Moderne Matriarchin
Royales Ereignis: Am 10. Oktober feiert „Maria Theresia – Das Musical“ Weltpremiere im Ronacher. Dabei zeichnet ein junger Cast rund um Nienke Latten und Moritz Mausser das Leben der Regentin nach. Mit Hip-Hop, Parkour und großen Gefühlen.
„Kaiserin der Popkultur.“ So nannte Regisseur Alex Balga Österreichs reformorientierte Urmutter, als ein erlauchter Kreis im Ronacher erste Ausschnitte aus der neuen VBW-Eigenproduktion zu Gehör und zu Gesicht bekam. Damit ist auch die dynamische Richtung klar, in die es künstlerisch gehen soll: innovativ, relevant, kraftvoll, modern, wofür auch die überwiegend junge Besetzungsliste spricht.
„Wir haben uns mit Maria Theresia keine historische Figur gebaut, sondern wollten immer einen Menschen zeigen. Die Geschichte bestimmt natürlich die Fakten, aber den Charakter der Kaiserin konnten wir gestalten“, so Alex Balga, dem es wichtig ist, Gesang, Tanz, Schauspiel und ein mit komplizierter Technik versehenes Bühnenbild zu einer imposanten Einheit zu verschmelzen, die cinematografische Effekte beinhaltet und dem Publikum noch lange im Gedächtnis bleiben soll.
Im realen Leben haben sich Regentin und Privatperson natürlich gegenseitig beeinflusst, was zum Beispiel den Kindern von Maria Theresia, die aus machtpolitischen Gründen quer über den Kontinent verheiratet wurden, nicht immer zum Vorteil gereichte. Ist dem Regisseur die Regentin in ihrem Handeln durch die Arbeit am Stück sympathisch geblieben? „Ja, weil sie gegen den Strom geschwommen ist. Andererseits hat sie Fehler gemacht, die sie manchmal bereut, mitunter aber auch einfach beiseitegeschoben hat. Das macht sie nahbar, weil wir selber auch so handeln. Sie musste sich gegen mannigfaltige Widerstände in der Welt behaupten und war natürlich ambivalent, aber gerade deshalb ist sie so spannend. Es gibt viel über sie zu sagen, weshalb wir auch ein Musical aus ihrer Vita gemacht haben.“

Brücke zum Hier und Heute
„Es war dieses Mal unsere Prämisse, einen historischen Stoff so zu erzählen, wie das auch junge Leute untereinander tun würden“, erklärt Christian Struppeck, von dem die Idee zum Stück stammt und der als VBW-Musical-Intendant für die gesamte künstlerische Entwicklung verantwortlich zeichnet.
„Warum interessiert uns diese Frau überhaupt noch, weshalb ist sie dermaßen präsent, was ist das Coole an ihr? Wir wollten eine moderne Sprache finden und aus diesem Grund gibt es neben den Musicalmelodien eben auch Rock, Pop, Hip-Hop und Parkour.“ Für alle Vor-Millennials: Parkour beschreibt eine effiziente Art der Fortbewegung, bei der Hindernisse scheinbar mühelos überwunden werden. Das heißt, Tänzer springen auf und über Objekte, was dem Publikum rein optisch bereits den Atem raubt.

„Uns liegt nicht die Vertonung eines Geschichtsbuchs am Herzen, sondern dass man versteht, was so außergewöhnlich an Maria Theresia war. Wie sie als blutjunge Frau gegen den Willen vieler Zeitgenossen, die ihr keine lange Zukunft vorausgesagt haben, auf den österreichischen Thron kam und sich behauptet hat. Sie hat Kriege geführt, Reformen angestoßen, den Sozialstaat vorangebracht, das Heer umgekrempelt, ein modernes Steuersystem etabliert und 40 Jahre lang regiert. Das ist doch auch heute noch höchst erstaunlich.“
Man wolle visuell und dramaturgisch die Brücke zur aktuellen Kultur schlagen, aber trotzdem authentisch und ernsthaft bleiben, ergänzt Christian Struppeck. Der Vorverkauf laufe höchst erfreulich. „Das zeugt von einer positiven Erwartungshaltung des Publikums, das sicherlich hofft, etwas Tolles zu sehen zu bekommen. Und genau das werden wir auch mit allen Kräften einzulösen versuchen.“

