Ob er Sachertorte mag, lautet eine der ersten Fragen, die der 24-jährige Jan Bülow beim Bühne- Interview im Burgtheater beantworten muss. „Ja, schon. Aber vielleicht nicht unbedingt jetzt gleich. Jetzt wäre mir das irgendwie zu viel“, so die angesichts der etwas aus der Norm fallenden Frage sehr abgebrühte Antwort des Schauspielers mit dem markanten Gesicht, der auf direktem Weg vom Bahnhof ins Burgtheater gekommen ist. Nicht aus Berlin, der Stadt, in der er aufgewachsen ist und studiert hat, sondern aus Mainz. Mit einem kleinen Umweg über Salzburg, wo sein Bruder lebt.

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Ziemlich viel Weg und Karriere gemacht

„Insgesamt habe ich schon ziemlich Kilometer gemacht in den vergangenen Tagen“, sagt er, während er sich ruhelos, jedoch gut gelaunt, durch die Garderobe bewegt. Seine langen Arme schlenkern im Takt seines Sprechens mit. Jan Bülow hat aber nicht nur in den letzten 24 Stunden mehr Weg zurückgelegt als viele andere, er hat auch mit 24 Jahren bereits ziemlich Karriere gemacht.

Von der Schauspielschule ging es für ihn direkt an das Schauspielhaus Zürich, von dort weiter ans Burgtheater. Mit mehreren Zwischenstopps in der Film- und Serienwelt, zuletzt als junger Udo Lindenberg im Film „Lindenberg! Mach dein Ding“. Scheint so, als wäre dem jungen Schauspieler nur in Ausnahmefällen irgendetwas zu viel.

Dabei hat das ­Ganze irgendwann einfach so eine Dynamik ­bekommen, dass ich das alles gar nicht mehr wirklich realisieren konnte. 

„Wenn ich jetzt zurückschaue, dann hat eines zum anderen geführt“, erzählt er. Verbunden mit unheimlich vielen Flügen, viel Druck und einer ­großen Ladung Verantwortung. „Irgendwann bin ich sogar ein bisschen emotional abgekühlt. Da meinten die Leute schon, dass ich von meinem Wechsel ans Burgtheater so sprechen würde, als sei es total selbstverständlich. Dabei hat das ­Ganze irgendwann einfach so eine Dynamik ­bekommen, dass ich das alles gar nicht mehr wirklich realisieren konnte.“ 

Jan Bülow am Fenster zur Ringstraße. Der Burgschauspieler spricht über Druck, Stolz und seine erste große Liebe.

Foto: Lukas Gansterer

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Auf „Pause“ drücken 

Die coronabedingte Pause hat Jan Bülow, seit der Spielzeit 2019/20 am Burgtheater engagiert, genutzt, um Verarbeitungsprozesse in Gang zu bringen, gedanklich von der Überholspur auf den Pannenstreifen zu wechseln. Ohne Panne zwar, aber mit dem dringenden Wunsch, kurz auf „Pause“ zu drücken. „Plötzlich war ich dann an dem Punkt, wo es mir gelungen ist, zurückzuschauen und stolz auf mich zu sein. Bescheidenheit ist zwar eine ganz schöne Gabe, aber man muss auch ab und zu sagen können, dass man etwas gut gemacht hat.“

Dass der Beschleunigungsstreifen nicht der angemessene Ort dafür ist, um sich ausschweifenden Gedankengängen hinzugeben, zum Beispiel über mögliche Erwartungshaltungen seitens des Publikums oder eines Regisseurs, hatte durchaus auch gute Seiten: „Ich habe über die tatsächliche Reichweite meiner Rolle als Hamlet und später auch als Udo Lindenberg gar nicht so richtig nachgedacht. Man kommt in ein Ensemble oder ein Filmteam und fängt einfach an. Natürlich war ich total froh über die Rollen – während der Arbeit hört man aber sehr schnell auf, darüber nachzudenken.“

Auch ein Kinofilm ist einfach eine Arbeit, die man ausübt.

So war es auch, als er in Zürich in einer Inszenierung seines „Regiehelden“ Frank Castorf spielte, mit Alexander Scheer auf der Bühne stand – oder eben auf Udo Lindenberg traf: „Als ich zum ­ersten Mal vor Udo Lindenberg saß, habe ich erst ein paar Stunden später realisiert, dass das der Typ ist, den unglaublich viele Menschen kennen.“ Irgendwann ist jeder Mensch einfach ein Mensch. „Und dann ist auch ein Kinofilm einfach eine Arbeit, die man ausübt“, setzt der junge Schauspieler hinzu und blinzelt dabei hinter einigen zerzausten Strähnen hervor. So klar, so gut. 

Für Jan Bülow, demnächst als Richard II. auf der Bühne des Burgtheaters, zeichnen Shakespeares Stoffe die Grundprobleme unserer Gesellschaft nach und spiegeln Machtgefüge wider.

Foto: Lukas Gansterer

Mit der U-Bahn zur Probe 

Diese Klarheit soll auch noch unser weiteres Gespräch prägen. Dabei standen vor dem Treffen alle Zeichen eher auf Posing statt auf klarer Positionierung. Schließlich ist Jan Bülow mit seinen 24 Jahren im perfekten Popstar-Alter, beim ersten Hinsehen könnte man ihn ohne mit der Wimper zu zucken für den Leadsänger einer Indie-Band halten. Aber weit gefehlt, sehr weit sogar.

