J’Nai Bridges: Was haben Sie von Carmen gelernt?
Sie hat zwei Grammys, sang an der Met und an (fast) allen großen Opernhäusern der Welt. Jetzt gibt J’Nai Bridges die Carmen an der Staatsoper. Wir hatten ein paar Fragen.

Foto: Soloman Howard
Sie sagen, dass Carmen für Sie eine Heldin ist. Warum?
Carmen ist eine Heldin, weil sie nichts und niemanden fürchtet. Selbst angesichts der Gefahr hat sie die ultimative Kraft und den Mut, ihrer Wahrheit treu zu bleiben. In der „Habanera“ legt sie alles offen dar, das heißt, sie sagt ganz klar, wer und wie sie ist.
Stimmt es, wenn Carmen singt: „Die Liebe ist ein Zigeunerkind, sie hat nie, nie ein Gesetz gekannt.“?
Ich denke, auf Carmen trifft das sehr zu. An einem Tag liebt sie, und am nächsten kann sie völlig entliebt sein. Für Carmen ist die ultimative Liebe Freiheit.
„Carmen“ war die erste Oper, die Sie kennengelernt haben – welche Musik haben Sie vorher gehört?
Ich bin im Kirchenchor aufgewachsen und habe Rhythm and Blues, Jazz, Gospel und Pop gehört. Ich habe auch klassisches Klavier gespielt, daher war klassische Klaviermusik schon in jungen Jahren Teil meines Lebens. Klassischer Gesang und Oper kamen erst viel später dazu. Als ich mit klassischer Chormusik in Berührung kam, schien meine Stimme wie angegossen zu diesem Stil zu passen. Als ich dann ein Video von „Carmen“ sah, war ich sofort fasziniert, weil ich einige der Musikstücke wiedererkannte. Mir wurde klar, dass ich die Musik bereits in Filmen und Werbespots gehört hatte. Das weckte mein Interesse und meine Liebe zur Oper!
Wer ist Carmen für Sie?
Für mich ist Carmen eine Frau, die wir alle zumindest teilweise gerne sein möchten. Sie ist frei von dem, was andere und die Gesellschaft von ihr denken. Selbst in schwierigen Situationen bleibt sie kompromisslos sie selbst. Das erfordert große Stärke und Selbstvertrauen, und für mich ist Carmen der Inbegriff von Freiheit und Stärke. Manche halten sie vielleicht für einen schlechten Menschen oder eine Femme fatale, aber ich sehe sie einfach als Nonkonformistin und Freigeist.
Was haben Sie von Carmen gelernt?
Ich habe viel von Carmen gelernt. Viele Leute halten sie für einseitig, aber ich glaube, Carmen ist eine sehr vielschichtige Frau. Sie ist verspielt, lustig, frei, ernst, dramatisch, liebevoll, sexy und manchmal auch ein bisschen gemein. Sie spiegelt menschliche Eigenschaften und Charakterzüge wider. Menschen sind komplex und vielschichtig, und die Auseinandersetzung mit dieser Rolle hat mir geholfen, Emotionen und Menschlichkeit besser zu verstehen. Aus musikalischer Sicht hat Carmen meine Musikalität und Technik erweitert. Es gibt leichte und verspielte Momente, während ich gleichzeitig das Drama des vierten Aktes singe. Die Bandbreite dieser Rolle hat mir beigebracht, dramatisch und stimmlich zu agieren.
Die Kunst hat mich gewählt. Als mein Basketballtrainer merkte, dass ich Gesangsunterricht nehme, war er sehr verärgert.
J’Nai Bridges, Mezzosopranistin
Carmen wurde aus einer männlichen Perspektive geschrieben – gibt es Passagen, in denen Sie sich als Frau unwohl fühlen?
Die Szenen, in denen José gegenüber Carmen körperlich aggressiv wird, sind immer unangenehm. Ich muss mich jedes Sinn der Oper besteht darin, menschliche Emotionen darzustellen, und diese besondere männliche Perspektive ist leider für viele eine zutreffende Darstellung. Ich liebe meinen Job, denn auch wenn es manchmal unangenehm ist, kann ich in die Rolle einer anderen Person und Figur schlüpfen und hoffentlich eine Veränderung zum Besseren bewirken.
Sie wollten ursprünglich Basketballspielerin werden – aber Sie entschieden sich für die Kunst ... warum?
Ich sage gerne, die Kunst hat mich gewählt. Ich hatte nie den Traum, Opernsängerin zu werden, aber ich habe Musik immer geliebt. Als meine Chorleiterin meine natürliche Gesangsbegabung bemerkte, ermutigte sie mich, privaten Gesangsunterricht zu nehmen, und das tat ich! Mein Basketballtrainer war sehr verärgert und weigerte sich, mich spielen zu lassen. Ich wurde gewissermaßen zu einer Entscheidung gezwungen, und im Nachhinein bin ich froh darüber. Ich begann, mich ganz auf Gesang und Musik zu konzentrieren, und das hat mich dorthin gebracht, wo ich heute bin.
Ich glaube nicht an Fehler. Alles ist eine Lektion oder eine Chance für etwas Besseres. Ich war am Boden zerstört, als mein Basketballtrainer mich vor die Wahl stellte, aber ich habe die absolut richtige Entscheidung getroffen! Oper und klassische Musik sind meine Lebensleidenschaft, und ich wurde auf die richtige Weise dorthin geführt. Ach ja, ich spiele immer noch zum Spaß Basketball, also habe ich das Beste aus beiden Welten.