Endlich Ecken und Kanten
Eine Bürgschaft für das Vorhaben Erfolg ist zweifellos Nienke Latten. Für Regisseur Alex Balga ist sie neben ihren professionellen Vorzügen vor allem deshalb die ideale Maria Theresia, weil sie in Kontakt mit ihren eigenen Gefühlen treten könne und dadurch die notwendige emotionale Durchlässigkeit habe. „Das Herausfordernde an dieser Rolle ist, dass man in zweieinhalb Stunden so viele Höhen und Tiefen erlebt, und ich habe schon früh gemerkt, dass es nicht möglich ist, diese Bandbreite an Emotionen rein technisch zu bewältigen. Man muss wirklich sehr tief reingehen und trotzdem darauf achten, dass man noch gut singen und die Geschichte weitererzählen kann“, erläutert Nienke Latten.
Als Vorbereitung auf die Rolle habe sie viel gelesen, sich Dokus angeschaut und dabei erfahren, wie viel von Maria Theresia im heutigen Österreich noch vorhanden sei. „Ein besonderer Moment war, als ich zu ihrer Statue zwischen Natur- und Kunsthistorischem Museum gegangen bin, ihr in die Augen geschaut und gedacht habe: ,Oh Gott, ich werde tatsächlich eine Frau spielen, der man mitten in Wien ein solch großes Denkmal errichtet hat.‘“
Nienke Latten freut sich auf ihre erste Titelrolle. „Bisher war ich immer die junge Geliebte oder die Prinzessin. Jetzt darf ich eine Frau darstellen, die sich ihren Kindern gegenüber manchmal total unsympathisch benimmt. Aber wenn man so viel Macht hat und weitreichende Entscheidungen treffen muss, ist eben nicht alles immer Sonnenschein.“ Wie bereitet sie sich physisch und mental auf diese Monsteraufgabe, bei der sie über einen langen Zeitraum beinahe täglich stundenlang auf der Bühne stehen wird, vor?
„Ich gehe jeden Morgen ins Gym, um körperlich fit zu bleiben. Und danach in die Sauna, um mich zu entspannen. So fängt der Tag einfach besser an.“

Geliebter Hallodri
„Diese historische Figur fühlt sich wie ein Mantel an, deren Kern aus der beschriebenen Situation heraus aber ehrlich sein muss. Das Wichtigste für mich ist, was ich im Moment, in der jeweiligen Situation, darstellen möchte“, erklärt Fabio Diso „seinen“ Franz Stephan von Lothringen.
Im wahren Leben war Maria Theresias Ehemann nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann und begeisterter Naturwissenschaftler, sondern auch ein Schürzenjäger, dem diverse Beziehungen zu anderen Frauen nachgesagt wurden. Wie wird die Ehe im Musical thematisiert?
„Die Beziehung der beiden war für die damalige Zeit sehr modern, weil sie auf Augenhöhe funktionierte. Sie haben aus Liebe geheiratet, 16 Kinder miteinander in die Welt gesetzt – und wir stellen diese Romantik auch dar. Aber es gibt auch Szenen, in denen das Fremdgehen, das zu der Zeit in bestimmten Kreisen sicher eher hingenommen wurde, eine Rolle spielt. Auch die damit einhergehende Problematik, dass es der gesamte Hof mitbekommen hat.“
Fabio Diso hält Franz Stephan für einen emanzipierten Mann, der seiner Frau die Regierungsgeschäfte vollumfänglich überlassen hat. „Er hat gezeigt, dass es auch in Ordnung ist, ein stiller Architekt im Hintergrund zu sein. Das ist eine sehr moderne Botschaft, die mir auch persönlich wichtig ist.“

