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„Ich habe bei diesem Stück lauter Kapazunder der hohen Energie im Ensemble.“ Nicole Claudia Weber

„Ich habe bei diesem Stück lauter Kapazunder der hohen Energie im Ensemble.“ Nicole Claudia Weber
Foto: Christoph Liebentritt

Stimme weg. Ärger da.

Theater der Jugend

Was tun, wenn man spricht, aber kein Ton dabei herauskommt? „Das Geheimnis der verzauberten Stimme“ geht in der Regie von Nicole Claudia Weber diesem Identitätsproblem auf den Grund. Rasant, amüsant, clever und mit technischer Bravour.

Viraler Funfact. Nicole Claudia Weber hat eine angeraute Stimme. Sie ist nicht weg, aber deutlich hörbar belegt. „Ich war drei Tage krank“, eröffnet sie das Gespräch. „Und natürlich verfällt man als Regisseurin gleich in eine Hysterie, wenn man Proben versäumt“, fügt sie amüsiert an. Erst recht bei einem Stück wie diesem, das blitzschnelle Wechsel bei gleichzeitiger Präzision verlangt und dessen Komik punktgenau sitzen muss.

Dass es unmittelbar nach „Miranda im Spiegelland“ wieder ein Stück von Alan Ayckbourn geworden ist, welches sie am Theater der Jugend zu verantworten hat, ist einerseits Zufall, andererseits wollte sie Thomas Birkmeir in seiner letzten Saison als Direktor damit auch ein Abschiedsgeschenk machen. „Denn ich wurde hier stets sehr gut behandelt und fühle mich künstlerisch wie menschlich bestens aufgehoben.“

Schon 2007 feierte „Das Geheimnis der verzauberten Stimme“ im Renaissancetheater seine deutschsprachige Erstaufführung – und weil nichts so schnell altert wie Kindertheater, musste Nicole Claudia Weber das Stück des britischen Großmeisters für subversiven Humor – gemeinsam mit Hauptdarstellerin Charlotte Zorell und Dramaturg Sebastian von Lagiewski – bearbeiten, um es aktuell zu halten.

Tour de Force

Zum Beispiel war es Nicole Claudia Weber wichtig, der Hauptfigur Tia Maria von Anfang an Text zu geben, während Ayckbourn deren Redseligkeit dahingehend abstrahierte, als er sie lediglich „Plapperplapperplapper“ sagen ließ. „Als nervig empfunden wird die überbordende Eloquenz dieses Mädchens ja nur deshalb, weil die Erwachsenen nicht damit umgehen können. Sie ist im Stück auch das einzige Kind, also war klar, dass wir eine Relation finden müssen, die vor allem den Kindern dient, denn diese sind schließlich unser Publikum.“

Zur Person

Nicole Claudia Weber wuchs in der Nähe von München auf, studierte Schauspiel, Gesang und Tanz in Wien, arbeitete erfolgreich als Darstellerin, unterrichtete im Rahmen eines Resozialisierungsprojekts Jugendliche im Fach Schauspiel & Improvisation und gab 2006 mit Raoul Biltgens Stück „I will survive“ ihr Regiedebüt. Sie inszeniert Schauspiel und Musiktheater im gesamten deutschsprachigen Raum und ist regelmäßig zu Gast am Theater der Jugend, wo sie zuletzt Alan Ayckbourns „Miranda im Spiegelland“ realisierte.

Als Tia Maria, deren sehnlichster Berufswunsch es ist, Marktschreierin zu werden, eines Morgens stimmlos aufwacht, ist die Aufregung bei ihren mitunter überforderten Eltern groß. Ärzte werden konsultiert, Medikamente verschrieben, Kuren empfohlen – mit dem Fazit, dass Tia Maria plötzlich in tiefer männlicher Basslage spricht. Nun wird der weltberühmte Opernsänger Enzo Grandioso konsultiert, der aber ebenso wenig auszurichten vermag wie seine Stimmbildnerin Eduna von Swutsch.

Schließlich macht sich Tia Maria selbst auf die Suche nach ihrer Stimme, entdeckt dabei die Machenschaften einer im Untergrund operierenden Stimm-Mafia, tauscht ihren dröhnenden Bass gegen das Krächzen einer Bauchrednerpuppe ein, was ihr TV-Ruhm beschert, und findet schließlich in einem furiosen Finale ihre eigene Stimme wieder. „Natürlich geht es dabei um das Mündig werden, um eine Reise zu sich selbst, die über eine Veränderung im Außen stattfindet, um Identität und Selbstbestimmung. Und das in einem unglaublich lustigen Kontext. Denn das Stück ist reich an Absurditäten und wir haben es im Ensemble improvisatorisch ja noch einmal komisch angereichert, weil alle spielfreudig sind und viele tolle Ideen haben. Manchmal muss man sortieren und aufpassen, dass man bei all dem Spaß nicht aus den Augen verliert, um wen es eigentlich geht.“

Ein eigenes Stück schreiben möchte Nicole Claudia Weber übrigens nicht. „Ich habe schon viele Fassungen erarbeitet, was zum Beispiel bei Operetten üblich ist. Das Schöne am Theater sind für mich aber der Austausch, die Zusammenarbeit im Team.“

Exakte Lippensynchronisation

Erst eine kindliche Stimme, dann ein männlicher Bass und schließlich der blecherne Klang eines Bauchredners. Wie geht das überhaupt? „Das ist wahrscheinlich die größte Herausforderung des Stücks und nur technisch möglich. Wir haben die Stimmen vorab aufgenommen, sie werden während der Vorstellung eingespielt und Charlotte Zorell, die Tia Maria darstellen wird, muss synchron dazu ihre Lippen bewegen. Was aber kein Problem sein wird, weil sie begnadet ist“, streut Nicole Claudia Weber ihrer Hauptdarstellerin Berge von Rosen. „Ich wollte nach ,Miranda‘ unbedingt wieder mit ihr arbeiten, weil ich ein Fan von ihr bin. Sie kann wahnsinnig viel, hat einen unglaublich wachen Geist, verfügt über ein ausgeprägtes Improvisationstalent, arbeitet aber auch nach Absprache präzise.“

Überhaupt sei das Ensemble bei diesem Stück ein besonderer Segen, wird der Rosenberg langsam zum Gebirge.

