In der Mitte des minimalistischen Bühnenbilds: ein großer Holztisch. In Robert Ickes Stück „Die Ärztin“ wird dieser zum Seziertisch, auf dem der 35-jährige britische Regisseur gemeinsam mit seinem Ensemble einige der drängendsten gesellschaftspolitischen Fragen unserer Zeit ausbreitet und bis ins kleinste Detail untersucht. Sein Stück ist eine Überschreibung von Arthur ­Schnitzlers „Professor Bernhardi“, die jedoch nicht mehr als das Grundkonstrukt des zu seiner Zeit skandalträchtigen Stücks übernimmt. Erstmals gezeigt wurde es 2019 am Almeida Theatre in London, wo Robert Icke von 2013 bis zur Uraufführung des Stücks als Associate Director für ordentlich Furore sorgte.

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Die Genauigkeit, mit der Icke an seine Produktionen herangeht, ist Sophie von Kessel und Zeynep Buyraç sofort aufge­fallen. Die beiden Schauspielerinnen sind im Stück als Prof. Ruth Wolff und Prof. Roger Hardiman zu sehen. „Weil Robert Icke sowohl Autor als auch Regisseur des Stücks ist und es darüber hinaus schon mehrmals inszeniert hat, ist sein Text wasserdicht“, bringt es Zeynep Buyraç auf den Punkt. „Die Ärztin“ ist das Burgtheater-Debüt der vielseitigen Schauspielerin. Nach einer kurzen Pause ergänzt sie, dass es dadurch möglich war, mit ihm bis ins kleinste Detail über jeden einzelnen Satz und jede Textstelle zu sprechen. „Trotzdem hat er uns viel Freiheit gelassen, und es gab ausreichend Raum für Diskussionen.“ Genug Platz also, um auch die Sprache auf den Seziertisch zu legen und die ein oder andere Blockade im Fluss der Wörter aufzulösen. 

Absolute Konzentration

Die beiden Schauspielerinnen sind sich einig, dass das auffallend hohe Tempo des Textes vor allem eines von ihnen abverlangt: absolute Konzentration. Burgtheater-Ensemblemitglied Sophie von Kessel ist davon überzeugt, dass das auch daran liegt, dass der Originaltext in englischer Sprache verfasst wurde, die ja bekanntlich mit sehr viel knapperen und kompakteren Satzkonstruktionen auskommt als die deutsche. 

Ich fühle mich geehrt, diese Rolle spielen zu dürfen, gleichzeitig ist es aber auch sehr viel Arbeit, mit ihr Schritt zu halten.

Sophie von Kessel

Als „wahnsinnig schnell, intelligent und komplex“ beschreibt die Schauspielerin auch ihre Rolle, die Ärztin Prof. Ruth Wolff, die in Anlehnung an die titelgebende Hauptfigur des Schnitzler-
Textes entstanden ist. „Gleichzeitig sind das auch drei Begriffe, die bei mir wahnsinnigen Druck auslösen“, fügt sie lachend hinzu. „Ich fühle mich geehrt, diese Rolle spielen zu dürfen, gleichzeitig ist es aber auch sehr viel Arbeit, mit ihr Schritt zu halten.“ Sie beschreibt Ruth Wolff als Person, die ihre Geistesblitze mit einer großen Portion scharfsinnigstem Humor abfeuert – auf der Insel würde man vermutlich wit dazu sagen. 

Respektvolles Armdrücken

Wie Sophie von Kessel und Zeynep Buyraç das Verhältnis ihrer Figuren beschreiben würden? „Mit Armdrücken“, antworten sie sofort und beinahe einstimmig. „Sie haben aber auch großen Respekt voreinander. Ich würde sagen, dass ihr Verhältnis von beidseitiger Bewunderung geprägt ist“, erklärt Sophie von Kessel. Zeynep Buyraç bringt zusätzlich den Begriff der „Hassliebe“ ins Spiel. Während in Schnitzlers „Professor Bernhardi“ die Fronten nämlich ziemlich klar sind und die beiden – in seinem Text männlichen – Ärzte unmissverständlich als Antagonisten dargestellt werden, ist das in Robert Ickes Überschreibung ganz anders. 

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„Bei Schnitzler ist sofort klar, wer gut und wer böse ist. ‚Die Ärztin‘ ist sehr viel differenzierter und in diesem Themen­bereich definitiv eines der klügsten Stücke, denen ich bis jetzt begegnet bin“, so Buyraç, die davon überzeugt ist, dass das Stück auch gar nicht darauf abzielt, seine Figuren in zwei Lager zu teilen. „Ich bin mir nicht einmal sicher, ob das Publikum am Ende eindeutig sagen würde, dass ich die Heldin bin“, führt Sophie von Kessel den Gedanken ihrer Kollegin fort. 

Genau getaktet

Sophie von Kessel, die parallel zur Probenarbeit in Maurice Maeterlincks symbolistischem Stück „Pelléas und Mélisande“ auf der Bühne stand, genießt es sehr, derart unterschiedliche Arbeiten machen zu können. „Im Vergleich zu Prof. Ruth Wolff ist Mélisande fast eine stumme Rolle. Dafür war Daniel Kramers Inszenierung sehr viel emotionaler und körperlicher.“ 

Auch der Disziplin, mit der Robert Icke an seine Produktionen herangeht, begegnet man in dieser Form nicht alltäglich. Wie die beiden Schauspielerinnen erzählen, gehörte dazu auch, dass die Proben auf die Minute genau losgingen und es zeitlich exakt eingeteilte Lunch Breaks gab. Der Freude an der Arbeit tat das allerdings keinen Abbruch, sind sich Zeynep Buyraç und Sophie von Kessel einig. Ganz im Gegenteil. „Außerdem kann ich zumindest von mir selbst sagen, dass ich es als große Freiheit empfinde, wenn ich mich innerhalb eines festgesteckten Rahmens bewegen kann. Mir bereitet es eher Stress, wenn ich nicht weiß, ob ich mit einem Flickflack oder einfach aufrecht gehend auf die Bühne kommen soll“, findet von Kessel klare Worte. 

Mit einigen sprachlichen Turnübungen wird man in Robert Ickes „Die Ärztin“ auf jeden Fall aber rechnen müssen. 

Zur Person: Sophie von Kessel

Die 52-Jährige wurde in Mexico City geboren, studierte am Max Reinhardt Seminar und an der Juilliard School in New York und war vor ihrem Engagement am Burgtheater Ensemblemitglied am Münchner Residenztheater. In den Jahren 2008 und 2009 spielte sie die Rolle der Buhlschaft bei den Salzburger Festspielen. Seit der Spielzeit 2019/20 gehört sie zum Ensemble des Burgtheaters.

Zur Person: Zeynep Buyraç

In Istanbul geboren und aufgewachsen, absolvierte Zeynep Buyraç ihre Schauspielausbildung an der MUK Privatuniversität der Stadt Wien (damals Konservatorium Wien). Engagements führten sie unter anderem ans Werk X, das Theater Regensburg, das Landestheater Vorarlberg, das Landestheater Linz, das Staatstheater Ankara, das Theater Drachengasse und zu den Bregenzer Festspielen.

Infos und Änderungen des Spielplans auf der Website des Burgtheaters