Stimme im Kopf
Einer, der Maria Theresia garantiert nicht zugetan war, wird von Moritz Mausser zum Leben erweckt: Friedrich II. von Preußen, Repräsentant des aufgeklärten Absolutismus und vom Volksmund „der alte Fritz“ genannt, führte die drei Schlesischen Kriege gegen Österreich. „Er war zwar ein sehr aufgeschlossener Herrscher, ist im Stück aber der Antagonist und als solcher eine wirklich spannende Figur. Nachdem ich mich intensiv mit seiner Biografie beschäftigt habe, würde ich sagen, dass er ein vielseitiger Mensch war, der aber auch Schattenseiten hatte und unter Depressionen litt. Er trug Wut und Verzweiflung in sich, die er aber gut unterdrücken konnte, weshalb er als sehr umgänglicher Typ wahrgenommen wurde. Im Musical ist er Maria Theresias großer Widersacher und meine Aufgabe ist es, diese für die Handlung wichtige Seite herauszuarbeiten – seine Kriegsbereitschaft, das Militante, die Hinterlist, denn er war nicht umsonst ein berühmter Feldherr.“
Psychologisch betrachtet, rührte der Hass des Preußen auf die Österreicherin wahrscheinlich daher, dass sie ihm seine Defizite vor Augen führte. „Auch er hätte gern einen Vater gehabt, der sich für seine Bedürfnisse interessiert hätte. Stattdessen hat dieser seinen Freund Katte, mit dem ihn wahrscheinlich romantische Gefühle verbanden und der mit ihm in jungen Jahren fliehen wollte, hinrichten lassen. Friedrich wird im Stück die Stimme in Maria Theresias Kopf sein, die ihr das Leben immer wieder zur Hölle macht. Und diese Sequenzen machen mir großen Spaß“, so Moritz Mausser amüsiert.
„Maria Theresia – das Musical“ beleuchtet Leben und Wirken der ersten Herrscherin der Habsburgermonarchie und erzählt in einer spannenden Story von Machtspielen, Intrigen und Krieg – aber auch von der Person hinter der Kaiserin, die sich in einer männerdominierten Gesellschaft zu beweisen wusste, 16 Kinder zur Welt brachte und eine damals unübliche Liebesehe führte. Musikalisch spannt sich der pulsierende Bogen von Musical über Pop bis zu Rap. Energiegeladene Tanzszenen mit Parkourelementen unterstreichen den jungen, zeitgemäßen Anspruch.
Vertraute Seelenwärmerin
Ein besonders inniges Verhältnis pflegte die Kaiserin zu Reichsgräfin Maria-Karolina von Fuchs-Mollard, von ihr liebevoll „meine Füchsin“ genannt. „Sie war so etwas wie Maria Theresias ,Lebensberaterin de luxe‘ – Gouvernante, Vertraute und Fels in der Brandung. Klug genug, die Hofetikette im Schlaf rezitieren zu können, diplomatisch wie ein Schweizer Taschenmesser und gleichzeitig mit dem Herz einer Ersatzmama. Man könnte sagen, sie war der Mensch gewordene Mix aus Knigge, Personal-Coach und Seelenwärmer. Und dabei charmant genug, dass bei ihr sogar der Spitzname Füchsin mehr nach Zuneigung als nach Intrige klingt“, so Annemieke van Dam, die dieses Wunderwesen mimen wird.
Die Reichsgräfin schaffte es folgerichtig auch als einzige Nicht-Habsburgerin in die Kapuzinergruft. „Im Musical zeigt sich diese außergewöhnliche Verbindung aber nicht durch marmorne Gruftplatten, sondern durch Nähe und Wärme. Maria Theresia sieht in ihr nicht bloß eine Gouvernante, sondern die Person, der sie ihre Unsicherheiten anvertrauen darf. Die Füchsin darf Dinge sagen, die sonst niemand auszusprechen wagen würde. Und die Kaiserin hört sogar zu.“
Weil es zu dieser historischen Figur kaum Sekundärliteratur gibt, hat sich Annemieke van Dam eher praktisch auf sie vorbereitet. „Ich habe versucht, aus meiner eigenen Erfahrung als Mutter und in der Organisation eines Haushalts Parallelen zu ziehen und so einen Zugang zum Thema zu finden.“