ Spricht’s – und strahlt wieder diese sprühende Freude aus, die auch so gut zu Charity passt. Ansteckend, im besten Sinn.

Sweet Charity in fünf Sätze

1. „Sweet Charity“ geht auf den Fellini-Film „Die Nächte der Cabiria“ zurück. 2. Broadway-Ikone Bob Fosse machte den Stoff zum Musical.
3. Star-Dramatiker Neil Simon schrieb das Libretto, Cy Coleman die Musik.
4. Mix aus klassischem Broadway-Sound mit Jazz, Gospel und Pop.
5. An der Volksoper inszeniert von Johannes von Matuschka.

Lisa Habermann, 31
Die Linzerin lebt in Wien, wo sie die Musicalausbildung abschloss und u. a. im Ronacher, in den Kammerspielen und an der Volksoper in Hauptrollen zu sehen war. Sie trat auch auf den Bühnen in Klagenfurt, Hamburg und Bremerhaven auf.

Spielplan der Volksoper Wien: „My Sweet Charity“
Premiere: 13. September, 19 Uhr