Jan Bülow ist ein junger Schauspieler, der sehr reflektiert an seinen Job herangeht, seine Haltung ohne große Umschweife vermittelt, auch wenn sein schlaksiger Körper und sein manchmal schon fast schüchternes Lächeln etwas anderes suggerieren.

Das sagt auch viel darüber aus, warum das Theater und nicht der Film seine „erste große Liebe“ ist. „Am Theater finde ich schön, dass man da auch richtig körperlich arbeiten muss. Außerdem fährt man mit der U-Bahn zur Probe und nicht mit dem Taxi, es gibt nicht jeden Tag ein Catering, das Häppchen serviert, und ich gehe über den Bühneneingang hin­ein und nicht über einen roten Teppich.“

Jan Bülow und das "ehrliche" Handwerk

Filme möchte er in Zukunft jedoch weiterhin machen, insgesamt findet er das Handwerk im Theater aber ehrlicher. „Ich finde es wichtig für die eigene Psyche als Schauspieler, dass man diesen Gegensatz verspürt“, fügt er hinzu.

Jan Bülow­ empfindet es auch alles andere als selbstverständlich, wie man als Schauspieler im Burgtheater hofiert wird. „Ich bin hier im Servicehimmel“, sagt er, während zunächst nur seine Augen lachen. Wenig später lacht sein ganzes Gesicht. „Wenn ich Kollegen sehe, die Garderobieren herumkommandieren, finde ich das extrem unangenehm – kenne das aber eigentlich auch nur aus dem Film. Ich würde jeden verstehen, der mir eine klatscht, wenn ich sage, dass er oder sie meine Unterhose aufheben soll.“

Kleiner Weltuntergang im Burgtheater

In seiner ersten Spielzeit am Burgtheater feierte Jan Bülow insgesamt zwei Premieren: in Thorleifur Örn Arnarssons Inszenierung der „Edda“ und in Wajdi ­Mouawads Stück „Vögel“, bei dem Itay Tiran Regie führte. Ab Dezember ist er (hoffentlich) als Richard II. in Shakespeares Königsdrama zu sehen.

An den Stücken des englischen Dramatikers findet Jan Bülow besonders schön, dass man sie in alle mög­lichen Richtungen auslegen kann. „Man hat das Gefühl, dass im Soziotop des königlichen Hofes das Schicksal der Welt entschieden wird. Des­wegen ­ergibt sich daraus auch so ein guter Theater­stoff. Auf das Publikum wirkt es bestenfalls so, das in diesen vier Wänden die Welt untergeht. Und wenn das Theater zusammenkracht, ist alles vorbei“, sagt er.

Auch ein Intendant kann so eine shakespeare­hafte Machtfigur sein.

Für ihn ist es nicht nur so, dass Shakespeares Stoffe Grundprobleme unserer heutigen Gesellschaft nachzeichnen, sie spiegeln auch Macht­gefüge wider, wie man sie aus dem Theater­betrieb selbst kennt. „Auch ein Intendant kann so eine shakespeare­hafte Machtfigur sein“, erklärt Jan ­Bülow. Den umstrittenen Herrscher Richard II. betrachtet er als Modernist, der sich selbst im Begriff sieht, eine neue Zeitrechnung einleiten zu können. „Der alte Mief und die Tradition scheinen ihn wenig zu interessieren. Fast scheint es, als wolle er als Herrscher eigentlich seine Ruhe haben. Als scheue er Konflikte und andere Unannehmlichkeiten.“ 

Fahrlässiger Umgang 

„Gleichzeitig nimmt er seine Rolle als Herrscher aber nicht so ernst, wie das vielleicht andere Herrscher tun würden, worin dann auch ein gewisses Maß an Fahrlässigkeit liegt“, sagt er. Im Zug nach Wien hat Jan Bülow über mögliche Referenzfiguren für die Rolle nachgedacht und ist dabei immer wieder auf Friedrich Ebert, den ersten Reichs­präsidenten der Weimarer Republik, ge­stoßen. Aber auch der Habsburger Rudolf II. kommt in diesem Zusammenhang zur Sprache, genauso wie der ehemalige Wirecard-Manager Jan Marsalek. „Richard ist insgesamt zu fahrlässig, zu naiv, er lässt die anderen zu sehr machen“, so Bülow.

Ein Problem, das er auch im Hier und Jetzt verortet: „Vielleicht geht auch unsere ­linksliberale Politik zu fahrlässig mit jenen Gefahren um, die momentan von rechts kommen.“ Kurz nach diesen Worten trennen sich unsere Wege. Vorher wird aber noch die Sachertorte verspeist, die wir für eines der Fotos vom Landtmann geholt haben. Jan Bülow ist wieder in Wien angekommen. 

Zur Person: Jan Bülow

Jan Bülow studierte an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, von wo aus er direkt ans Schauspielhaus Zürich engagiert wurde. Aus seiner kurzen Zeit
in Zürich blieb vor allem seine Rolle als Hamlet in ­Erinnerung. Im Biopic „Lindenberg! Mach dein Ding“ spielte der 24-jährige Udo Lindenberg. Seit der Spielzeit 2019/20 ist er am Wiener Burgtheater engagiert. 

Tickets und Termine: Richard II

Laut aktuellem Stand wurde die Premiere auf 2. Dezember verschoben. Informieren Sie sich auf der Seite des Burgtheaters über aktuelle Entwicklungen.

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