Eindeutig uneindeutig: „Knöpfe“ im Hamakom
Mit „Knöpfe" hat Ilse Aichinger ein Hörspiel geschaffen, das zwar in einer konkreten Welt verankert zu sein scheint, gleichzeitig jedoch auf geheimnisvolle Weise von dieser abweicht. Genau diese Spannung fand Regisseurin Bérénice Hebenstreit an dem Text besonders spanend. Wir haben sie und Ingrid Lang im Theater Nestroyhof Hamakom getroffen.
Ann ist erst seit kurzem in der Knopffabrik angestellt. Sie sortiert Knöpfe, die Frauennamen tragen und eine unheimliche Faszination ausstrahlen. Während der Arbeit dringen immer wieder seltsame Geräusche zu ihr durch, die jedoch nur sie hören kann. Außerdem scheint es ganz normal zu sein, dass am laufenden Band Arbeiterinnen aus der Fabrik verschwinden. Die vermeintliche Geborgenheit eines sicheren Arbeitsverhältnisses in unsicheren Zeiten steht den unheimlichen Mechanismen, die sich im Verborgenen der Fabrik abspielen, gegenüber. In ihrem 1953 produzierten Hörspiel „Knöpfe“ etabliert Ilse Aichinger eine Wirklichkeit, die auf subtile und zugleich unheimliche Weise von der Realität abweicht. „Es fühlt sich so an, als würde sie ein Brennglas auf die Realität legen“, sagt Regisseurin Bérénice Hebenstreit, die das Hörspiel im Theater Nestroyhof Hamakom auf die Bühne bringt. „Es ist spannend, mit diesen konkreten Situationen und Figuren umzugehen, gleichzeitig aber viele Dinge offenzulassen, weil jeder Satz mit einer zweiten Ebene ausgestattet ist.“
Die in Wien geborene Regisseurin begegnete dem Hörspiel vor einigen Jahren und fühlte sich von dem Text und seiner eindringlichen Atmosphäre sofort in den Bann gezogen. „Ich liebe Texte, die düster und fantastisch sind – die zwar realistisch anmuten, aber eine leicht verzerrte Wirklichkeit zeigen“, hält sie fest.
Sich dieses zwischen Realismus und fantastischer Poesie wabernde Hörspiel vorzuknöpfen, brachte natürlich auch Herausforderungen mit sich, so Hebenstreit. „Mir war es wichtig, eine Herangehensweise zu finden, die Ambivalenzen in der Deutung zulässt. Die nicht alles zu sehr verdeutlicht.“

Das Verschwundene erinnern
Kernfrage gab es für sie keine, jedoch ein Kernmotiv, fügt die Regisseurin hinzu. „Und zwar das Motiv des Verschwindens, das jedoch immer uneindeutig bleibt. Bis zum Schluss wird nicht aufgelöst, ob die Verwandlung der Arbeiterinnen in Knöpfe etwas Schönes ist oder sie vor allem Vernichtung bedeutet. Natürlich gibt es auch eine Assoziation zur Shoah, wie auch eine klare Verbindung zu den Mechanismen des Kapitalismus. Eine große Stärke dieses Textes liegt für mich darin, dass all dies Abgründe angesprochen werden, jedoch ohne physische oder verbale Gewalt vorkommen zu lassen.“
Das Motiv des Verschwindens taucht jedoch nicht nur in „Knöpfe“ auf, sondern zieht sich durch die gesamte Spielzeit, wie Ingrid Lang, die sich nun auch zu uns an den Tisch gesetzt hat, erläutert. „Der Vorgang des Verschwindens ist nicht automatisch gut oder schlecht. Das Wesentliche ist für mich das Erinnern – das Erinnern des Verschwundenen, das möglicherweise dabei hilft, Lücken und Leerstellen mit Dingen anzufüllen, die wir wirklich haben wollen“, präzisiert die künstlerische Leiterin des Theaters Nestroyhof Hamakom ihre Aussage.
Nach Dorothea Zeeman steht in dieser Spielzeit auch wieder eine verschwundene Autorin auf dem Spielplan, merkt sie an. In dem interdisziplinären Abend „An Stelle von Heimat halte ich die Verwandlungen der Welt“ widmet sich Ingrid Lang dem Werk der Nobelpreisträgerin Nelly Sachs. Eine Autorin, der es gelang, so die Regisseurin und Theaterleiterin, „die Dunkelheit zum Glänzen zu bringen. Sie sichtbar und angreifbar zu machen.“
Zudem gebe es auch einige Parallelen zwischen Sachs und Aichinger, sind sich die beiden Künstlerinnen einig. „Beide haben sich gerne im Hintergrund aufgehalten und sind selbst gerne verschwunden“, so Lang, die damit das bereits besprochene Kernmotiv wieder aufgreift. Bei Ilse Aichinger sei das auch einer der Gründe gewesen, warum sie das Kino dem Theater vorzog. „Im Dunklen zu sitzen und sich anschließend wieder rauszuschleichen – das war eher ihre Welt“, sagt Ingrid Lang.

„Lassen Sie mich alt werden“
Ihre Welt beschrieb die 2016 in Wien gestorbene Autorin in einer einzigartigen Sprache. „Mit scheinbar ganz einfachen Sätzen gelang es ihr, ganze Welten aufzumachen“, bringt es Bérénice Hebenstreit auf den Punkt. Eine Szene aus „Knöpfe“ möchte sie in diesem Zusammenhang gerne hervorheben: „Am Ende des Hörspiels läuft ein Vertreter der Hauptfigur hinterher, um ihr zu sagen, dass sie keinen Job mehr finden wird, wenn sie jetzt kündigt. Er sagt: Sie finden heute keine neue Stelle. Sie können alt werden, eh' Sie – und Ann antwortet: Lassen Sie mich alt werden, Bill. Dieser Satz berührt mich jedes Mal, wenn ich ihn lese oder höre, weil er die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus mittransportiert, die nicht alt werden durften. Gleichzeitig geht es in diesem Satz für mich auch um das Recht zu altern, das Frauen grundsätzlich eher abgesprochen wird. Das sind so kleine, scheinbar einfache Aussagen, die unglaublich viel aufmachen.“
Um Sätze, die zu ihrer Zeit viel zu wenig Gehör fanden, geht es Ingrid Lang unter anderem in ihrer Arbeit als künstlerische Leiterin. „Mein Augenmerk liegt auf weiblicher Autorenschaft, weil die Autorinnen der Nachkriegszeit unheimlich viele kluge Sätze gesagt und aufgeschrieben haben, die zu ihrer Zeit jedoch viel zu wenig Beachtung fanden, obwohl sie – dessen bin ich mir sicher – eine positive Auswirkung auf gesellschaftliche Entwicklungen gehabt hätten. Es ist wichtig, ihnen wenigstens jetzt zuzuhören.“
Damit sind wir wieder beim Verschwinden gelandet. Das in diesem Zusammenhang jedoch eindeutig negativ konnotiert ist. „Das Gefühl, keine Autorinnengeschichte und dadurch keine Vorbilder zu haben, schwächt auch die jetzige Generation an Autorinnen. Diese Stimmen sicht- und hörbar zu machen, stärkt auch jene Frauen, die jetzt schreiben“, ist Bérénice Hebenstreit überzeugt. Mit diesem Gedanken verabschieden wir uns. Die Regisseurin verschwindet wieder in die Endproben, wird jedoch – das ist sicher – spätestens am 24. September, wenn „Knöpfe“ im Theater Nestroyhof Hamakom Premiere feiert, wieder auftauchen.