„Ich habe lauter Kapazunder der hohen Energie dabei“, lacht die Regisseurin. Für eine funktionierende Struktur und den nötigen Rhythmus sei sie verantwortlich. Neben vielen anderen gehört auch Jonas Graber zum Kreis der Akteure. Er hat sich in den letzten Jahren mit Hauptrollen in „Moby Dick“, „Emil und die Detektive“, „Miranda im Spiegelland“, „Die sieben Wünsche“ und „Heidi“ zum Publikumsliebling am Theater der Jugend gemausert und schlüpft diesfalls in viele Rollen. Vom Erzähler über einen Polizisten bis hin zum traurigen Clown Rollo und dem grantigen Bauchredner kann er dabei sein schauspielerisches Talenteregister voll ausschöpfen.

Das Stück

In Alan Ayckbourns rasanter Komödie will die redefreudige Tia Maria Marktschreierin werden und übt zum Leidwesen der Erwachsenen eifrig dafür. Eines Tages wacht sie aber ohne Stimme auf – und spricht nach zwei Behandlungen plötzlich mit tiefer ­ Bassstimme, wofür sie Hohn und Spott erntet. Sie beschließt, dem Spuk auf eigene Faust ein Ende zu setzen, begibt sich auf die Suche nach ihrer verlorenen Stimme, entdeckt eine illegal im Untergrund operierende Stimm-Mafia und landet schließlich im Fernsehen. Verpackt in ein humoristisches Feuerwerk, geht es um Fragen der eigenen Identität sowie der Notwendigkeit, seine Stimme zu finden und dieser auch Gehör zu verschaffen.

Grundsätzliche Überlegungen

Christine Nöstlinger hat einmal gesagt: „Ich mag manche Kinder gar nicht. Und vielleicht eigne ich mich deshalb besonders zum Kinderbücherschreiben.“

Wie sieht es diesbezüglich bei Nicole Claudia Weber aus? „Ich bin eher bei den Jugendlichen. Da, wo alle Erwachsenen ,Oh Gott!‘ seufzen, fängt es an, mich zu interessieren. Die Adoleszenz ist mir persönlich näher, da kann ich mich gut hineinversetzen. Ich mag zwar auch Kinder sehr gern, aber ich verliere mich bei ihnen nicht so schnell. Da bin ich auch ein bisschen zu verkrampft und wirke deshalb möglicherweise aufdringlich. Für Kinder ist das wahrscheinlich unerträglich.“ So viel Selbstironie muss man erst einmal haben.

Apropos: Warum lässt man beim Kindertheater eigentlich nie Kinder spielen?

„Weil es viele rechtliche Vorgaben zu erfüllen gilt, was an einem ganzjährig bespielten Theater organisatorisch kaum umsetzbar ist. Außerdem müssen Kids in die Schule gehen und können nicht jeden Tag auf der Bühne stehen. Ich habe viel mit Jugendlichen gearbeitet und weiß, was sie leisten können. Ich weiß aber auch, dass sie eine ganz andere Zuwendung brauchen und verdienen, die den Rahmen eines professionellen Theaterbetriebs mitunter sprengen könnte.“

Nicole Claudia Weber stand viele Jahre lang selbst als Darstellerin im Zentrum, ehe sie die Seiten gewechselt hat. Vermisst sie eigentlich nie den direkten Kontakt zum Publikum? „Nein“, kommt die Antwort rasch. „Ich weiß, dass es mit mir und dem Schauspiel gut funktioniert hat, und ich habe auch interessante Angebote bekommen. Aber ich war schon immer sehr kritisch und konnte bereits während meiner Ausbildung oft nächtelang nicht schlafen, weil ich überlegt habe, wie ich einem Kollegen sagen könnte, dass er eine Szene anders probieren sollte, ohne ihn zu kränken. Schon damals haben mich Leute gebeten, Szenen mit ihnen durchzugehen. Ich habe es einfach lange nicht geschnallt, dass ich eigentlich Regisseurin bin. Heute bin ich froh, nicht mehr auf der Bühne zu stehen. Manchmal probiere ich aber noch Dinge für mich selber aus, um zu überprüfen, ob sie funktionieren könnten.“

Und was kommt als Nächstes? „Ich inszeniere ,Schneewittchen und die 77 Zwerge‘ von Elena Kats-Chernin und Susanne Felicitas Wolf an der Oper Graz.“ Für alle, die einen Kurztrip in die steirische Landeshauptstadt planen: Premiere des Familienmusicals ist Ende November.

Hier geht es zu den Spielterminen von "Das Geheimnis der verzauberten Stimme" im Theater der Jugend!

Erschienen in
Bühne 08/2025

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Klaus Peter Vollmann
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