"Ich bin – auch auf erzählerischer und textlicher Ebene – ­einfach total vernarrt in dieses Mittel. Man kann es fast nicht anders sagen. Der Chor ­erlaubt einfach eine ganz andere Sprechweise, die den Fokus sehr viel stärker auf die Sprache selbst richtet. Wenn man so will, ist der Chor vielleicht sogar die offenste Textform überhaupt. Und es ist darüber hinaus natürlich auch ein wahnsinnig musikalisches Mittel.

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Weil ich ja sehr viel mit Musik arbeite – auch als Inspirationsquelle, die ich gerne dann anzapfe, wenn der Arbeitsfluss ins ­Stocken gerät –, ist das für mich natürlich ein weiterer wichtiger ­Aspekt, der diese ­Begeisterung zusätzlich befeuert. Etwas verkürzt kann man also ­sagen, dass es bei chorisch gesprochenen Textpassagen in erster Linie um Sprache und Rhythmus geht, man den Argumenten des Chors zwar schon zuhört, die ­Dimension der psychologischen Tiefe aber wegbricht. Als Zuschauerin und Zuschauer achtet man nicht auf den Background der Figur, die gerade spricht. 

"Ich wäre ja überhaupt dafür, an den großen Theatern wieder fixe Chöre einzustellen, wie es früher ­üblich war."

Thomas Köck

Dieser Hintergrund spielt keine Rolle, ist vollkommen egal. Daraus ­ergibt sich dann auch ein ganz anderer Gestus, weil man beim Chor einer Gemeinschaft zuschaut, die etwas verhandelt und sonst eigentlich meist vier Stars ­dabei zusieht, wie sie sich selbst verhandeln. Weil das Stück im Grunde wie eine Verhandlung funktioniert, kommt dem Chor auch in der ursprünglichen ­Fassung der ‚Antigone‘, die ich für ‚antigone. ein requiem‘ neu bearbeitet habe, eine elementare Aufgabe zu. Wie in einem Pingpong-­Spiel wird ­permanent ­abgewogen, welche der beiden Hauptfiguren recht hat, und der Chor stellt ­dabei die fundamentalen Fragen, nämlich jene nach Recht und Gesetz. ­

Deshalb wundert es mich auch immer sehr, wenn der Chor bei neuen Inszenierungen und Bearbeitungen der ‚Antigone‘ rausfliegt. Ich wäre ja überhaupt dafür, an den großen Theatern wieder fixe Chöre einzustellen, wie es früher ­üblich war. Aber das führt jetzt möglicherweise etwas zu weit. Jedenfalls habe ich den Chor in meiner Bearbeitung der ‚Antigone‘ ziemlich aufgewertet. 

"Während sich im Originaltext also die große Frage stellt, ob für ­jemanden, der Verrat an der eigenen Familie übt, das ­Bestattungsrecht gilt, frage ich mich, wem die Toten gehören, die an Europas Stränden liegen."

Thomas Köck

Das war auch deshalb machbar, weil ich die familiären Bande zwischen den Beteiligten so weit wie möglich aus dem Stück herausgelöst habe. Dadurch habe ich die Figuren auch von jener psychologischen Tiefe, die ich vorher schon erwähnt habe, befreit. Mir geht es also nicht um das Dilemma, das dem verwandtschaftlichen Verhältnis zwischen Antigone und Kreon eingeschrieben wurde, sondern um die Frage, was man mit Toten macht, die nicht von der eigenen ­Sippe oder Familie sind. Oder nicht derselben Nation angehören wie man selbst.

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Während sich im Originaltext also die große Frage stellt, ob für ­jemanden, der Verrat an der eigenen Familie übt, das ­Bestattungsrecht gilt, frage ich mich, wem die Toten gehören, die an Europas Stränden liegen."

Zur Person

Thomas Köck, 1986 in Wolfern (OÖ) geboren, lebt heute in Berlin. 2019 wurde er für sein Stück „atlas“ mit dem renommierten ­Mülheimer Dramatikerpreis ­ausgezeichnet. „antigone. ein ­requiem“, seine ­ Rekomposition des antiken ­Stoffes, ist ab September am Akademietheater zu sehen. 

Eröffnung der Saison 2020/21 im Akademietheater: Antigone. Ein Requiem

Termin: 12. September, 19:30 Uhr